Krieg und Freundschaft. Thomas Pattinger

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Название Krieg und Freundschaft
Автор произведения Thomas Pattinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738023923



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sie sich noch lange vor Sonnenaufgang auf den Weg gemacht, um den ersten Zug nach Linz zu erreichen. Ihr Gepäck bestand jeweils aus einem kleinen Lederrucksack, in dem sie wichtige Papiere und etwas Proviant aufbewahrten. Außer den beiden befand sich niemand im Abteil. Nach ein paar Minuten Fahrt begann es zu regnen und schwere Tropfen prasselten auf das Dach und die Fenster des Waggons. In den Augen von Roland und Andi spiegelte sich quälende Ungewissheit.

      Roland durchbrach als erster die Stille und stellte jene Frage, die ihn am meisten bedrückte und das obwohl er genau wusste, dass sein Gegenüber die Antwort nicht kannte:

      »Wo werden die uns bloß hinbringen, wenn sie in Linz mit uns fertig sind?«

      Andi wusste, dass sich Roland keine Antwort von ihm erhoffte, also ging er einfach ein paar Szenarien durch:

      »Ich habe gehört, letzten Monat haben sie welche aus dem Nachbarort nach Deutschland gebracht, um sie dort auszubilden. Sie sollen später in Frankreich eingesetzt werden.«

      »Nur nicht nach Russland«, murmelte Roland vor sich hin, »nur nicht nach Russland. Lillis Onkel ist gerade an der Ostfront und er hat bei seinem letzten Heimatbesuch von seinen Erlebnissen berichtet. Er spricht, wenn auch vorsichtig, ganz anders, als die Zeitungen schreiben.«

      »Ich glaube wohl kaum, dass sie uns dahin schicken. Da sind doch schon genug Deutsche und außerdem sprechen sie im Radio bereits davon, dass der Krieg im Osten kurz vor seiner Entscheidung steht. Moskau wird bald fallen.«

      Mit diesen Worten versuchte Andi sich und seinem Gegenüber etwas Mut zu machen. Es war schon schlimm genug, plötzlich von daheim weg zu müssen, da brachte dieses Rätselraten um einen möglichen Einsatz an der Front gar nichts.

      »Vielleicht stecken sie uns auch zum Arbeitsdienst«, warf Roland ein.

      »Wie hat Lilli reagiert, als du ihr das mit der Einberufung erzählt hast?«

      »Naja, begeistert war sie natürlich nicht, aber wir hatten beide schon irgendwie damit gerechnet, es traute sich nur keiner darüber zu sprechen. Wir haben gemeinsam einen wundervollen Sommer verbracht, doch seit dieser Brief aufgetaucht ist, war die Stimmung jedes Mal sehr gedrückt, wenn wir uns sahen. Sie hat sich zwar Mühe gegeben, mich aufzuheitern, aber sie konnte selbst nicht so recht mit der Sache umgehen. Wir haben es einfach so oft es ging verdrängt. Es hat mir bei unserem Abschied gestern sehr weh getan, als ich sah, wie sehr sie sich beherrschen musste, nicht zu weinen. Was hat dein Vater gesagt?«

      »Es hat ihn ebenso hart getroffen wie mich. Nicht, dass wir nicht damit gerechnet hätten, aber die Realität sieht wesentlich schlimmer aus als die Vorstellung. Es fiel mir sehr schwer, zu gehen. Nun ist er allein mit dem ganzen Hof und wird Tag und Nacht arbeiten müssen.«

      Halt um Halt näherte sich der Zug seinem Ziel. Bei Sonnenaufgang stiegen Roland und Andi in Linz aus. Der Regen hatte sich gelegt und ein paar Sonnenstrahlen durchstießen die dunkle Wolkendecke. In ihrem Brief wurde ihnen mitgeteilt, wo sie sich zu melden hatten, also machten sie sich umgehend auf den Weg. Andi, der zum ersten Mal in einer größeren Stadt war, staunte nicht schlecht über die hohen Gebäude und das rege Treiben auf den Straßen, jedoch fühlte er sich sichtlich fremd in dieser Wüste aus kahlen Fassaden und gepflasterten Straßen.

      Die zuständige Behörde, bei der sich die beiden zu melden hatten, war nicht besonders weit vom Bahnhof entfernt. Es handelte sich um ein großes, graues Gebäude, das lediglich mit Hakenkreuzfahnen geschmückt war. Mit einem unguten Gefühl im Bauch betraten sie das Innere der alten Gemäuer und erreichten einen großen Eingangsbereich, wo bereits andere junge Männer in ihrem Alter auf kargen Holzbänken Platz genommen hatten. Bei einem eingehenderen Blick in die Menge bemerkte Roland, dass sich auch Herren mittleren Alters unter den Anwesenden befanden. In den Gesichtern der Versammelten konnte man lesen, dass keiner sichtlich erfreut darüber war, hier sein zu müssen. Laufend trafen weitere Männer mit teils unsicherem, teils gleichgültigem Blick ein und der Raum füllte sich allmählich. Manche sprachen leise miteinander, andere saßen einfach nur da und starrten auf den kalten Marmorboden.

      Plötzlich wurde es still. Alle Blicke richteten sich zu jener Stelle, an der gerade eine Tür laut und bestimmt geöffnet worden war. Heraus trat ein älterer Mann in militärischer Uniform. Er blickte streng und warf einen prüfenden Blick in die erstarrte Menge. Seine Brust schmückten einige Abzeichen und Orden, von denen niemand der Anwesenden genau wusste, was sie bedeuteten. Trotzdem war sich jeder sicher, dass dieser Herr einen hohen Dienstgrad haben musste. Wortlos durschritt er mit erhobenem Haupt den Raum, alle Blicke auf sich gerichtet. Ohne stehen zu bleiben sprach er mit kräftiger Stimme in die Menge:

      »Guten Morgen, meine Herren! Bitte folgen Sie mir in den Lehrsaal.«

      Nachdem alle Anwesenden auf Holzstühlen Platz genommen hatten, begann der uniformierte Mann vorne an einem Pult zu sprechen:

      »Ich darf Sie im Namen des Führers hier in Linz begrüßen. Wie Sie bereits Ihrer schriftlichen Mitteilung entnehmen konnten, werden Sie, meine Herren, zum Dienst für Ihr Volk und Vaterland benötigt. Der Führer ist stolz auf Sie und schenkt Ihnen sein Vertrauen. Zuallererst kontrolliere ich die Namen der Anwesenden. Dafür rufe ich Sie auf, Sie erheben sich und bestätigen Ihre Anwesenheit mit einem kräftigen ‚Hier!‘.«

      »Andorfer Leonard.«

      »Hier!«

      »Sie sind geboren am fünften November Neunzehnhundertdreiundzwanzig. Ist das korrekt?«

      »Jawohl!«

      »Aschauer Franz.«

      »Hier!«

      Viele Namen wurden verlesen und viele der angehenden Soldaten meldeten sich überaus ängstlich und zögerlich. Der Stimmfall manch anderer hingegen war entschlossen und selbstbewusst. Roland schaute aus dem Fenster und beobachtete wie die Sonne über die roten Dächer der Stadt emporstieg. Er wagte sich nicht vorzustellen, wo er bereits nächste Woche sein könnte.

      »Steindl Roland«

      Blitzschnell wurde er in die Realität zurückgeholt. Reflexartig stand er auf und antwortete mit einem lauten »Hier!«.

      »Geboren am dritten Juni Neunzehnhundertdreiundzwanzig.«

      »Jawohl!«

      Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon so weit hinten im Alphabet angelangt waren und auch Andi, der bei »K« wie Kirchler an der Reihe gewesen war, hatte er nicht vernommen. Es folgten noch weitere Namen, bis alle 56 verlesen worden waren.

      »So meine Herren«, fuhr der Mann in Uniform fort, »Sie wurden gemustert und für tauglich befunden, darauf können Sie stolz sein! Unser Führer, Adolf Hitler, beauftragt Sie nun, das deutsche Vaterland und sein Volk zu schützen. Dies ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe. Ich erwarte deshalb großen Mut und vollste Hingabe.«

      Er sprach mit sehr entschlossener Stimme und betonte dabei einige Silben ganz besonders. Wild gestikulierend wirkte er dabei wie ein schlechter Schauspieler, der seinen Text tagelang auswendig gelernt hatte, den Inhalt aber nicht verstand.

      »Zur Vorbereitung für Ihren Einsatz kommen Sie in ein Ausbildungslager, wo Sie in acht Wochen alles lernen werden, was Sie später benötigen. Dort werden aus Ihnen schneidige Soldaten gemacht und ich erwarte mir äußerste Disziplin und vollste Mitarbeit. Die Transporte finden im Laufe des Tages statt. Warten Sie draußen, bis Sie aufgerufen werden. Irgendwelche Fragen dazu?«

      Natürlich brannten jedem Einzelnen tausend Fragen auf der Zunge, doch sie waren alle zu überrascht, zu geschockt, zu sprachlos, um sie zu stellen. Der Vortragende verließ schnellen Schrittes den Raum. Zurück blieben 56 ahnungslose, junge Männer.

      »Ich dachte mir nicht, dass das so schnell gehen würde. Das heißt ja, wir kommen gar nicht mehr nach Hause. Er hat uns nicht einmal gesagt wohin sie uns bringen.«

      Roland schluckte schwer, nachdem er diese Worte über die Lippen gebracht hatte. Ihm war die Farbe aus dem Gesicht gewichen und er konnte nicht aufstehen, so sehr schlotterten seine Beine. Bilder schossen durch seinen Kopf. Bilder von daheim, Bilder von Lilli. Alles war auf einmal so weit in die Ferne gerückt. Als hätte