Doppelspitze. Gerhard Weis

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Название Doppelspitze
Автор произведения Gerhard Weis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847691327



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die Regenbogenbrücke schloss sich Gigi, die Hündin meines Lebens, unserer Truppe an. Die Stopps auf unseren Vatertagstouren waren fast immer die gleichen. An der Ski- und Wanderhütte Kirrberg rissen wir die ersten kühlen Blonden nieder. Meist an einer der wuchtigen Holzgarnituren im Freien, mit Panoramablick ins Tal. »Runter mit euch, ihr Schlampen habt es nicht anders verdient! Prost, Saardéros!« Hier oben spendierte Ronny unserer unterwegs fleißig Stöckchen apportierenden Beschützerin regelmäßig eine Bratwurst mit Weck. Diese Belohnung stand ihr genauso zu, wie die geschmackliche Verfeinerung der viel zu klaren Brühe im Hundenapf. An Christi Himmelfahrt gehörte ein Schuss Bier ins Wasser. »Mmmhhh, fein, das hat sich unser Mädchen verdient.«

      Statt einer Belohnung wäre eines schönen Vatertages eine Tracht Prügel nur recht und billig gewesen. Nicht für Gigi, wohl aber für deren angesäuseltes Geleit. Wie konnten wir nur so leichtsinnig sein und einen fast mannshohen Strohballen auf dem Weg zu unserem nächsten Etappenziel vor uns her wälzen? Einige Jahre bevor die Rixdorfer Künstlerkolonie in Berlin-Neukölnn eine alte Tradition wieder aufleben ließ:

      »Was genau meinen die böhmischen Kolonisten, wenn sie Popráci sagen?« Der deutsche Dorfschulze wollte im Sommer 1737 vom Pfarrer wissen, warum die deutschstämmigen Rixdorfer bei ihren Versuchen, mit den böhmischen Kolonisten besser in Kontakt zu kommen, immer nur Popráci als Antwort zu hören bekamen. »›Feierabend‹, Fetzke. Popráci bedeutet soviel wie ›Feierabend‹ oder ›nach der Arbeit‹.«

      »So kann es nicht weitergehen, Bohumil!« Der Dorfschulze und sein böhmischer Kollege waren sich einig. Sie mussten unbedingt etwas unternehmen. Bei einem Teil der deutsch-böhmischen Dorfjugend reichte oft schon ein falscher Blick, ein missverstandenes Wort oder eine läppische Geste, um sich gegenseitig die Knochen zu brechen. Als Friedrich Fetzke und Bohumil Pachl in der Spandauer Vorstadt heimlich bei Kaffee und Kuchen das Problem besprachen, kam Fetzke beim Stochern in seiner Biskuit-Rolle die Erleuchtung.

      »Mensch, Bohumil, ich habs! Wir werden die Jungs Strohballen durchs Dorf rollen lassen. Die Gewinner erhalten zwei Golddukaten.«

      »Gute Idee, Fritz! Lass es uns ›Popráci, das erste Rixdorfer Strohballenrollen‹ nennen!«

      Der Wettkampf mit Musik, Tanz und Bewirtung avancierte zum Klassiker. »In Rixdorf is Musike« hieß es genau einhundertvierundsiebzig Mal. Bis Kaiser Wilhelm II. im Januar 1912 auf die glorreiche Idee kam, Rixdorf in Neukölnn umzubenennen und Popráci zu verbieten.

      Ob ein Rixdorfer Zeuge wurde, als wir die Kontrolle über unser Spielzeug verloren? Auf jeden Fall war der Bums, welcher das einen steilen Abhang hinunterdonnernde Geschoss aus Stroh ex abrupto verursachte, dumpf und gewaltig. Gott sei Dank suchte kein Liebespärchen vor dem zitternden Apfelbaum nach Erkenntnis, als dieser auf einen Schlag seine Blüten verlor. Das hätte böse ins Auge gehen können. Adam und Eva wären aufs Innigste vereint vor ihren Schöpfer getreten.

      An der Ski- und Wanderhütte Einöd wurde es dann auch für uns höchste Zeit, etwas zu futtern. Wir wollten schließlich nicht vorzeitig absaufen. »Fünf Portionen Leberknödel mit Sauerkraut und zehn Scheiben Brot dazu … mindestens!« Heiners Hinweis bei der Bestellung war durchaus geboten. Am Brot wurde an den Hütten gerne geknausert. Was besonders für ihn und mich ein Ärgernis war. Wir beide waren in einer Bäckerei groß geworden und aßen ohne Brot nur Pizza. Die Wirte hätten schon aus eigenem Interesse dafür sorgen müssen, dass ihnen am Vatertag das Brot nicht ausging. Für die Beibehaltung einer hohen Schlagzahl eine naturgesetzliche Notwendigkeit. Die einverleibten Flüssigbrote bedurften eines Katalysators. Zumal man seinen Durst an den Hütten bedenkenlos löschen konnte.

      Die gehörten nämlich zum Dienstbezirk von Bernd Pavian. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass der aus Brandenburg zugezogene Bierbudentester ungewöhnlich fleißig war. Er hatte sich auf eine Annonce des »Guide Schluckspecht« erfolgreich beworben. Mario la Greco und René Bridgibilli, die beiden pfiffigen Gründer und Inhaber dieses regionalen Kneipenführers, befanden sich in einer ausgesprochenen Bierlaune, als sie auf die skurrile Idee kamen, in dem satirischen Männermagazin »Flaschen & Bier« eine ganzseitige Anzeige zu schalten und hoch zu wetten:

       »Wir suchen zum 1. April dieses Jahres einen dynamischen Außendienstmitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung, gepflegtem Äußeren, sicherem Auftreten und Stehvermögen.

       Sie besitzen ein Diplom als Braumeister der TU München-Weihenstephan und zugleich einen Master of Business Administration der Elite-Universität-Ochsford?

       Sie sind teamfähig, überdurchschnittlich durstig, in Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis der Klasse drei oder B und beherrschen die englische, französische und inguschische Sprache fließend in Wort und Schrift?

       Dann könnten Sie unser Mann sein. Ihre Bewerbung zum Bierbudentester schicken Sie bitte mit einem aussagefähigen Lichtbild und Gehaltsvorstellung an … «

      Mario setzte auf die Null, während sein italienischer Landsmann mit dem französischen Vornamen fest daran glaubte, dass wenigstens einer der Leser den Mumm haben würde, auf ihre verschrobene Stellenausschreibung zu reagieren. Dank Herrn Pavians Dreistigkeit war es la Greco, der in »Hämmerle's Restaurant« die Zeche für zwei köstliche Fünf-Gänge-Menüs zu zahlen hatte. Was dieser gerne in Kauf nahm. Das schräge Bewerbungsschreiben überzeugte die mit allen Wassern gewaschenen Geschäftsführer gerade wegen der amateurhaft gefälschten Urkunden aus Weihenstephan und »Ochsford«. Solcherlei Unverfrorenheit war die beste Grundlage für ein Tätigsein an der Front der Gescheiterten. Somit mündete die mehrsprachig verfasste Kandidatur in ein von Mario und René ursprünglich überhaupt nicht beabsichtigtes Arbeitsverhältnis. Den inguschischen Teil des Stellengesuchs vermochte den beiden auch ihr aus Grosny geflohener Zechbruder Stanislaw Ahmadov nicht zu übersetzen. Der Tschetschene war mit Herrn Pavians Handschrift überfordert. Was aber nicht weiter schlimm war. Angesichts des beigefügten Fotos geriet der Rest zur Staffage, selbst die unverschämten Gehaltsvorstellungen des Fürbittenden. Wer sich traute, eine solche Ablichtung seiner Selbst in fremde Hände zu geben, hatte nichts zu verlieren. Das Votum der Beschäftigten – beim Guide Schluckspecht wurde Demokratie gelebt! – war einstimmig: Dieser Arsch passt zu uns!

      »Hat es Ihnen geschmeckt?«, wollte der ausgesprochen sympathische, nach französischen Sternen strebende, immer gut gelaunte junge Koch hinterher wissen. »Hammer, Hämmerle! Das Essen war ein einziger Schmaus. Besser gehts nicht. Auch der Service, alle Achtung! Die paar Scheinchen habt ihr euch redlich verdient!«, bekam er zu hören.

      »Porro, Saardéros!«

      »Quo vadimus, Finger?«

      »Wohin wohl? Zu Kaiser Augustus!«

      Liebgewonnene Traditionen gehörten gepflegt. Das Café des Römermuseums Schwarzenacker lag nur einen Katzensprung von der Ski- und Wanderhütte Einöd entfernt. Im gepflasterten Innenhof der an das Edelhaus angrenzenden guten Stube wurden wir bestimmt schon erwartet. Mit etwas Glück würden wir alle noch ein Stück Eierlikör- oder Rhabarberkuchen ergattern können. Auch meine Eltern wussten die Qualität des selbstgebackenen Kuchens zu schätzen. Papa sah sich nicht einmal genötigt, die Pächter wegen mangelnder Leistung mit einem seiner gefürchteten Koffer zu tadeln. Von dieser pittoresken Verweilstatt gallorömischen Flairs, dem Tor zum UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau, gelangte unser Tross über Feldwege und Streuobstwiesen entlang der Auenlandschaft der Blies zum Revier der Weißstörche am Beeder Fischweiher. Eine Attraktion! An regen Betrieb gewöhnt, leisteten die Störche den Besuchern der Fischerhütte Gesellschaft. Dabei gingen sie auf Tuchfühlung zu Mensch und Tier. Gigi hielt ich hier sicherheitshalber an der Leine. Wir taten uns jetzt von Runde zu Runde schwerer, mit den Blondchen kurzen Prozess zu machen. Auf dem letzten Teilstück unserer Vatertagstour passierten wir – vorbei an Heckrindern, Wasserbüffeln und einem bunten Sortiment Wasservögel – das Naturschutzgebiet Höllengraben, bevor wir im prächtigen Biergarten der »Scheune« den Tag ausklingen ließen.

      Unsere beneidenswerten Frauen trafen dort kurz nach uns zum gemeinsamen Abendessen ein. Am Vatertag ein solches Privileg für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, zeugte von dem einzigartigen