Krieg und Freundschaft. Thomas Pattinger

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Название Krieg und Freundschaft
Автор произведения Thomas Pattinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738023923



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freien Minuten, die sie hatten, mussten sie Dienstgrade auswendig lernen. Roland kam das anstrengende Programm gerade recht, da es ihn ablenkte und er nicht ständig der Realität ins Auge blicken musste.

      Den Abschluss der Woche bildete ein dreißig Kilometer langer Eingewöhnungsmarsch am Samstag. Mit voller Ausrüstung und schwerem Marschgepäck, zogen die einzelnen Gruppen frühmorgens los. Da die Kaserne am Stadtrand gelegen war, erreichten sie schnell unbewohntes Gebiet. Sie marschierten auf Wald- und Wiesenwegen durch flaches Terrain. Daran war Roland nicht gewöhnt. Nirgends waren Berge oder Hügel zu sehen, nur Flachland, so weit das Auge reichte. Bereits nach wenigen Kilometern schmerzten seine Füße, da seine Schuhe viel zu klein waren. Auch Andi klagte beiläufig darüber, als die beiden nach einer Weile ins Gespräch kamen.

      »Weißt du Roland, mittlerweile finde ich es gar nicht mehr so schlimm hier. Es ist zwar eine etwas andere Welt, als wir sie gewohnt sind, aber wir müssen sowieso damit klarkommen. Wir sollten die Zeit hier noch genießen, so gut es geht. Wer weiß wo wir nachher hinkommen. Ein paar Leute aus dem Zimmer wollen morgen ein wenig die Stadt erkunden. Bist du dabei?«

      »Ich weiß noch nicht genau. Eigentlich wollte ich meinen Eltern und Lilli schreiben.«

      »Das kannst du ja vorher machen. Komm‘ mit, die Ablenkung tut dir bestimmt gut. Wir müssen wieder einmal raus aus der Kaserne und unter normale Menschen kommen.«

      »Vermutlich hast du Recht, Andi. Wie weit ist es eigentlich noch?«

      Mit dieser Frage wandte sich Roland von Andi ab und blickte nach vorne, wo Kainz mit der Karte und dem Kompass lief.

      »Wenn wir jetzt da sind, wo ich glaube, dann haben wir noch etwa zwanzig Kilometer.«

      Ein Stöhnen ging durch die Gruppe. Viele hatte bereits Blasen an den Füßen oder waren an solche Strapazen einfach nicht gewöhnt.

      »Ich würde vorschlagen, wir machen hier eine Pause und stärken uns etwas«, gab Kainz nach hinten durch.

      An Ort und Stelle legten die Soldaten ihr Gepäck ab und setzten sich darauf. Sie aßen etwas von der mitgebrachten Marschverpflegung, ehe sie ihren Weg durch einen kleinen Wald fortsetzten. Man sah der Natur an, wie sie sich auf den Winter einstellte. Die Blätter waren braun geworden und segelten von den Bäumen herab. Kühler Wind fegte über die taufrischen Wiesen hinweg. Das Vogelgezwitscher war aus den Wäldern verschwunden und Stille kehrte allmählich ein. Langsam spürte Roland neben seinen Beinen auch, wie ihm Nacken und Rücken wehtaten. Der Gurt, an dem die Waffe um den Hals hang, drückte bei jedem Schritt heftiger und der Rucksack schien immer schwerer zu werden.

      »Nur nicht zu viel den Kopf darüber zerbrechen«, sagte sich Roland innerlich. »Immer einen Schritt vor den anderen setzen und dabei nach vorne blicken.«

      Auch das offensichtliche Leiden anderer lenkte ihn von seinem eigenen ab. Ein paar Kameraden waren fünf Kilometer vor dem Ziel total am Ende ihrer Kräfte und rissen immer wieder ab. Andi, der kräftig gebaut und körperliche Strapazen gewohnt war, nahm sich ein Herz und trug für einen Kameraden den Rucksack. Dieser war ihm sehr dankbar und schaffte es ohne die schwere Last leichter, Schritt zu halten. Roland, selbst am Ende seiner Kräfte, nahm sich Andi als Vorbild und übernahm ebenfalls das Gepäck eines anderen.

      Je näher es dem Ende zuging, desto gereizter wurden einige der jungen Männer. Einer, der bisher tapfer durchgehalten hatte, brach auf den letzten Kilometern zusammen und musste von zwei anderen gestützt werden. Roland fiel auf, wie diese Prüfung die Gruppe allmählich zusammenschweißte und, dass es abseits der körperlichen Ertüchtigung noch einen wesentlich tieferen Sinn bei dieser Übung gab. Mit letzter Kraft erreichte die Einheit die Kaserne und das Glück über den Erfolg verdrängte die Schmerzen.

      Der Tag hielt keine weiteren Aufgaben mehr für sie bereit und so war für die dritte Gruppe des ersten Zuges nun das erste Wochenende als Soldaten angebrochen. Der direkte Weg nach dem Abtreten führte ins Zimmer, wo jeder nur noch darauf erpicht war, endlich das Gepäck abzulegen und aus den Schuhen heraus zu kommen.

      Als Roland seine Socken ablegte, entdeckte er an beiden Füßen große Blasen, die bereits aufgerieben waren. Noch viel schlimmer hatte es Andi erwischt, dessen Socken bereits von Blut durchtränkt waren. Roland schien darüber jedoch besorgter zu sein als Andi selbst. Wie bereits seit Kindestagen an, beschwerte sich Andi nicht darüber, sondern nahm es einfach hin. Es war eine Eigenschaft, die Roland so an ihm bewunderte.

      Nach einer warmen Dusche führte der Weg umgehend ins Bett. Auch wenn der Komfort sehr zu wünschen übrigließ, war es doch ein überwältigendes Gefühl, es endlich geschafft zu haben. Die erste Woche war überstanden. Roland dachte noch kurz an das Erlebte zurück, ehe ihm die Augen zufielen.

      Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch über den Dächern der Stadt. Es war das erste Mal seit er hier war, dass er nicht durch die unsanfte Stimme des Dienstführenden frühmorgens geweckt wurde. Verschlafen rieb er sich die Augen und ließ seinen Blick durch das Zimmer wandern. All seine Kameraden schliefen noch immer tief und fest. Roland stieg aus seinem Bett und wurde dabei schlagartig an den gestrigen Tag erinnert. Seine Füße und der Rücken schmerzten und er erfuhr den bisher stärksten Muskelkater seines noch so jungen Lebens. Die Füße waren wundgescheuert und die Schultern blau von den Riemen des Rucksacks. Nur sehr langsam brachte Roland seinen Körper in Bewegung und er fragte sich ernsthaft, ob dieser sich irgendwann an diese Form der Belastung gewöhnen würde. Er nutzte die stille Zeit, um einen Brief an Lilli zu verfassen:

       »Liebste Lilli,

       man hat uns zur militärischen Ausbildung nach Frankfurt am Main bestellt. Die eine Woche, die ich jetzt von zuhause weg bin, kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Täglich verlangt man uns aufs Neue einiges ab, aber es ist auszuhalten.

       Ich habe nette Kameraden, mit denen ich mich gut verstehe. Ein großer Teil hier stammt ebenfalls aus Österreich. Die Gemeinschaft ist sehr wichtig, denn allein ist man hier verloren. Andi und ich sind im gleichen Zimmer, worüber ich mich sehr freue. Er ist immer an meiner Seite und wir geben aufeinander Acht.

       In stillen Momenten denke ich oft an dich. Du fehlst mir so sehr. Ich habe zu meinem großen Glück ein Bild, das mich an dich erinnert. Neun Wochen bin ich noch hier, danach hoffe ich sehnlichst, dich wieder zu sehen.

       In Liebe

       Roland«

      Er faltete das Blatt und steckte es in ein Kuvert, welches er bereits vor einigen Tagen beschriftet hatte. Anschließend versperrte er den Brief in seinem Spind. Roland kehrte in sein Bett zurück und schloss erneut die Augen, in der Hoffnung, noch einmal in erholsamen Schlaf zu verfallen, doch seine Gedanken drehten sich immerwährend um Lilli.

      6

      Immer schneller zogen die Tage ins Land und der Winter hielt Einzug in Frankfurt. Die Temperaturen rutschten unter den Gefrierpunkt und mancherorts lag bereits Schnee. Besonders bei den ohnehin kräftezehrenden Nachtübungen bekamen die Soldaten die eisige Kälte zu spüren. Geschlafen wurde dabei im Freien, in Zelten zu jeweils acht Mann.

      Bei einer Übung Ende November fiel das Thermometer auf unter minus zehn Grad Celsius. Zudem wehte starker Wind aus Osten, der die Temperatur noch um einiges kälter empfinden ließ. Roland erwachte nach diesem strapaziösen Tag mitten in der Nacht, da ihn die Eiseskälte nicht länger schlafen ließ. Obwohl er alles angezogen hatte, was ihm zur Verfügung stand, fror er am ganzen Körper. Besonders kalt war ihm an den Beinen. Seine Zehen fühlte er kaum noch. Unruhig drehte er sich unter seiner Felddecke auf dem pickelharten Boden hin und her. Seine Glieder waren taub und er haderte immer stärker mit dem Drang, den Unterschlupf aufzugeben, um sich im Freien bewegen zu können. Die Minuten, in denen er nachdachte, zogen sich in die Länge. Schließlich siegte die Vernunft, da er ohnehin nicht in den Schlaf zurückfand. Im Dunkeln tastete er nach dem Ausgang und touchierte dabei versehentlich einen schlafenden Kameraden.

      »Was machst du da?«, fragte dieser mit genervtem Unterton in der müden Stimme.