Название | Regen am Nil |
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Автор произведения | Rainer Kilian |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847628927 |
Jetzt war der Weg frei für eine der wartenden Fähren zum Anlegen. Aber falsch gedacht, wenn man angenommen hätte, dies würde die Situation entspannen. Die wartende Menge strömte auf die sich öffnende Ladeluke zu. Eigentlich wusste keiner so richtig, welche Fähre wohin fuhr. Aber das schien egal. Doch zunächst waren ja auch wartende Passagiere an Bord, die an Land wollten. Ebenso weitere Lastwagen und andere Fahrzeuge. Wie zwei aufeinanderprallende Wogen bewegten sich die Massen gegeneinander. Und schon war das eine oder andere Handgemenge im Gange.
Ich hatte mich vorsichtigerweise etwas abseits gehalten. Irgendwo in der Menge hielt ein verzweifelter Angestellter der Fährgesellschaft ein Schild mit der Aufschrift „Karpathos“ hoch. Also war das wohl nicht die Fähre nach Ios. Das konnte unter diesen Umständen auch noch dauern. Es würde wohl besser sein, sich in eine der kleinen Snack-Bars zu setzen und abzuwarten.
Ich orderte ein Glas Retsina und einen Teller Zaziki mit Oliven und amüsierte mich über dieses blanke Chaos. „Treli oli! Alles Verrückte!“, kommentierte der Wirt das Hauen und Stechen. Er würde allerdings heute den besten Umsatz des Jahres machen, da war ich mir sicher.
Irgendwann war der Bauch der Fähre frisch gefüllt mit Fahrgästen. Nach wie vor warteten genügend weitere Passagiere an der Mole, die unbedingt mitfahren wollten. Aber die Ladeklappe schloss sich unwiederbringlich. Böse Rufe hallten ihr hinterher. Wie ich von meinem etwas erhöhten Platz sehen konnte, hatten sogar drei Männer Anstalten gemacht, einen Fischerkahn zu entern.
Ein paar Meter von mir entfernt war wohl der Besitzer ebenfalls bei einem Ouzo gesessen. Jetzt war er aufgesprungen und stürmte durch die wartende Menge zu seinem Boot. Er war mir nicht weiter aufgefallen, als er in seiner Ecke saß. Aber als er mit seiner hünenhaften Gestalt an mir vorbeistürmte, konnte ich ihn ziemlich genau sehen. Ich hatte so eine Ahnung, sprang auf und hinter ihm her. Er war aber mindestens zwei Köpfe größer als ich und schaufelte sich durch die Menge einen Weg, indem er mit seinen riesigen Händen wie Windmühlenflügel arbeitete. Er war mit deutlichem Vorsprung vor mir an seinem Boot angekommen, während ich kaum noch vorwärtskam. Die Schneise, die er gepflügt hatte, schloss sich vor mir.
Die drei Männer hatten ihre Koffer schon an Deck abgestellt, und zwei waren schon an Bord gegangen. Der Dritte kam jetzt auf den Eigentümer zu. Bruchstückweise konnte ich hören, dass sie ebenfalls nach Ios wollten und beschlossen hatten, dass er sie dorthin bringen soll. Ich kam langsam näher und konnte die Unterhaltung genauer verstehen. Original wurde sie in Englisch geführt.
„Runter von meinem Boot!“, forderte er sie auf.
„Stell dich nicht so an, du kriegst ein paar Drachmen von uns und dann schipperst du uns rüber nach Ios!“
„Ich habe Besseres zu tun, als besoffene Touristen zu befördern.“ Er baute sich bedrohlich vor dem Wortführer auf. Die beiden anderen machten keine Anstalten, das Boot zu verlassen. „Zum letzten Mal, runter oder ich hol euch!“
Ohne weitere Vorwarnung holte der erste Pirat aus und wollte dem Bootseigner einen Kinnhaken versetzen. Mühelos wich der aber aus und fing die Faust am Handgelenk ab. Eine kurze Drehung, und schon hatte er ihm den Arm auf den Rücken gebogen. Mit einem kräftigen Tritt in den Allerwertesten beförderte er ihn mit dem Schädel gegen ein Verkehrsschild. Reglos blieb er liegen. Dann stapfte der Kapitän an Bord und trotz heftiger Gegenwehr schnappte er die beiden anderen am Kragen. In hohem Bogen landeten sie klatschend im Wasser. Prustend tauchten sie wieder auf, nur um zuzusehen, wie ihre Koffer an Land flogen und sich durch die Wucht des Aufpralls öffneten.
Ich betrat die Planke zum Boot. Sie knarrte etwas. Von dem Geräusch aufgeschreckt fuhr der wütende Riese herum und kam schnell auf mich zu.
„Ist noch Platz für einen Passagier nach Ios?“, fragte ich ihn grinsend. Verdutzt blickte er mich an und blieb stehen. Dann huschte ein erkennendes Lächeln über sein Gesicht.
„Felix, File mou! Felix, mein Freund!“ „Hallo Noda!“, antwortete ich ihm. Er fiel mir um den Hals, soll heißen, er quetschte mich an seine Brust, dass ich glaubte, ich hätte alle Rippen gebrochen.
„Was machst du auf Santorin?“
„Das wollte ich dich auch fragen. Eigentlich will ich nach Ios zum Urlaub machen, aber scheinbar hat der Meltemi etwas dagegen.“
„Ich freue mich, dich wieder zu sehen! Wie lange ist das her?“, wollte er wissen.
„Nun, genau sieben Jahre. Ich will zwei Wochen bei Euch bleiben!“
„Kala, kala. Gut, gut!“, freute er sich. „Aber natürlich kommst du mit mir! Wir holen dein Gepäck!“, forderte er mich auf. Wir gingen zur Taverne zurück, wo meine Koffer noch standen. Ich bezahlte und folgte Noda. Er hatte keine Probleme, Platz zu bekommen. Viele hatten die Aktion mitbekommen und hatten keine Lust, ebenfalls im Hafenbecken zu landen. Auch die Möchtegern-Piraten hatten inzwischen das Weite gesucht.
Er machte die Tampen los, und schon verließen wir das immer noch tobende Tohuwabohu. Noda hatte einen Motorsegler, mit dem er immer zum Fischen fuhr. Er war ein typischer Grieche, wie man ihn sich im Film vorstellte. Eine Art Alexis Sorbas, nur jünger und größer, aber den gleichen schelmischen Gesichtsausdruck. Ich hatte ihn zuerst nicht erkannt. Als ich ihn vor sieben Jahren kennengelernt hatte, war er frisch rasiert. Jetzt hatte er einen dichten, schwarzen Bart mit einigen grauen Haaren darin, die ihn etwas reifer als seine tatsächlichen 37 Jahre machten.
„Was machst du hier auf Ios?“, wollte er wissen.
„Noch bin ich nicht da, aber ich will eigentlich nur meine Ruhe und ausspannen.“
Er lachte dröhnend mit seiner tiefen Stimme. „Und da fährst du ausgerechnet nach Ios? Es ist wirklich lange her, dass du da warst.“ Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, den entgegenkommenden Fähren auszuweichen. Ich verstand nicht ganz, was er meinte, aber im Moment fesselte mich der Anblick des Kraterinneren. Die Farben in dem senkrecht hoch aufsteigenden Vulkanrand waren unbeschreiblich. Im Zentrum des Kraters waren in jüngerer Zeit zwei neue Vulkaninseln aus dem Meer emporgestiegen, die stinkende Schwefelgase ausstießen. Die rauchenden, tiefschwarzen Massen hatten ihnen den Namen Palea- und Nea-Kameni eingebracht, die „alte und neue Verbrannte“.
Das Meer war immer noch unruhig, besonders als wir durch den schmalen Isthmus aufs offene Meer steuerten. Ich musste mich gut festhalten.
„Warst du fischen, Noda?“
„Auf Santorin? Nein, ich hab den Bauch voll Wein, in meinem Schiff, meine ich.“
„Hast du so großen Durst?“ „Das auch, aber ich habe eine 24-Stunden-Bar am Strand aufgemacht. Das bringt mehr ein als das Fischen. Die Ägäis ist fast leergefischt. Das verdammte Dynamit!“
Er grinste und zeigte mir seine linke Hand, an der ein Finger fehlte. In dieser Region war es bis in die achtziger Jahre üblich gewesen, eine Dynamit-Ladung über dem Wasser zu zünden. Die Druckwelle brachte die Schwimmblase der Fische zum Platzen und sie trieben nach oben, an die Meeresoberfläche. Dort brauchten sie nur noch eingesammelt werden. Damit wurde auch die jüngere Brut vernichtet. Damit war bald das Meer leergefischt und die Fischer hatten sich selbst die eigene Grundlage ihrer Existenz entzogen. Als ich das erste Mal auf Ios war, hatte ich noch nicht viel von den Problemen bemerkt, die die Fischer hatten. Aber da war ich auch fremd gewesen und konnte die Landessprache nicht. Noda hatte mir damals geholfen, die felsige Hafeneinfahrt zu meistern. Ich hatte Gegenwind und musste ständig kreuzen. Er nahm mich damals kurzerhand in Schlepptau und verhinderte damit eine mittlere Katastrophe oder eine größere Menge Kleinholz.
So waren wir Freunde geworden. Und jetzt schipperten wir über das Meer Richtung Ios. Ich freute mich wahnsinnig, die kleine Insel wiederzusehen. Wir unterhielten uns in einer Mischung aus Englisch und Griechisch.
„Kannst du denn von einer Bar