Mordsschock!. Gaby Hoffmann

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Название Mordsschock!
Автор произведения Gaby Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656647



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      „Fragen Sie Frau Zöllner! Sie ist nicht gut auf mich zu sprechen. Und vorhin war sie lange unten bei Willy. Ihr würde ich zutrauen, dass ...“ Der Rest meiner Anklage blieb mir im Halse stecken, als ich das finstere Gesicht meines Chefs sah.

      „Haben Sie Beweise?“

      Aufgrund seiner eiskalten Stimme hielt ich es für klüger, einen Rückzieher zu machen. „Bitte, vergessen Sie, was ich gesagt habe!“ Ehe er antwortete, verließ ich das Büro und bereitete mich seelisch auf meine zweite Kündigung innerhalb von drei Monaten vor.

      Im Laufe des nächsten Tages versuchte ich krampfhaft, unsichtbar zu sein.

      Mein bedrücktes Gesicht fiel der Riechling auf. Sie bot mir eine Krokantpraline an und fragte neugierig: „Sie haben wohl Ärger?"

      Die Praline quoll in meinem Mund zu einem Hefekloß auf.

      „Sicher mit Gundula. Die gönnt ja keinem was. Als ich mal früher nach Hause bin, wegen eines Arzttermins, hat sie mich gleich angeschwärzt. Von wegen – das ständige Telefonklingeln wäre nicht zum Aushalten. Und sie habe sich geopfert und meinen Dienst neben ihren zahlreichen anderen Aufgaben mitübernommen.“ Zärtlich streichelten die Blicke der Riechling ihre Pralinen. Sie zog ein viereckiges Stück Nussnougat aus der Schachtel und steckte es sich langsam und genussvoll in den Mund. Während sie kaute, glühten ihre teigigen Wangen glücklich. „Wissen Sie, dass die in den Chef verliebt ist? Die schmeißt sich an die Männer ran. Neulich hat sie ...“, die Dicke flüsterte mir Klatsch ins Ohr, ihre schokoladige Nussnougat-Fahne lullte mich ein.

      In solchen Momenten mahnte mich eine innere Stimme: Pfui, Tratschen ist schlecht, hat deine Mutter gesagt! Gleichzeitig tönte eine weitere Stimme in mir: Es gehört sich nicht, bringt aber unheimlichen Spaß! Und jetzt hatte ich quasi Narrenfreiheit. Seit gestern reihte ich mich in die Reihe der schlimmsten Klatschbasen ein: der Petzen! Schlimmer – der Petzen, die Gerüchte ohne Beweise aus dem Bauch heraus verbreiten!

      Nachmittags nahm mein Fall eine überraschende Wendung. Jelzick fuchtelte mit einer Ausgabe unserer heutigen Zeitung herum. Ein breites Grinsen stand auf seinem fetten Gesicht, und das zu kurze Sweatshirt rutschte auf halb vier nach oben, woraufhin sein schwabbeliger Käsebauch hervorblitzte. „Ich habe deine Fotos gefunden! Die, die du gestern überall gesucht hast. Hättste gar nicht gebraucht, die sind schon drin.“

      „Wo drin?“

      „Na da, wo sie reingehören. In unserer Zeitung!“ Triumphierend hielt er mir die Ausgabe unter die Nase.

      Auf der Eins rangierte mein Aufmacher über den Gottesanger. ‚Von Nina Campbell‘ stand darunter. Normalerweise wäre ich jetzt stolz gewesen, aber aufgrund des gestrigen Vorfalls freute ich mich nicht. Meine Fotos vom Gottesanger entdeckte ich nicht. Ich blätterte die Zeitung durch.

      Jelzick riss mir die Zeitung aus der Hand, blätterte weiter und stupste ungeduldig auf eine Stelle. „Na guck doch, da!“

      Tatsächlich meine Fotos! Nicht auf Seite eins, sondern auf Seite sechs. Und auch da an einem ungewöhnlichen Ort. ‚Fortbewegung der leichten Art‘, stand verlockend über einer C&A-Anzeige für Schuhmoden. Darunter klebten aufgefächert meine Fotos. Statt modischer Treter erschien versetzt immer wieder der Gottesanger. Ich muss sagen, das Ganze sah ungemein künstlerisch aus und peppte die Anzeige enorm auf.

      Der findige Jelzick hatte natürlich auch gleich des Rätsels Lösung – ein Polizeireporter ist eben ein halber Detektiv. „Da hat Willy wohl mal wieder den Bauchkleber gemacht!“

      Offensichtlich hatte Willy, der seinen umfangreichen Bauch gerne auf die Tischkante stützte, die selbstklebenden Fotos nichtsahnend auf diese Weise an der falschen Stelle platziert. Ich wusste nicht so recht, ob ich lachen oder weinen sollte. Hätte ich bloß nichts über Gundula gesagt, dann wäre ich jetzt aus dem Schneider.

      „Nun guck bloß nicht so trübsinnig aus der Wäsche! Du hattest die Fotos ja nicht verschusselt“, tröstete mich der ahnungslose Jelzick.

      Herbie wuchs heute, sobald er in meine Nähe kam. Er reckte sich auf die Zehenspitzen, straffte die Schultern und fragte mit belegter Stimme: „Du bist neu in der Stadt und kennst sicherlich noch nicht viele Leute hier. Hättest du nicht Lust, heute Abend bei mir vorbeizukommen? Wir könnten ein Glas Wein trinken.“ Als ich nicht sofort antwortete, schob er hastig hinterher: „Meine Frau ist mit den Kindern verreist.“

      Aha, daher wehte der Wind. Da fiel mir etwas ein: „Hast du ein richtiges Haus mit allem drum und dran?“

      Verständnislos guckte Herbie mich an.

      „Ich meine mit Terrasse, Einbauküche, Badewanne ...“, zählte ich harmlos auf, wobei es mir nur auf Letzteres ankam.

      Herbie nickte verwundert.

      „Ne, das finde ich klasse, wenn man so was hat!“, begründete ich meine seltsame Fragerei. „Also um neun bin ich da!“

      Mein Kollege strahlte, bildete ich mir zumindest ein. Jedenfalls beflügelte mich meine weibliche Attraktivität und weckte neue Lebensenergie. Ich lieh mir von Herbie 20 Euro, um endlich das Sparbuch für Vic zu eröffnen. Leider rann mir Geld immer durch die Finger. Ich gab es schneller aus, als ich es verdiente. Für Klamotten, Zigaretten, Drinks und was weiß ich ... Das musste anders werden – Sparbuch war ein super Anfang!

      Die Rosenhagener Oberschicht beschränkte sich auf zwei Wohnalternativen. Entweder das großzügige Anwesen im grünen Vorort oder die exklusive, toprenovierte Jugendstilvilla im Zentrum. Daran konnte Herbie mit seinem weißen Bungalow am Stadtrand nicht kratzen, aber die relativ neuen Einfamilienhäuser der Siedlung am Beimermoor signalisierten ganz passable Gehälter der Anwohner. Bonanzafahrräder, Gokarts, Bobbycars, Sandkästen und Schaukeln ließen auf eine kinderreiche Nachbarschaft schließen. In den meisten Carports parkten zwei Autos: der Mercedes für ihn, der Kleinwagen oder Kombi für sie – spekulierte ich klischeehaft. Eine Kolonie der Besserverdienenden.

      Mir blieb nur eine möblierte Einzimmerwohnung in einem Mehrfamilienhauswohnblock gegenüber vom städtischen Parkhaus, die stark an meinen finanziellen Möglichkeiten schabte und mich ständig mit dem Kohleintopf-Geruch meiner Nachbarin belästigte.

      Gegen Fremdgerüche war Herbie gefeit – den Abstand zu den Häusern links und rechts regulierten einige hochgewachsene Kiefern und ein Zaun. So ein kleines Häuschen mit Garten wäre für Vic und mich genau das Richtige ...

      Ich verscheuchte meine Hollywoodfamilienträume und klinkte die weiß lackierte Pforte auf, die in einen gepflegten Garten mit der typischen Stiefmütterchen-Narzissen-Tulpen-Gruppe führte. Eine gelb blühende Forsythie lockerte das Bild farblich auf. Es dämmerte schon. Plötzlich hörte ich seltsame, hohe Schreie. Hinter der Asphaltstraße, die durch die gesamte Siedlung lief, führte ein Sandweg an einem kleinen Teich vorbei direkt ins Moor. Aus dieser Richtung kamen die Schreie. Es klang gespenstisch, als sei die friedliche Idylle glücklicher Familien bedroht. Ich fröstelte. Rasch ging ich an einigen feinsäuberlich aufgereihten Buchsbäumen in Kübeln vorbei und klingelte.

      „Was sind das für unheimliche Töne?“, fragte ich Herbie anstatt einer Begrüßung.

      „Die ersten Auerhähne auf der Balz. Brunftschreie.“

      „Hua, klingt ja schaurig!“ Ich schüttelte mich und trat mir ohne Aufforderung die Füße auf einer Bastmatte ab. Der rote Steinboden des Vorflurs glänzte so, dass ich bedenkenlos dort ein Picknick veranstaltet hätte. Kein Kinderspielzeug auf dem hellen Parkett, keine Zigarettenkippen in Blumentöpfen, kein schmutziges Geschirr auf den Tischen. Der blaue Teppich sah gesaugt aus, die blaugemusterte Garnitur war fleckenlos und die weiße Schrankwand staublos.

      „Wie aus der Werbung!“, lobte ich Herbie, der mich sportlich leger im karierten Holzfällerhemd und Jeans empfing. Zwischen einer blütenweißen Häkeldecke und einem gedrechselten Kerzenhalter hatte er auf dem Couchtisch eine Flasche Beaujolais mit zwei Gläsern und diverse Knabbersachen deponiert. Im Hintergrund säuselte eine Klassik-CD.

      „Willst du die Kerzen nicht anzünden? Das finde ich