Название | Doppelspitze |
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Автор произведения | Gerhard Weis |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847691327 |
was euer König sprach!
Damit nach der nächsten Dingsvergleiche
die Schwellung wieder von euch weiche!
Als Hein sein Gedicht aufgesagt hatte, erlangte er sein gewöhnliches Äußeres sofort wieder. Unterdessen raste die entfesselte Energie dorthin zurück, wo sie herkam: in den Vogelbeerbaum. Der verdorrte auf der Stelle. Ganz so, als wäre Jesus vorbeimarschiert und hätte ihn verflucht. Sein Stamm hatte sich gespalten und ein verkohlter Stumpf – ähnlich einem Dings, nur deutlich ausgeprägter – kam zum Vorschein. Aus der Spitze dieses Prügels entwichen noch einige Rauchkringel, bevor er schlapp machte, zu Boden plumpste und als Aschehäufchen endete. Dann kam Carlos angesaust. Der Labradorrüde des Revierförsters Schweinsteiger beschnupperte die äscherne Hinterlassenschaft ausgiebig, bevor er das rechte Bein hob und seinen Kommentar dazu abgab. Während wir als Zeugen des mirakulösen Geschehens noch verdutzt dreinblickten, war Heiner schon wieder der Alte. Er drehte eine Abschlussrunde im abermals eiskalten Wasser. Ganz so, als wäre nichts passiert. Später sollte sich herausstellen, dass er tatsächlich einen Filmriss hatte. Das war für ihn nichts Ungewöhnliches. Neu war nur, das der sich vorm Kneipen einstellte.
Den Rückweg zu unserer Pension absolvierten wir im Sauseschritt. Obwohl der Höhenwanderweg noch eine saftige Steigung für uns parat hielt, bevor es nur noch bergab ging. Donnerklitchens Ansprache hatte dafür gesorgt, dass wir, mit Ausnahme Heins, mit Adrenalin vollgepumpt waren. Infolgedessen forcierten wir unwillkürlich unser Lauftempo.
Ähnlich erging es Wochen später dem »Tourminator« beim Schlussanstieg nach Luz-Ardiden. Jan, damals austrainiert und staubtrocken, war dem Ami bis auf fünfzehn Sekunden auf die Pelle gerückt. Nach sechs zermürbenden Jahren schien er endlich wieder ein großes Rad zu drehen. Aber der Mann im gelben Leibchen zog, Ulles Atem im Nacken spürend, nun auch die verschlagensten Register seines epochalen Könnens. Lance war auf der letzten Pyrenäen-Etappe der Jubiläums-Tour gestürzt. Die gerechte Strafe für den abscheulichen Versuch, einem wehrlosen Zuschauer mit dem Fahrradlenker den farblich zum Trikot passenden Beutel zu klauen. Als sei dies noch nicht perfide genug gewesen, knallte der Texaner nur Sekunden später seinen ihm verbliebenen (linken) Hoden mit voller Wucht auf den Fahrradrahmen. Die dahintersteckende Absicht blieb dem Kenner der Radsportszene natürlich nicht verborgen. Auch wenn der US-Boy so tat, als wäre er mit dem Fuß aus dem Klickpedal gerutscht. Legales Blutdoping vor den Augen von Millionen Zuschauern! Der Mann mit den strongen Beinen schreckte vor nichts zurück. Wo mir schon beim bloßen Zugucken übel wurde, zuckte er nicht einmal mit der Wimper. Woher denn! Bevor Lance den Turbo zündete und Miguels Rekord egalisierte, meinte er mit einem Blick auf Jan: »Ich bin dann mal weg, Ulle!«
Heiner konnte die Eile zwar nicht verstehen, hielt aber als halbe Portion problemlos Schritt. Wir andern fragten uns unterdessen, ob wir vielleicht halluziniert hätten. Einen Sonnenstich hatten wir jedenfalls nicht abgekriegt. Unsere Köpfe hatten den ganzen Tag über im Schatten der sie zierenden Narrenkappen geweilt.
»Ballawer die Migge, DAAAS glaubt uns keiner! Nicht einmal der Bierbudentester und seine dämlichen Loser-Boys.«
»Mannomann … unglaublich … das gibts doch nicht! Unser Heinerle … zwitschert das Lied vom Vugelbeerbaam … und haut dann die Paarreime raus wie Giselher Finger!«
»Der Schneekönig und das Donnerklitchen … Donnerwetter! Das nimmt uns auch Ronny nicht ab, wetten!?«
»Da hat bestimmt wer seine Finger im Spiel gehabt. Der Krankl Hans … oder der Polster Toni mit einer seiner Thekenschlampen.«
»I wer' narrisch! Tatsächlich, du hast recht, Finger. Das war der Geist von Córdoba. Wir sind ja hier in Österreich.«
»Ihr habt doch einen an der Waffel!«, war das Einzige, was Hein in diesen Minuten zu unserem Gespräch beitrug. Er schien sich an nichts zu erinnern.
Ronald Regen (Ronny, der Wurm)
Unser Jüngster war zugleich unser Sorgenkind. Herzschmerz machte sich bei ihm nicht nur seelisch bemerkbar. Störrisch wie ein Esel weigerte er sich, ein gut dotiertes Stellenangebot seines Mentors anzunehmen. Ich hätte ihm liebend gern die wesentlichen Kniffe und Tricks beigebracht, um eine weniger strapaziöse Karriere als Bonvivant antreten zu können. Aber Ronny bevorzugte die tägliche Hochspannung, die er sich als selbstständiger Elektrofuzzi aus freien Stücken antat. Dabei hatte er, ein Großmeister des Speisehausbluffs, durchaus Talent zu Höherem. Listig wie ein Sparfuchs orderte er beim Sternekoch grundsätzlich das günstigste Menu, um dann in (fast) astreinem Hochdeutsch höflich nachzufragen, ob er, weil er ja dies und das nicht vertrüge, sell gegen jenes tauschen könne. »Der Herrgott wird es Ihnen bestimmt auch vergelten!« Wer wollte ein derart kultiviert formuliertes Anliegen schon ablehnen? Früh verwitwet, geriet der Wurm schnell wieder unter die Haube. Dabei bewies er abermals einen guten Geschmack. Die Ehe mit Ulla – ein heißer Feger! – machte ihn zum Vater. Mit der Entscheidung, ihre Tochter auf den Namen Ilsebill zu taufen, haben die beiden Flagge gezeigt und sich dem Mainstream entzogen. »Ilsebill? Der kleine Wurm da heißt tatsächlich Ilsebill? Gut gemacht, Ronny!«
Donnerklitchen, Teil zwei
Frisch geduscht und von den Strapazen des Tages halbwegs erholt, liefen wir am Abend im »Bierstüble« ein. Unsere Fassung hatten wir mittlerweile zurückerobert. Aber das unglaubliche Intermezzo vom Nachmittag bedurfte noch eines wirtshäuslichen Kolloquiums.
»Fünf Pils, bitte – vier für uns und eins für Ronny!«
Die Bedienung schaute anfangs etwas skeptisch, gewöhnte sich aber schnell an das Prozedere. Es war eine Frage der Ehre, als Henry Maske Rocky die Gelegenheit zur Revanche bot. Genauso war es für uns vier Ehrensache, dass wir unserem verhinderten Freund bei jeder neuen Runde ein Bierchen mitbestellten. Das galt selbstverständlich auch für die Kurzen. Wie es sich unter Kameraden gehört, haben wir an Ronnys Statt abwechselnd dessen Pflicht verrichtet. Selbst beim Pinkeln. Ein Habitus zur Wahrung von Anstand und Ehre, den ein profanes Weibsbild niemals verstehen wird.
»Prost, Ronny!«
»Prost, Saardéros!«
»Auf Schneeweißchen und den King!«
»Was die Fee mit ihrem Gedicht wohl bezwecken wollte?«
»Das hat sie doch gesagt, Bodo: ›Damit nach der nächsten Dingsvergleiche, die Schwellung wieder von uns weiche!‹«
»Dingsvergleiche … Schwellung weiche … lustig, oder? Der Spruch könnte auch von dir stammen, Finger.«
»Lustig? Mannomann, Hoss, das war ganz schön starker Tobak! Als ob ausgerechnet wir es nötig hätten, unsre Dingse zu vergleichen. Der spinnt doch, der Schneekönig! Wir wissen auch so, dass wir die Größten sind. Stimmts oder hab ich recht, Saardéros?«
»Du hast wie immer recht, Finger. Aber gibts heut auch noch ein anderes Thema? Ihr nervt!«
»Klappe, Heiner! Du bist schließlich an allem schuld. Als ob du nicht genau wüsstest, dass man bei einem Gewitter nicht durchs Wasser tappt. Wo sind denn die Flittchen, vor denen du uns gewarnt hast? Und überhaupt, nach was gelüstet uns, was wir nicht wagen sollen? Wir, heuer nur vier, dürsten nach Bier und sonst gar nichts! Das wird auf einer Männertour ja wohl noch ›recht erlaubt‹ sein, King Arthur! Nach Flittchen, zum Donnerlittchen, schmachten wir nicht … Komm, Heiner, guck nicht so … ist doch nur Spaß! Hat jemand von euch einen Plan, was das heute Nachmittag sollte?«
Kopfschütteln war das Einzige, was ich auf meine Frage erntete. Im Falle Heins wohl mehr ein Ausdruck der Verständnislosigkeit als der Verneinung. Keiner konnte sich einen Reim auf Donnerklitchens Reime machen. Warum auch? Wir waren Männer mit Prinzipien. Die Wahrung von Anstand und Moral gehörte zu unseren obersten Pflichten. Gerade auf unseren Streifzügen. Das musste der Schneekönig doch wissen. Zucht und Ordnung brauchte man uns nicht mehr beizubringen.