Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

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Название Das Veteranentreffen
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655077



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war, ihre Übergrößen in altmodische hautfarbene Verpackungen zu stopfen. Nicht dieses modische moderne Zeug, mit dem man versucht, Erotik und Orthopädie unter einen Hut zu bringen.

      Das Ding hätte mich sicher bei meiner Zimmerwirtin endgültig kompromittiert, wäre da noch viel zu verderben gewesen.

      Aschs typische Art von Humor! Nie über sich selbst, sondern immer auf Kosten anderer. Ich sah ihn förmlich vor mir, hörte ihn meckernd in sich hineinlachen. Die lange, hölzerne Nase eines ausgeprägten Leptosomen, seine vorgebeugte, krumme Valentingestalt.

      Keiner, der ihn so kannte, hätte ihm jemals die Leitung des Ressorts ‚Überseeaufklärung’ zugetraut.

      Ich steckte Aschs Miederwarenprospekt in den Briefkasten des Junggesellen, der die Wohnung über mir bewohnte und mich manchmal um Mitternacht mit einer seltsamen Mischung aus Beethovens Klavierkonzerten und dem Geruch gegrillter Schweinshaxen heimsuchte; dann riss ich die Innenseite des Umschlags auf und versuchte Aschs winzige Bleistiftschrift auf dem Futter am Klebefalz zu entziffern.

      Man musste schon gute Augen haben und nicht gerade Legastheniker sein, um aus seinen Abkürzungen schlau zu werden …

       Bertrand nimmt Sie in Empfang, Doktor. Sie wissen ja, der gute alte Bertrand …. immer noch nicht darüber hinweg, dass er die Berliner Sektion verloren hat. Das Hotel liegt hinter dem Murellenberg. Ausschilderung ‚Waldhof’ folgen. Ziemlich abgelegener alter Kasten, also genau richtig für unsere Zwecke. Wir haben den hinteren Sitzungssaal angemietet. Spart den meisten von uns auch den Flug in die Republik. Nehmen Sie die S-Bahn bis Pichelsberg, falls Sie ohne Wagen kommen. Rechts von der Havelchaussee der Waldweg …

       P.S.: Machen Sie sich drauf gefasst, dass Sie die ganze alte Truppe wiedersehen!

      Ich seufzte. Aber nicht, weil ich nach West-Berlin fliegen sollte, von München aus in die Berge wäre es mit dem Wagen nur ein Katzen-Sprung gewesen. Sondern weil ich Aschs ‚alte Kästen’ kannte.

      Er liebte den Verfall. Totes Material in jeder Form. Vielleicht war er sogar nekrophil veranlagt, aber darüber ließ er sich nie aus. Keine Mauer konnte ihm windschief genug sein. Knarrende Fußböden und Fenster rissen ihn zu kleinen Begeisterungsschreien hin. Mir standen ein paar Nächte mit tröpfelnden Wasserhähnen und rumpelnden Fahrstühlen bevor.

      Und dann auch noch dieser Bertrand, der mich immer an einen Leichenbestatter erinnerte!

      Wer wie ich zwanzig Jahre lang die medizinischen Probleme westlicher Geheimdienste betreut hat, dem sollten ein paar harmlose Kunstfehler kaum noch schlaflose Nächte bereiten.

      Aber Bertrands Weg war mit Kunstfehlern gepflastert, die einem halben Dutzend Leichenbestattern Brot und Arbeit gegeben hatten. Und die eine oder andere schwarze Nobel-Limousine außer der Reihe.

      Denn vieles, was einem gewieften Maskenbildner bei der Präparation der Leiche sofort auffallen musste, ließ sich nur noch mit einem Fächer von Hundertmarkscheinen ausbügeln. Über Bertrand kursierten Geschichten, die ihn in die vorderste Reihe der Geheimdienstarschlöcher aufrücken ließen.

      Man hatte ihm die Berliner Sektion erst entrissen, als sie von ihm zugrunde gerichtet worden war.

      Ich verbrannte Aschs Umschlag und beförderte seine Reste draußen in den Gully. Im türkischen Imbiss an der Ecke ließ ich mir ein Taxi rufen, warf meine Reisetasche auf den Rücksitz, raunzte „Flughafen“ und lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück, um darüber nachzusinnen, warum ein alter Kerl wie ich, der so viele Jahre lang infantilen Ideen von politischer Opportunität nachgejagt war, nicht längst ein Haus auf Anacapri bewohnte.

      Oder am Strand von „Ich-weiß-nicht-wo“ lag und lüsterne Blicke auf junge Badenixen warf.

      Nicht mal, als die Maschine krachend ihr Fahrwerk in den Dunst streckte, um im regentrüben West-Berlin zu landen, war ich auch nur halbwegs mit der Antwort auf meine Fragen zu Rande gekommen.

      Ich wusste, was ich wollte – aber ich wusste nicht, warum ich ausgerechnet das wollte, worauf ich mich eingelassen hatte. Wohl kaum wegen der illustren Namen …

      Die Kinder vom Bahnhof Zoo waren scharf auf den Inhalt meiner Reisetasche. Seitdem ich aus dem Dienst ausgeschieden war, legte ich Wert auf gepflegte Kleidung. Sicher glaubten sie, ihr Inhalt sei genauso wertvoll wie mein Zweireiher (und damit hatten sie gar nicht mal so unrecht).

      Ein paar stark geschminkte junge Nutten umwarben mich kichernd – die eine nestelte in der Innentasche meines Jacketts an meiner Brieftasche –‚ während ein halbwüchsiger Stricher mir unauffällig von hinten die Tasche wegzuziehen versuchte …

      Ich stand am Kiosk, um mich mit ‚Mayers Krümeltürken’ einzudecken, sauren Zigarillos, deren Tabake nur im vorderen Orient gedeihen.

      In der ganzen Stadt gibt’s lediglich zwei oder drei Stellen, wo man das Zeug bekommt, und ich glaube, das wäre – von Aschs Einladung mal abgesehen – auch der einzige Grund gewesen, mich noch einmal freiwillig in ein Rattenloch wie diese eingekesselte Stadt zu wagen.

      Ich gab der einen Lolita einen Klaps hinters Ohr und dem Stricher einen Tritt dahin, wo es seinen regulären Geschäften am wenigsten zuträglich war.

      Dann entschuldigte ich mich beim Kioskbesitzer für die wüste Szene, nahm meine Tasche und das Zigarillopäckchen und wechselte die Straßenseite zum Excelsior.

      West-Berlin hat gegenüber München den Vorzug, einem sofort und ungeschminkt seine ganze Schäbigkeit zu zeigen. Man muss die Stadt nicht erst tagelang zu Fuß durchstreifen, um herauszufinden, dass ein paar klassizistische Fassaden auch nicht viel mehr sind als heiße architektonische Luft.

      Die kahlen, schmutziggrauen Nachkriegsfronten geben einem ein fast anheimelndes Gefühl von Verlorenheit. War man nicht schon immer verloren?

      Dagegen wirkt der Prunk mancher bayerischer Gebäude wie bloße Verschleierung. Tünche über der Fäulnis.

      Der Neubau des Excelsior entpuppte sich als reine Wohltat: ungefähr zehn Etagen kalte Schönheit aus Glas und Aluminium, aber wenigstens das Gefühl, man sei kein Stadtstreicher zwischen verfallenen Mauern und düsteren Toreinfahrten.

      Ich duschte, weil ich den Badezimmern im Waldhof nicht traute, legte mich zwei Stunden aufs Ohr und ließ meine Rechnung an eine Institution weiterleiten, die ‚Kostenstelle Sonderausgaben West’ heißt. Den Kassierer an der Rezeption focht der seltsame Name nicht an. Die Bestätigung kam umgehend über Telefax.

      Ein großer blonder Bursche lief mir hinter der Flügeltür in die Arme.

      Er machte den Eindruck, als sei er etwas zu hastig vom Rad gesprungen. An seinen Hosenbeinen steckten Fahrradklammern, und sein Gesicht war leicht gerötet.

      „He, Mann“, sagte ich. „Bei so hochsommerlichen Temperaturen sollten Sie aber besser auf Ihre Herzkranzgefäße achten.“

      Mein fachmännischer Rat ließ ihn völlig kalt. Er lächelte gequält.

      Dann sah ich etwas in seiner Faust aufblitzen, und eine kurze, breite Messerklinge streifte um Haaresbreite meinen Hals.

      Ich taumelte instinktiv zurück und fiel krachend in die Scheibe der Eingangstür.

      Über, unter und neben mir splitterte Glas. Anscheinend kam das Getöse für ihn genauso überraschend wie für mich. Er musterte mich verdutzt und unentschlossen, ob er sich zu mir in den Scherbenhaufen hinunterbemühen sollte.

      Dann warf er einen prüfenden Blick in die Hotelhalle und machte auf dem Absatz kehrt.

      Ich blickte ihm auf den Ellenbogen gestützt nach und sah zu, wie er sich an der Straßenecke eilig auf sein Fahrrad schwang.

      „Großer Gott“, sagte die Stimme des Hotelmanagers hinter mir. „Sind Sie verletzt?“

      Dabei versuchte er meinen Zweireiher mit der flachen Hand von Glassplittern zu reinigen, ließ es aber bleiben, als er die scharfkantigen Glitzerdinger auf meinen Schultern sah.