Mordsschock!. Gaby Hoffmann

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Название Mordsschock!
Автор произведения Gaby Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656647



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so freundlich, mich hier baden zu lassen.“

      Weil ich wenig Lust verspürte, einem Ehekrach beizuwohnen, zog ich mich in Windeseile an und verließ das gastliche Haus.

      Kapitel 6

      Ich wollte meinen lieben Kollegen zeigen, welche brillante Journalistin in mir steckte! Aber die guten Geschichten lagen in einer soliden Kleinstadt nicht auf der Straße. Ich pendelte zwischen Kaninchenzüchtern, Wohltätigkeitsbasaren und Häkelclubs hin und her. Während ich beim Seniorennachmittag im Gemeindehaus Fotos machte, schnappte ich zufällig ein Gespräch zwischen zwei alten Damen auf.

      „Wo ist eigentlich Hildegard? Die habe ich lange nicht gesehen“, wisperte eine graugelockte, füllige Frau mit weißer Folklorebluse und braunem Wollrock ihrer Nachbarin zu.

      Die Angesprochene, eine dürre Frau im Blümchenkleid, die ihre Haare zu einem altmodischen Knoten zurückgesteckt trug, stellte die bauchige Kaffeekanne ab, aus der sie sich eben nachgeschenkt hatte. „Hildegard ist nach Mallorca geflogen. Sie brauchte Abstand. Du weißt ja, dass Hildegards Enkelsohn Peter sich in der Kieskuhle totgefahren hat. Dieses Unglück war natürlich ein schwerer Schlag für die Familie!“

      Ich zögerte höchstens eine halbe Minute. Jener Peter musste der Nachwuchspolitiker Peter Heimann sein, der zugedröhnt mit seinem Auto einen Abhang hinuntergestürzt war. Vielleicht ließ sich aus diesem Drama etwas drehen.

      Energisch trat ich zwischen die beiden alten Damen und zwitscherte mit meiner nettesten Stimme: „Ach, entschuldigen Sie bitte! Ich habe zufällig Ihre Unterhaltung mit angehört. Dieser Peter, das war doch der Politiker?“

      Die füllige Frau nickte eifrig, sodass ihre Locken nach links und rechts pendelten.

      „Kannten Sie ihn gut?“

      „Vom Sehen. Netter Junge! Fleißig, korrekt und hilfsbereit“, schwärmte die Füllige, während die Dürre mich mit zusammengepressten Lippen misstrauisch beäugte.

      Ich ließ mein Gehirn kurz rotieren. Auf Peter Heimanns Drogenkonsum brauchte ich die beiden gar nicht erst anzusprechen, in dieser Richtung wussten sie garantiert nichts. Mir ging der erste Unglücksfall am gleichen Ort nicht aus dem Kopf. Wenn auch die Ermittlungen der Polizei in beiden Fällen auf Selbstmord lauteten, leuchtete mir der Zufall nicht ein. Meine ‚Gruppenzwang-Theorie‘, die ich Herbie ohne große Resonanz erläutert hatte, keimte wieder. „Haben Peter und seine Freunde in der Kieskuhle öfter Autorennen veranstaltet?“, startete ich in die Offensive.

      Die beschauliche Idylle einer Kleinstadt lassen sich ihre Einwohner nicht von einer ehrgeizigen Journalistin vergiften. Jedenfalls sanken die Mundwinkel der beiden Damen bis zum Fußboden, und die Füllige funkelte mich böse an. „Was wollen Sie von uns?“

      „Fahren junge Leute manchmal in der Rosenhagener Kieskuhle mit ihren Autos um die Wette?“, wiederholte ich geduldig, als wäre sie zu alt, um mich auf Anhieb zu verstehen.

      „Ich weiß nicht, was Ihre Fragerei soll!“, schimpfte die Füllige.

      Die Dürre pflichtete ihr bei: „Lassen Sie uns in Ruhe! Man darf nicht auf dem Unglück anderer Leute herumhacken.“ Demonstrativ zeigten mir die Damen ihre kalten Schultern und widmeten sich intensiv den vor ihnen stehenden Sahnetorten.

      Trotzdem waren sie schuld daran, dass ich beschloss, das Thema aufzugreifen. Gelang es mir, die Selbstmordtheorie der Polizei zu widerlegen und irgendwelche Gegenbeweise zu finden, würde ich meine Stellung innerhalb der Redaktion festigen. Ich brauchte dringend eine gute Story, um mein angekratztes Image beim Chef aufzupolieren. Dann könnte ich auch wegen einer Gehaltserhöhung anklopfen. Tja, und wenn sie saftig genug ausfiel, würde ich Vic zu mir holen, träumte ich weiter. Sicherheitshalber warf ich einen Blick in das zerknüllte Rosenhagener Tageblatt, das ich in meiner Tasche mit mir herumschleppte. Ich schlug die Horoskop-Seite auf: Intelligenz-Planet Merkur liefert berufliche Visionen und blendend neue Ideen. Es fehlen nur die richtigen Handgriffe. Na, bitte, und die richtigen Handgriffe würde ich anwenden, um meinem Schicksal auf die Sprünge zu helfen!

      Anstatt zurück in die Redaktion zu fahren, schaute ich mir die Kieskuhle an. Sie lag außerhalb der Stadt. Von der Hauptstraße, die ein kleines Dorf in zwei Hälften zerpflückte, musste man links auf einen Asphaltweg abbiegen, der in längeren Bögen direkt auf die sandigen Wege der Kieskuhle zuführte. Hier gab es sogar einen kleinen Parkplatz. Auf dieser Seite hatte sich ungehindert wilde Vegetation ausgebreitet. Es duftete nach Kräutern. Grasbüschel, Sauerampfer und Kamille identifizierte ich mit meinen eingeschränkten botanischen Kenntnissen. Dazwischen versperrten niedrige Bäume und Buschwerk die direkte Sicht auf den kleinen See in der Mitte. Ich kämmte mit den Händen einen pieksenden Ginsterbusch und kletterte zum Wasser runter. Trübe schimmerte es im fahlen Abendlicht. Es roch nach Schwermetallen. Im Sommer wurde der See zum Baden genutzt, hatte ich mir sagen lassen. Ich kniete mich hin und versuchte vergeblich, auf den Grund zu schauen. Undurchdringliche Tiefe.

      Gebaggert wurde am anderen Ufer. Zwischen hohen Sandbergen parkten orangefarbene Bagger. Verrostete Rohre und Schutt lagen dort herum. Auf der Seite mündete der See in eine Pumpanlage. Wenn Rennen veranstaltet wurden, dann auf den engen, kurvigen Sandwegen, die sich durch das ganze Gebiet schlängelten. Manche fielen steil zum Wasser ab. Riskant, dort mit dem Auto zu fahren. Freiwillig würde ich die holprigen Wege nicht längs düsen. Aber wenn man sich umbringen wollte ...

      An irgendeiner Stelle war Peter Heimann von der Fahrbahn abgekommen. Das gleiche Schicksal hatte einige Monate vorher hier seinen Fraktionskollegen ereilt. Freiwillig oder unfreiwillig? Wie einsam es war! In der Ferne nur weite Wiesen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Von Menschen keine Spur. Dumpfes Muhen der Kühe ertönte als einziges Geräusch. Ich meinte, die Stille zu hören, ja, sie sogar körperlich zu spüren. Aber sie war nicht friedlich, sondern unruhig. Wie eine gallertartige Masse waberte sie unsichtbar um mich herum. Als drohte sie mir, mich mit ihren Fangarmen zu ersticken, weil ich in ihre Welt eingedrungen war. Ein seltsamer Ort!

      Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, wie die Dunkelheit langsam, Stück für Stück, Bäume, Büsche, Sandberge und den See einhüllte.

      Raschen Schrittes marschierte ich zurück zum Auto. Dort stellte ich fest, dass der Autoschlüssel verschwunden war. In meiner Jackentasche klaffte ein Loch, durch das ich bequem Daumen und Zeigefinger gemeinsam stecken konnte. Verflixt! Ich verfluchte meine Schlampigkeit.

      Ohne Licht war ich hier aufgeschmissen. Mir kam es an diesem Ort extrem finster vor. An einigen Stellen robbte ich auf allen vieren über den Sand, tastete Grasbüschel und Steine ab, fuhr entsetzt zurück, weil ich eine schleimige Nacktschnecke berührt hatte, und zog mir mindestens einen Dorn und zwei Schrammen zu. Wie gut, dass niemand meine idiotischen Verrenkungen beobachtete!

      Endlich entdeckte ich meinen Autoschlüssel neben einem großen Stein auf dem Fleck, wo ich mich vorhin hingekniet hatte, um ins Wasser zu starren. Erleichtert steckte ich ihn ein.

      Da sah ich plötzlich schräg gegenüber in der Ferne ein Licht aufblitzen. Ein Scheinwerfer. Mein Herz schlug schneller. Ich verkroch mich hinter dem Stein. Wurde ich live Zeugin eines heimlichen Autorennens? Ein Motor heulte. Hässliches Knattern zerschnitt die Stille. Jemand grölte unartikulierte Laute. Das Licht kam näher. Ich kniff die Augen zusammen. Nach so viel Finsternis blendete es. Im Scheinwerferlicht sah ich zwei Jugendliche auf Mopeds hocken, die sich damit vergnügten, einige flachere Sandhügel rauf und runter zu sausen. Enttäuscht lief ich zu meinem Auto zurück.

      Allerdings – wenn Jugendliche die Kieskuhle als Treffpunkt für ihre Mopedrennen auswählten, warum sollten sich nicht junge Erwachsene zum illegalen Cruisen verabreden? So weit hergeholt fand ich den Gedanken nicht.

      Während der Heimfahrt klingelte mein Telefon.

      „Wo treiben Sie sich herum?“, keifte mein Chef. Es interessierte ihn nicht ernsthaft, denn er wartete keine Antwort ab. „Sie hätten seit Stunden zurück sein müssen. Auf Ihrem Dienstplan stand heute Abend eine Vernissage. Jetzt musste Frau Zöllner für Sie einspringen, die frei hatte.“ Er schimpfte über unverantwortliches Herumtreiben.