Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I. Alexa Keller

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Название Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I
Автор произведения Alexa Keller
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738011074



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      Fallend und tauchend, handelnd und doch ausgeliefert, war es nicht immer so gewesen?

      Da war etwas in der Dunkelheit, tief vergraben, nun aufblitzend wie Splitter eines geborstenen Kristalls.

      Geborsten wie ihre Seele. In den Splittern war Bewegung, Bilder winzig klein und doch scharf wie die Kanten des Kristalls.

      Sie versuchte zu sehen, zu verstehen. War sie das dort, kämpfend, tötend, leidend und sterbend?

      War es nicht immer so gewesen? Einen Moment wusste sie, es würde wieder so sein.

      Sie schlug auf.

      I

      Telvenkeskua, Zarijat Fenlora, 26.Juni 2.325, 1.Stunde

      Betaleta der Tafuxa Telvenkeskua (Feldwebel der Polizei) Aniga Germantov war nicht schnell aus der Ruhe zu bringen. Sie war seit 23 Jahren im Polizeidienst, immer in den Straßen Telvenkeskuas, und da musste schon mehr kommen als eine Messerstecherei zwischen einer rayatshischen Jugendbande und zwei blonden Wehrpflichtigen mit zu hohem Alkohohlgehalt und niedrigem Intelligenzquotienten.

      Während ihre Streifenkollegin, Nevashee Islenko, über Komspiegel das nächste Heilungshaus verständigte und um rasche Entsendung einer Ambulanzkutsche bat, besah sich Aniga gemächlich die Bescherung. Blonde Nummer Eins saß gegen eine Hauswand gelehnt am Boden, Blut sickerte oberhalb ihrer linken Hüfte aus einem Schnitt in ihrem schwarzen Ledermieder. Sie jammerte kläglich, kurz vorm Heulen. Blonde Nummer Zwei dagegen stand neben Aniga und plapperte aufgeregt auf die Tafuxa ein. Von den Rayatshas war natürlich nichts mehr zu sehen. Sie war zudem sicher, dass für die zwei blonden Schicksen eine Rayatsha mit ihrer braunen Haut, den dunklen Augen und Haaren wie die andere aussah. Die Täterinnen würden also nie gefasst werden.

      Die Wunde von Blondie Eins war nicht tief und blutete nicht wirklich stark. Die Rayatshas schienen nicht wirklich böse gewesen zu sein. Wahrscheinlich waren sie von Kalimejat Nudhya, den Blumen der Nacht, gewesen. Dieses Syndikat beherrschte den Shasha-Handel in der Gegend, und seine Mädels waren sehr schnell mit der Klinge bei der Hand, vor allem bei großmäuligen Weißen, die sich für die Krone der Schwesternschaft hielten.

      „Dieser braune Abschaum gehört in die Fleischfarm gesteckt,“ schimpfte Blondie Zwei, und Aniga brummte unbestimmt.

      Nevashee meinte beruhigend zu Blondie Eins:

      „Die Kutsche mit der Heilmaga ist gleich da.“

      „Es… es tut so weh.“

      „Ganz ruhig, Hilfe kommt, Kleine.“

      Aniga sah sich um. Die Kazenu Murani, Straße der Trauer, war bis auf ihr Grüppchen völlig verlassen. Ein halb abgerissenes Plakat für einen Tanztempel flatterte schwach in der lauen Brise der Nacht. Gegenüber lag der Friedhof, dem die Straße ihren Namen verdankte, der Älteste der Stadt. Wenn ihre Kollegin und sie sonst nachts hierher kamen, dann wegen dämlicher Dämonenladrixes die auf dem Friedhof ein Fuwup-Mupp opfern oder Geister beschwören wollten. Dumme, verwöhnte kleine Schicksen, die nichts Besseres zu tun wussten, als…

      Was war das gewesen? Im Zentrum des Friedhofs, etwa 200 Meter (?) im Inneren, hatte es einen blendenden Lichtblitz gegeben. Wirkte dort jefrau Magie?

      „Hast Du das bemerkt?“ fragte Aniga ihre Partnerin.

      „Was, Ani?“

      „Den Lichtblitz, drüben bei den Toten. Magie, wenn Du mich fragst.“

      „Nein. Ah, da ist schon die Kutsche.“

      Eine von vier Khakumons gezogene Ambulanzkutsche im Gelb der Dashefumon – des Ordens der Heilerinnen – bog von links kommend in die Straße ein und näherte sich rasch.

      „Komm, ich will mir das ansehen.“

      „Die Blonden…“

      „Die Heilerin wird sich drum kümmern“

      Blondie Zwei zeterte:

      „Ihr werdet die Schlampen doch erwischen, oder? Sie sollen zahlen, das Ausländerpack!“

      Nevashee tätschelte ihr beruhigend den Arm und nickte abwesend. Die Kutsche hielt, eifrig sprang eine junge Heilmaga heraus, ihre gelbe Ordenskleidung vom Mieder bis zu den Stiefelspitzen korrekt und glänzend. Selbst ihr wippender roter Zopf strahlte Eifer aus. Ihr folgte, erheblich langsamer, eine stämmige Assistentin, deutlich älter schon, mit kurzen schwarzen Haaren und grünen Augen.

      Nevashee instruierte die eifrige Jungheilerin, die sich sogleich zu der Verletzten beugte.

      Die Assistentin sprach Aniga mit vor Langeweile triefender Stimme an:

      „Ruhige Nacht heute. Ist Neumond.“

      Aniga spähte immer noch zum Friedhof hinüber. Bewegte sich dort etwas zwischen den Erinnerungssteinen)?

      „Ja, nix los heute. Aber warte bis morgen, wenn die Baflayas kommen.“

      „Wir werden sie abziehen. Hast Du Dienst?“

      „Nein, hab getauscht.“

      „Du Fuwupp-Mupp!“

      Die putzigen kleinen Haustiere galten als Inbegriff des Glücks in Fenlora. Baflayas – Schmetterlinge, waren die Hockai-Frauschaft der Stadt Aridantua, die morgen ihr Meisterschaftsspiel gegen Telvenkeskua hier absolvierten. Großkampftag für Tafuxas und Heilerinnen. Nicht, dass die Fans des Hockaisports in Fenlora so gewalttätig gewesen wären wie die Phallokraten mit ihrem brutalen und tumben Dostek, aber auch hier schlugen die Emotionen hoch, und der Alkohohl tat ein Übriges.

      „Werd mir das Spiel im Clubhaus auf dem Mapazak ansehen.“

      Jede Gaststätte im Zarijat, die etwas auf sich hielt, nannte ein magisches Artefakt zum Abspielen bewegter Bilder, von Magas aufgenommen und an die Geräte gesandt, sein Eigen – die Mapazaks.

      Dort drüben bewegte sich tatsächlich etwas. Etwas Bleiches. Kurz kam Aniga die Vorstellung eines wandelnden Skeletts in den Sinn. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Das war Unsinn! Sie schalt sich eine Närrin, ging schon zwei, drei Schritte auf den Friedhof zu.

      „Na toll, ich hab Dienst. Hörst Du mir überhaupt zu?“

      „Wir müssen da eben was überprüfen. Wir sehen uns, ja?“

      Aniga winkte ungeduldig Nevashee, die kritisch die junge Heilerin musterte.

      „Komm, Neva.“

      „Ja, komme schon. Bist Du sicher, da ist etwas?“

      „Verdammt ja. Da war dieses helle Licht, und jetzt bewegt sich etwas dort zwischen den Steinen.“

      „Ein terkonnischer Magierjüngling, der ins Bett masturbiert und nen fehlerhaften Teleport hingelegt hat?“

      Nevashee brachte den alten Witz mit bierernster Stimme und Mimik. Bei Männern standen Pubertät und erwachende magische Kräfte in engem Zusammenhang. Tanzende Hormone führten dabei manchmal zu unbeabsichtigten, heftigen Zaubern, die sich real aber zumeist im Rahmen von magisch gewachsenen Pickeln, wundersamer Färbung der Bettwäsche oder dem Verlängern einer Nase oder der Zehen des Betreffenden hielten. Gerüchte und Witze jedoch wollten wissen, die fraglichen Jünglinge verwandelten ihre Eltern in Mieps, setzten das Haus in Brand oder teleportierten sich über tausende Meilen in matriarchalische Gefilde.

      Gerade Letzteres war barer Unsinn, brachte doch kein Teleporter Terkloras mehr als 20 oder 30 Meilen Entfernung per Zaubersprung hinter sich, ohne die Hilfe eines Portalartefakts zu nutzen.

      „Ich lach später. Schau, da ist es wieder!“

      „Bei der Jikaila, jetzt seh ichs auch.“

      Die Waffenhände beider Tafuxas gingen nicht zum Latexoog – dem Gummiknüppel – an der Hüfte, sondern zu den Katanas auf ihren Rücken, deren Griffe über ihre linken Schultern ragten – die meisten Menschen Terkloras waren LinkshänderInnen.

      Sie