Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg

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Название Das Friedrich-Lied - 1. Buch
Автор произведения Henning Isenberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847612018



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legte sie all ihre Hoffnung und Wünsche. Ihn hatte sie täglich in ihre Gebete eingeschlossen. Für ihn hatte sie Gott beschworen, dass er es zu hohen kirchlichen Würden bringen sollte. Umso stärker hatte sie ihre Not verbergen müssen, als Friedrich nach Everhards Tod aus der Kirche ausschied und in den Waffendienst ihres Bruders aufgenommen worden war. Sie hatte die männlichen Ränkespiele satt. Sie hasste das Waffengeklirre, das derbe Schuhwerk, den Krieg, den Geruch von Blut und Eisen und die ungelenken Bewegungen der verkrüppelten Heimkehrer, die fortan die Vergänglichkeit ins Tagesbild einpflanzten. Die Männer, Väter und Brüder, die nie heimkehrten, und die im Laufe ihres Lebens wie eine schwere Last die Frauen und Kinder drückten, ohne dass sie es unter den Anstrengungen des Tages merkten. Auch in ihre Familie, in die sie ohne Ahnung eingeheiratet hatte, hatten die Kriege und Kreuzzüge bereits einen traurigen Zug geprägt. Der Tod ihres Mannes konnte sie keines Besseren belehren: War es nicht der Krieg gegen die Ketzer im Süden, der ihr nun den Mann genommen hatte? Ein dunkler Schatten legte sich wieder über ihre Miene. Als erster bemerkte Dietrich das Zögern der beiden und nutzte die Gelegenheit auf seine Mutter zuzustürmen. Wie ein Hungriger sich auf einen Schinken stürzte, umklammerte er den Mutterschoß. Doch anstatt den Jungen willkommen zu heißen, wie es eine Mutter tut, schloss sie kurz die Hände um Dietrichs Kopf, um ihn im nächsten Moment an den Schultern zu fassen und ihn mit den traurig klingenden Worten, „sei gegrüßt, mein kleiner Dietrich“, auf Distanz zu bringen. Wenigstens strich sie ihm über das Haar, als Dietrich sich verstört abwendete. Die Begrüßung hatte er sich anders ausgemalt in den Tagen der Reise. „Seid gegrüßt, Mutter!“ Friedrich, der vom Pferd gestiegen war, sah sich genötigt den peinlichen Moment der Stille zu füllen. Seine Mutter kam auf ihn zu und drückte ihn an sich. Doch er konnte die Umarmung nicht erwidern. Er wollte seinem Vorbehalt gegen die Mutter gerade neue Nahrung geben, doch bemerkte er, dass Mathilde Halt bei ihm suchte. Wie selbstsüchtig ihn die Schatten seiner Mutter doch machten. Der Vater, ihr Mann, war tot. Sie hatte wahrlich einen Grund Halt zu suchen. Der Vorwurf gegen sich selbst, ließ Friedrich dann doch seine Arme heben und seiner Mutter Halt geben.

      In den letzen Tagen hatten die Lehensleute der Umgebung dem Toten einen letzten Besuch abgestattet und auch die Handwerksleute aus dem Dorf Hattingen und der Burgsiedlung hatten ihrem Herrn die letzte Ehre erwiesen. In großen Gesten hatten sie alle den Tod beklagt und die Gerechtigkeit des Grafen als Landesherrn gepriesen.

      Gräfin Mathilde hatte in den vergangenen zwei Wochen, die Verteilung der materiellen Hinterlassenschaft des Grafen von Altena zu Isenberghe übernommen – eine Aufgabe, die sonst dem Sterbenden vor seinem Tod selbst zukam.

      Doch im Falle des Grafen von Isenberghe war der Tod plötzlich und im Fernen Languedoc gekommen. Wie hätte der Graf da den Getreuen und Armen selbst seine Kleider spenden und seinen hinterbliebenen Kindern seine Besitzungen und Gerätschaften zuteilen können?

      In all ihrer Trauer gab Mathilde allein der Gedanke Kraft, dass sie ihren Mann im Kreise der Familie besetzen konnte.

      Schon bei seinem Kreuzzug ins Heilige Land im Jahr des Herrn zwölfhundertvier hatte sie im Traum gesehen, dass er, wie viele andere Kreuzfahrer, einfach fort blieb – ohne einen Abschied. Nun war der Tag, den sie im Stillen gefürchtet hatte, gekommen.

      Sie konnte Abschied nehmen. Das war das Tröstliche an diesem Tod. Unendlich dankbar war sie Aelred, obwohl er ohne Rang war, dass er sich auf das Totenamt derart gut verstand.

      Das Salz hatte der Haut jegliche Flüssigkeit entzogen, so dass das Gesicht eingefallen war und die Haut grau-grün und ledern glänzte. Doch Spuren der Verwesung – schließlich musste sein Vater eingedenk des Transportes aus dem Languedoc nun mehr als vier Wochen tot sein – konnte Friedrich nicht ausmachen, als er den Toten in dem freundlich hergerichteten Kirchenraum betrachtete.

      Die Sorgfalt, mit der seine Mutter die Kapelle hergerichtet hatte, die Blumen und Kränze, die achtsam um den toten Vater gelegt waren, das Licht, das der kleinen Halle durch die Reflexion der bordeauxfarben getünchten Erker eine weiche Wärme verlieh, versöhnten Friedrich ein Stück weit mit der schroffen Mutter. Denn sie war es, die die Kapelle nach ihren Vorstellungen hatte gestalten lassen. Und diese Tage waren ihre Tage. Waren die Tage, in denen sie von ihrem Mann Abschied nahm. Eine Ahnung für das Leid der Mutter legte sich auf seine Abneigung und Wut. Doch warum sollte er an den Tod denken?

      Er war jung. Er lebte, er würde noch lange leben. Er hatte mit dem Tod nichts zu tun. Vor zwei Jahren hatte der Vater einfach verfügt, dass Friedrich in die Obhut Dietrichs von Cleve kam, wo er auf ein weltliches, ritterliches Leben vorbereitet wurde. Zwei Jahre – nie war er gekommen, um nach seinem Thronfolger zu sehen. Nie hatte er ein Wort für ihn. Zwei Jahre. Dieser Vater hatte ihn schon damals verlassen, ohne ein Wort, ohne dass sie sich kannten, ohne dass er ihm weisen Rat mit auf den Weg geben hatte. In Friedrichs Kindheit hatte er sich um seine Geschäfte, um den Bau der neuen Burg gekümmert. Er war auf Feldzügen mit dem großen Barbarossa gegangen. Und wenn er sich um seine Kinder gekümmert hatte, dann nie um ihn, Friedrich, sondern stets um Everhard, der ihm nachfolgen sollte. Dachte er an den Vater, so war da nicht viel mehr als diese Taten. Nein, wäre dieser Vater eine wirklich wichtige, mächtige, gar beherrschende Figur in seinem Leben gewesen, so wäre ihm doch mehr dazu eingefallen. Eine Insignie von Macht und Herrschaft hat er hinterlassen. Einen ehedem sicheren Platz, der nun verwaist war, der gefüllt werden musste. Durch ihn. Auf keinen Fall wollte er das. Nicht jetzt.

      Um das Wohl der Familie machte Friedrich sich keine Sorgen, denn die Grafschaft erhielt Einnahmen aus wohlhabenden Reichsstifte Essen, anderen Vogteien und dem Erbland.

      Doch die Verantwortung für die Verwaltung und den Schutz der riesigen Ländereien bereitete ihm Kopfzerbrechen. Immerhin handelte es sich um nichts weniger als die Ländereien, Burgen und Höfe im Norden und Westen sowie die Grafschaft Bochum. Dies allein stellte schon eine erhebliche Verantwortung dar. Doch damit nicht genug. Aus dem Besitz seines Vaters im Osten ging die Burg Nienbrügge mit der Stadt, dem Fährhof über die Lippe und den Grafschaften Hœvel und Heesen an ihn über.

      Sollte das etwa eine Gnade sein?! Gott bewahre. Nein, eine Last war dieses Erbe!

      Vor zwei Jahren den Kirchenmauern entronnen und jetzt die ritterliche Welt in sich aufzusaugend, waren es andere Dinge als das Ausfertigen von Privilegien, das Abhalten von Gerichten oder die Bemessung des Wegezolls für die Straßen und Furten der Grafschaft, die ihn interessierten. Er wusste nicht, was zu tun wäre. Und nun sollte er eine Grafschaft regieren? Unmöglich! Dies hätte Everhard, sein älterer Halbbruder übernehmen sollen. Nicht er! Aber Everhard tot. Nicht sein Problem.

      Er wehrte sich gegen die Aussicht, sich von nun an bis an das Ende seiner Tage um die Geschicke seiner Grafschaft zu kümmern. Und es machte ihm Angst, was ihm in den nächsten Tagen bevorstand.

      Er wollte auf Ritterfahrt gehen. Wie er ein Schwert zu führen hatte, das wusste er nun. Er würde es tun. Auch gegen den Willen der Mutter.

      ~

      Friedrich konnte dem Tod nicht ausweichen – zumindest nicht in diesen Tagen. Er war allgegenwärtig, der Tod. Die Burg und scheinbar die gesamte Grafschaft waren von ihm in ihren Bann gezogen. Selbst die allmählich eintreffenden Trauergäste schienen, sobald sie ihr Lager, sei es am Fuße der Burg oder in den Mauern derselben, bezogen hatten, in dieselbe Lethargie wie der gesamte anwesende Hof zu verfallen.

      Es war die Ironie des Umstandes und wie er zu wissen glaubte, sein Glück, dass er, Friedrich, mit dem Tod im Gepäck dem Kummerort entfliehen konnte.

      Von seiner Mutter war ihm aufgetragen worden, die sterblichen Überreste des toten Vogts des Stifts Essen-Werden zu überführen.

      Es hatte eine besondere Bedeutung, dass Arnold, wie sein Vater und dessen Vater, in Essen beigesetzt wurden. Die reiche Vogtei war eine leibliche Vogtei. Die Grafen von Altena unterstrichen ihren Anspruch auf die Erbvogtei, indem sie das Stift, seit dem es ihnen vor mehr als hundert Jahren übertragen worden war, als Grablege der Familie gewählt hatten. Damit war die Familie durch ihre Toten untrennbar mit dem Stift verbunden.

      Friedrich nahm Wiebold und Aelred, die beiden Knappen seines Vaters, sowie Gerulf und Gundalf, die beiden Zwillinge, mit auf den Zug nach Essen.

      Sie setzten am kleinen Fährhof über