Magic Stoner. Frank Pfeifer

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Название Magic Stoner
Автор произведения Frank Pfeifer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189765



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das ist es, was ich doch will. Ich will in Ruhe gelassen werden. Ich fühle mich doch wie ein Junkie, dem das Heroin unter die Nase gehalten wird, wenn er die Wettervorhersage für seinen Sonntagsspaziergang abrufen möchte. Und jetzt werde ich ignoriert.«

       Ich schaute Nana an. Ein sichtliches Zeichen von Entspannung machte sich in ihren Gesichtszügen bemerkbar. Ihre Schultern waren etwas nach unten gesunken. Es tat mir wirklich leid, dass ich ihr das wieder nehmen musste.

       »Aber beim nächsten Einloggen in deinen Rechner wird dir eine neue IP-Adresse zugewiesen und Zamaon hat vergessen, dass du der böse Kunde bist, dann bist du wieder der gute, dem man tausend Sonderangebote unterschiebt.«

       Nana lächelte. Wissend und traurig.

       »Weiß ich, Five. Weiß ich. Aber das ist ein Anfang. Wenigstens für mich. Die ganze Zeit habe ich mich total ohnmächtig gefühlt. Überall wird man mit allem möglichen Scheiß überschwemmt. Man entkommt dem System einfach nicht. Aber es antwortet einfach nicht auf meine Schreie. Lasst mich in Ruhe, schreie ich immer wieder, aber niemand antwortet. Aber eben. Die Bestie hat geantwortet. Mein Schrei ist nicht sinnlos im Nebel verhallt. Ich wurde gehört. Denn die Bestie hat selbst gesagt: Lass mich in Ruhe. Aber das werden wir nicht, Five, oder? Wir lassen die Bestie nicht in Ruhe. Nicht, solange sie uns dauernd anbrüllt.«

       Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte ich schon sagen? Ich war mit meinem Latein am Ende. Wenn man den Riesen nicht mit den eigenen Waffen schlagen konnte, Software gegen Software, was sollte man denn da noch ausrichten können?

       »Und selbst? Was machen die Künste der Feindabwehr?«

       »Verschleierung!«

       »Was meinst du damit?«

       »Wie müssen unsichtbar werden. Vom Spielfeld verschwinden, um richtig spielen zu können. Pokerface. Keine sichtbaren IP-Adressen mehr. Keine GPS-Daten mehr. Rückzug ins Analoge.«

       Echt jetzt, dachte ein Teil von mir? Was für ein Aufwand. Mein geliebtes Handy weggeben? Denn damit konnte mich der INTERNATIONALE POLIZIST natürlich überall orten. Und auch Zamaon wusste, ob es mir Südfrüchte oder Schokolade anbieten musste, um meinen maximalen Kaufimpuls zu triggern. Im Schwimmbad die Südfrüchte, im Kino die Schokolade.

       Keine sichtbaren IP-Adressen? Die eigene IP-Adresse zu verschleiern war kein Kunststück. Man betrat das Internet einfach durch die anonyme Tür des Tor-Browsers.

       Beim Durchsuchen der Einstellungen der DOS-Software konnte man auch das Tunneln der IP-Adresse über den Tor-Browser einstellen. Unser anonymer Angriff auf Zamaon begann. Tausende von Anfragen und Handshakes mit dem fernen Server begannen. Und wie erhofft wurde unsere eigene IP-Adresse nicht gesperrt. Erneute schaute Nana voller Hoffnung auf das Display ihres Laptops, ob der Zusammenbruch des Systems sich offenbaren würde. Aber nichts geschah. Nana suchte nach Parfum bei BRILLE und schon wurde ihr bei Zamaon entsprechende Werbung dargeboten. Sie schrieb eine E-Mail mit dem Betreff Sonnenschein und schon wurden ihr auf Zamaon Urlaubsangebote unterbreitet. Mein anonymer Angriff lief auf Hochtouren und wurde einfach geschluckt. Mein kleiner Rechner gegen die Serverfarm eines Giganten. Nana hatte inzwischen sieben verschiedene Parfumsorten, eine Kreuzfahrtreise und zwanzig Liter Sonnenöl im Warenkorb. Ich musste sie vorsichtig vom Bildschirm wegziehen, bevor sie auf den Bezahlen-Button klickte.

       Ich drückte ihr ein schönes kühles FUCKING-BIER-INTERNATIONAL in die Hand. Sie zitterte. Aber sah mich glücklich an.

       »Das ist der richtige Weg, Five, das ist der richtige Weg, ich spüre es.«

       Ich nickte ihr zu. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so weit gehen würde. Es war doch nur ein Spiel. Aber die Frau vor mir sah nicht so aus, als ob das ein Spiel für sie wäre. Und auch mich selbst hatte ein gewisses Unbehagen ergriffen, das ich nicht einfach mit ein paar Schlucken kühlen Biers herunterspülen konnte. Wenn wir nicht auf diesem Weg weiterkommen würden, mussten wir uns irgendwo Hilfe besorgen. Und ich wusste auch schon, wo ich anfangen musste, zu suchen. Im Darknet.

      3

      Heute, nach einiger Erfahrung mit den Mächten dieser Welt, die uns über das Internet kontrollieren, erscheint mir unser kleines Attentat auf Zamaon fast lächerlich. Andererseits war es für mich und Nana zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige gewesen. Die Ruhe, die ich, nachdem alles vorbei gewesen war, gespürt hatte, war unvergleichlich gewesen.

      Noch hatte ich keine Angst, obwohl Nanas innere Unruhe fast ansteckend war.

      Sie saß am Steuer, ich hatte die Füße hinter die Frontscheibe geklemmt, wir waren auf dem Weg nach Lissabon. Ich trank ein FUCKING-BIER-INTERNATIONAL nach dem anderen. Verirrte Insekten summten in meinen Ohren und nur das Brausen der vorbei rasenden Autos erinnerte mich ab und zu daran, dass unser Weg noch lange nicht zu Ende war. Ich war der Wolf nach dem Fressen, ich hatte meinen Hunger nach Chaos gestillt und verdaute nun meine Impressionen. Der Genuss des Wolfes, der sein Wild endlich geschlagen hatte, statt wie zuvor ziellos durch das Labyrinth des Lebens zu taumeln, ruhte in meinem Körper. Dabei hatte das mit dem Wolf so harmlos angefangen.

      *

       Bei meinen Recherchen im Darknet war der Wolf, immer häufiger in meinen Nachforschungen aufgetaucht. In URLs wie wolfundwaffen.onion. Als Codewort: canislupus. Oder als CAPTCHA-Login-Rätsel mit Wolfsbildern. Ich fing an, willkürlich Postings und Chateinträge zu sammeln, in denen ich Zusammenhänge mit einem Wolfskult vermutete. Schon nach kurzer Zeit war mir klar geworden, dass das gehäufte Auftreten des Wolfes ein Anzeichen der Macht war, die ihre Spuren nicht nur im Netz, sondern in der Geschichte hinterlassen hatte. Mit etwas Kenntnis über die historisch realen Machtinstitutionen schloss ich, dass der Wolf seine Ursprünge hunderte Jahre vor Christi Geburt haben musste und sich in einem geheimen Kult verkörperte. Das waren alles Vermutungen, Arbeitshypothesen, Modelle. Aber die Fakten passten sich in das Puzzle ein, vielleicht weil ich das so wollte, vielleicht weil die Datenfülle keinen anderen Schluss zuließ. Oder eher die Datenarmut. Aber aus diesem Wenigen baute ich eine famose Struktur. Das Internet, Ort vermittelter Realität, der Suppentopf der tausend Meinungen, war wie ein Baukastensystem. Ich fand dort alles, was ich benötigte, um mir meine eigene Wirklichkeit zu bauen.

       Nach wochenlangen Recherchen wusste ich den Namen des Kultes: TALI. Dann kam ich wieder nicht weiter. Ich versuchte es mit Zahlenmystik, Tarot und anderen Entcodierungssystemen, gab immer wieder TALI ein, aber die Maschinen gaben nur unsinniges Zeug heraus. Nicht das, was ich sehen wollte. Aber dann schnupperte ich etwas auf. Es gab eine türkische Geheimsekte, deren Losungswort TALI war. Ihre Ursprünge gingen auf die Zeit der Tataren von Dschingis Khan zurück. Wahrscheinlich eine der herrschenden Kriegerkasten unter Timur Lenk bildeten sie den militärischen Geheimdienst der Tataren. Ihr Ansehen war äußerst positiv, sie galten als die guten Geister des Heeres, die dem Dämon der Niederlage und Konspiration das Handwerk legten. Sie wurden Talismanen genannt. Daher könnte unser heutiger Ausdruck Talisman kommen, der beschützende Kräfte ausstrahlen soll. Das ist der gute Geist des Heeres, der Talisman des Krieges.

       Jene Geheimsekte handelte jedenfalls mit Drogen und auch im Wolfskult gab es immer wieder Anzeichen, die ich nur als maßgebliche Bedeutung einer unbekannten Droge deuten konnte. Die Zufälle verzahnten sich und formten langsam das Bild des TALI-Kultes. Wölfe, Drogen, Geheimbünde, die Sache gab mir einen seltsamen Flash.

       So lief einerseits die Suche nach dem Virus auf Hochtouren, andererseits konzentrierte sich meine fantastische Wissenschaft auf einen Kult, den meine Neugier anfing auszuhorchen.

       Ein einziger Rechner hatte Zamaon noch nicht einmal einen Schluckauf beschwert. Wie eine lästige Fliege waren wir weggewischt worden. Was aber, wenn hunderte oder gar tausende Rechner gleichzeitig auf das Monster losgingen? Wir brauchten ein Botnet!

       Mein erster Gedanke war, dass es