Название | Steinige Jagd |
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Автор произведения | Thomas Jütte |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754140512 |
Nach diesem kurzen Gefühlsausbruch, wechselt er aber sofort wieder ins joviale Fach, ganz stolzer Istanbuler: "Dü ever seen bigger Cüty?"
Himmel, was für ein Stimmungsumschwung. Das geht bei diesen Brüdern hier aber rasch..., staunte Claus, und antwortete ungewohnt patriotisch aber recht zaghaft... "Ähm, Kittilä ist auch recht groß..."
Nach weiteren 30 schweißtreibenden Minuten, in denen der Fahrer die wenigen vorbeihuschenden Sehenswürdigkeiten herunterrasselte, erreichten sie endlich das Hotel.
Der schnauzbebärtete Langhaarige ließ es sich nicht nehmen, ihnen die volle Funktionsfähigkeit seiner Handbremse zu demonstrieren und schleuderte sein Auto samt Insassen in einer formvollendeten 180-Grad-Punktwende vor das Hotel - genauer gesagt, unsanft gegen den Bordstein am Hotel-Foyer.
"Lieber Gott und lieber Fahrer: Danke, dass wir noch leben dürfen", schickte Claus lauthals ein Stoßgebete gen Himmel sowie in Richtung dieses unglaublichen Ungläubigen.
Rooperti unterließ es bewusst, sich zu bedanken, da er augenblicklich anderweitig zu tun hatte: Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich die ansehnliche Beule, die er sich bei der "Punktlandung" zugezogen hatte, als er mit seinem Schädel das Seitenfenster einer Werkstoffprüfung unterzogen hatte.
Aus der Beule wurde eine blutende Platzwunde, als Santu die Fahrzeugtür ins Schloss werfen wollte und dabei übersah, dass sich sein Knecht gerade aus dem Fahrzeuginnere schälte.
"Autsch-oweh-oweh, wieder auf die gleiche Stelle", heulte der Knecht schmerzerfüllt auf.
"Selbst schuld. Was haust du auch mit dem Kopf gegen die Tür? Jetzt komm' endlich, und mach' nicht immer so Mätzchen."
Mit einem breiten Grinsen unter dem Schnauzbart offerierte die türkische Formel-1-Hoffnung Ünlü Büyüktürk den beiden den zu zahlenden Fahrpreis, der um fast das Doppelte ausfiel, als zuvor ausgemacht.
„Sightseeing küsten Special-Prize", begründete er seinen angeblichen Verstoß gegen die vermeintliche Abmachung.
Von echtem Sightseeing konnte natürlich keine Rede sein. Es sei denn, man verkaufte Staus, Autoabgase und schmuddelige Regenschirmverkäufer, die während des Stopp-and-go-Verkehrs sicherlich gute Geschäfte mit so manchem Autofahrer gemacht hatten, als Sehenswürdigkeiten.
„Mr. Red-Nose mit komisch Cap, jetzt bitte zahlen. Müst driven weiter, verstehsdü? Quick, quick", drückte Ünlü nervös, quasi im Stand, auf die Tube, was man auch als Zwischengas bezeichnen könnte.
Na gut, dachte sich Claus. Die Regenschirmverkäufer hatten sich ja schon gelohnt, und der Stau war auch recht sehenswert. Somit nickte er seinem Knecht zu, der Ünlü den Festpreis samt Zuschlag auf die ausgestreckte Kralle haute.
Mit einem trotz anschwellender Handfläche fröhlichen Eyvallah auf den Lippen, quietschenden Reifen und lautem Hupen raste der türkische Hamilton sogleich von dannen.
Angel's Palace
Angel's Palace war, wie es der Name vermuten ließ, ein wahrhaft himmlisches Hotel.
Die Lobby bemühte sich mit pastellenen Cremefarben zu gefallen. Die schweren Ledersessel und die vielen goldumrahmten Bilder und Spiegel verschwendeten dagegen eher sinnlos einen Hauch von Prunk. Auf der immerhin gemütlichen Dachterrasse des Hauses genossen die Gäste einen traumhaften Rundumblick: Auf das dunkle Meer, auf die festlich angestrahlte Blaue Moschee und auf die Hagia-Sophia, das alte Wahrzeichen Istanbuls, das auf die orthodoxe, byzantinische Vergangenheit verwies.
Bekanntlich war die Hagia-Sophia - Sophienkirche -, von den Einheimischen auch Ayasofya Müzesi genannt, was so viel wie „Heilige Weisheit" bedeutete, im 6. Jahrhundert das bedeutendste Zentrum der christlichen Religion im byzantinischen Reich. Auftraggeber war für das 56 Meter hohe und mit einer Kuppel mit 31 Metern Durchmesser versehene bauliche Kunstwerk seinerzeit der römische Kaiser Justinian. Lange Zeit war die Hagia Sophia das größte und prächtigste Bauwerk der Welt.
Nach der Eroberung durch die Osmanen im Jahre 1453 wurde das Bauwerk aber als Moschee genutzt. Zum Glück für die Nachwelt und zur Freude von Santu ließ ihr Eroberer, Mehmet II., die christlichen Kunstwerke in der Kirche, insbesondere die Mosaiken, unversehrt. Heute ist die Hagia-Sophia ein Museum. Noch. Denn schon "morgen", so zumindest die Pläne der präsidialen Regierungsriege, soll das Bauwerk gläubigen Muslimen wieder als Moschee dienen.
Ein Traum wurde für den Weihnachtsmann wahr: Die Hagia-Sophia, fast in Steinwurfweite. Das architektonische Wunderwerk, das er noch nicht einmal von oben gesehen hatte. Wie auch, führte ihre jährliche Route im Dezember seit der islamischen Ausbreitung leider nicht mehr über Kleinasien.
Der Mürrische
Nach Ünlü Hamiltons fliegendem Start enterte das weihnachtliche Duo die kleine Lobby des Hotels. An der Rezeption saß der Empfangsherr. Ein Mann mit pechschwarzen, öligen Haaren und einer äußerst mürrischen Visage. Das Auffallendste an ihm aber war sein Gesicht, das mit hektisch-roten Flecken übersät war. Der Mann saß auf einem beigefarbenen Kunststoffstuhl im imitierten Baumarktstil und starrte fasziniert auf den Bildschirm eines alten Dell-Computers, dessen direktes Vorgängermodell ein Atari-PC gewesen sein musste.
"Ähm", räusperte sich Santu dezent. Doch nichts geschah. Der Mann schien die neue Kundschaft gar nicht zu bemerken.
Ein klarer Fall für Rooperti, den Experten in Sachen Aufmerksamkeitsdefizite: "Hallo, jemand zuhause?!", bellte er förmlich in Richtung des Angestellten und knallte zur Unterstützung seiner Frage kraftvoll mit der flachen Hand auf die Theke, dass sogar die dort aufgestellte und mit Kupfermünzen gut gefüllte Spendenbox zugunsten der Millî Görüş-Bewegung einige Zentimeter von der Tischplatte abhob.
Auch der Angestellte hob ab, vor Schreck, und fiel fast vom Stuhl. Seine Gesichtsfarbe wechselte ins schockfarbene Weiß, das die roten Flecken im Nu verdrängte. Augenblicklich begann er, nuschelnd und kaum verständlich, einen stammelnden Wortschwall über die beiden neuen Gäste zu ergießen. Selbst ein mit zusätzlicher Blindheit geschlagener Hörgeschädigter hätte erkannt, dass diesem Herumgestotter eine Rechtfertigung zugrunde lag. Wer weiß, wobei sie ihn ertappt hatten. Wer weiß, wer weiß…
Der Mann hatte sich jedoch erstaunlich schnell wieder gefangen, so dass das Check-in-Verfahren letztendlich routiniert-zügig abgewickelt werden konnte: Ausweise raus, Anmeldung ausfüllen und unterschreiben. Dann rückte der Überraschte und nun wieder Mürrische den Zimmerschlüssel heraus.
Über eine Treppe, die schon bessere Zeiten erlebt hatte, und das bereits vor hundert Jahren, gelangten die beide schließlich zu ihrem Appartement, in die Angel's Suite.
Die Suite war sehr speziell eingerichtet. Im Schlafbereich dominierte, zwischen einem dunkelbraunen, auf alt getrimmten Schrank mit Spiegeltüren und einem recht großen, gardinenverhangenen Fenster, ein altertümliches Himmelbett.
Im „Salon" befanden sich eine Sitzgarnitur im osmanischen Biedermeierstil, eine kitschige Kamin-Imitation aus Gips, ein Sideboard, auf der ein, immerhin, moderner LED-Flachbildschirm stand, sowie eine dunkel vertäfelte Miniküche. An der Holzdecke aus braunen Paneelen dominierte ein protziger mehrflammiger Basket-Kristallleuchter aus Messing mit zahlreichen tropfenförmigen Bleikristallsteinchen, allesamt in gleicher Größe. Dieser Kronleuchter war wirklich eine wahre Augenweide - ganz im Gegensatz zu dem bereits partiell verschlissenen Teppich, der - in schmuddeligem hausstaubgrau - den ganzen Boden bedeckte, sah man einmal von den Ecken ab, die sich bereits hochrollten und den Blick auf den ebenfalls grauen Estrich freigaben.
„Chef, ich schau‘ mich mal in der Gegend um. Vielleicht finde ich eine neue Rute", riss Ropperti seinen Boss aus seinen Gedanken.
„Du bist wirklich gestört", murmelte Claus in seinen weißen Bart.
„Wie bitte?"
„Ich sagte: Ich habe dich gehört. Ja, geh' ruhig. Ich gönn' mir derweil ein wohlverdientes Päuschen."
Während Rooperti sich auf die Suche nach einem neuen Schlag-Utensil begab, machte