Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz

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Название Ein ganz böser Fehler?
Автор произведения Mike Scholz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754131794



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will Naschenka noch wissen, was mir eigent­lich genau passiert ist, ob ich jemals wieder ohne Krücken werde laufen können. Ich tische ihr meine Unfallversion auf, erzähle ihr vom Rollstuhl. Dann wartet sie mit einer auf von ihrem Cousin, der auch einen Verkehrsunfall hatte. Und da hat er das gemacht und dieses, ebenso jenes, und deswegen kön­ne sie sich auch in meine Lage hineinversetzen. Aber es ist doch merkwürdig, dass manche Leute, wenn sie einen Verunfallten vor sich haben, die längst ver­schollenen Geschichten von Verwandten 12. Grades hervor kramen.

      Während sie ihre Höflichkeitsstory fleißig herun­terrasselt, fallen mir wieder meine Haare ein.

      Pfleger Michael geht mir schon übelst auf den Geist wegen ihrer Länge. Allerdings die Länge hat zu bleiben, nur die Ohren müsste man mal wieder frei schaufeln und allgemein abstufen – die Haare, nicht die Ohren. Wenn ich dem keine Rechnung trage, so versprach ich Michael, kann er mir eine Glatze sche­ren. (Doch darauf bin ich nicht gerade scharf.) Also frage ich mal Naschenka: »Sammal, bringsdues, Hoa­re zu schneidn?«

      »Ja. Wieso?«

      »Na ja, meie Lodn müßtn mawiedr abestuft werdn.«

      »Kein Problem, kann ich machen. Wann?«

      »Morgn Nammittag.«

      »Okay, also um vier. Ist recht?«

      Ich nicke.

      Sie schaut auf die Uhr, bemerkt plötzlich, dass sie los müsse. Und verschwindet zusammen mit Piepe auch.

      *

      Halb zwölf. Ich bin aufgebrochen in Richtung meiner Mutter. Steffen, der mit Tabletten und ohne Probleme bekommen zu haben kurz nach Naschenka und Piepe zurückkehrte, und Kulle, der sich auch kurz darauf wieder einstellte, begleiten mich. Und nachdem wir die Hälfte, ohne dass ich Balletteinlagen zeigte, ge­schafft haben, hat Steffen die Nase voll von meiner langsamen Wandelei und spikt los, um meine Mutter zu holen.

      An der letzten Kurve treffen wir auf sie. Sie lächelt zwar, aber ihrem Gesicht sieht man an, dass sie ver­bittert ist. Folglich braut sich bei ihr ein Gewitter zu­sammen, das bald über mich hereinbrechen wird. Doch erst mal verabschiede ich mich von meinen zwei Begleitern.

      »Holste mich Morgn umeens wieder ab?«, frage ich Kulle noch.

      Er bejaht. Und verschwindet mit Steffen zusam­men.

      »Mike, weißt du, wie spät es ist?«, giftet dann meine Mutter, als wir losgezuckelt sind.

      Aha, jetzt ist das Gewitter im Anmarsch!

      »Also vorhin wars hal zwölfe, dann wirds jetzte nbissel spätter sein.«

      »Ja, es ist um zwölf durch! Kranke haben um sechs daheim zu sein!«

      Ich schweige dazu, denn ich finde es lachhaft.

      »Demzufolge«, fährt sie fort, »kann ich auf die AOK gehen und erzählen, dass du dich nachts noch rumtreibst! Dann wird dein Krankengeld gesperrt!«

      Schluck. Würde sie es machen? Zuzutrauen wäre es ihr! Aber wenn – Sie will wirklich einen Krieg pro­vozieren, wie's ausschaut, überschätzt sich wiedermal maßlos. Ist die bescheuert? Ja. Trotzdem – den Krieg kann sie haben! Ich habe garantiert die besseren Nerven als sie!

      Schweigend, nur innerlich kochend, trotte ich aber weiter, lasse sie ihr Lamento fortsetzen.

      4

      Sonntag, 20. Januar. Mittag.

      Ich warte darauf, dass es um eins wird. Denn die Stimmung hier ist nicht auszuhalten. Schweigen und Ignoranz haben sich breit gemacht.

      Waren sie nicht immer schon so breit? Vielleicht nicht, vielleicht ja. Aber jetzt wird es mir erst richtig klar. Nein, falsch, darauf bin ich schon vor einem viertel Jahr gekommen. Doch jetzt – jetzt kann ich endlich weg, dir die Rücklichter zeigen, blöde Kuh!

      *

      Um eins.

      In meinem Bauch fängt es wieder an zu rumoren – als wenn da zwei Riesenechsen einen Zweikampf mit übelster Umweltvernichtung durchführen würden – ich bin nervös, aufgeregt.

      Halb zwei. Mir reicht es.

      Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muss eben der Berg zum Propheten gehen!

      Ich erhebe mich, bewege mich hinaus, um mich anzukleiden.

      »Mike, was hast du jetzt vor?«, will meine Mutter verwundert wissen.

      »Ichehzu Mascha.«

      »Wollten die dich nicht abholen kommen?« Hohn. Siegessicherer Hohn.

      Als von mir aber keine Antwort kommt, lässt sie wieder ihren Frust raus: »Warum musst du denen im­mer hinterher laufen?! Du siehst doch, dass sie dich nicht abholen! Also wollen sie dich doch nicht!«

      Kurz durchfährt mich die Einsicht, dass sie recht hat. Doch ich schiebe sie sofort beiseite.

      Denen auf den Geist zu gehen ist immer noch bes­ser, als hier rum zu glucken!

      Ich gehe.

      Bin schon an der Wohnungstür, da schreit mir mei­ne Mutter noch hinterher, dass ich um halb fünf wie­der da zu sein habe. »Dann schafft dich nämlich Ma­nolo zurück, und der muss hinterher arbeiten gehen!«

      Ich lasse mich doch noch zu einer Antwort herab: »Halfünfe kannsde vergessn! Um vier kommeene, die schneidmir die Hoare!«

      »Dann musst du sehen, wie du es hinbekommst!«

      »Wolltest du deine Haare nicht lang lassen?«, mel­det sich plötzlich Saskia zu Wort.

      Ein Grinsen huscht über mein Gesicht: »Ich willse jani abasiern lassn.«

      »Noch mal«, mischt sich meine Mutter wieder ein, »halb fünf bist du da, ansonsten kannst du nicht zu­rück!«

      Was mich endgültig zur Heiterkeit anregt. »Da werdch bestimmni trauig sein!« Und verdrücke mich.

      *

      Abends im Krankenhausbett halten die Vorgänge des Tages noch einmal eine Parade in mir ab: Ich bin ohne Zwischenfall zu Mascha gelaufen. Erst auf der zu ihr hochgehenden Treppe hob es mich aus. Meine Brille verbog sich dabei, so dass ich sie nicht mehr aufsetzen konnte. Kulle bog sie mir dann aber so zu­recht, dass dies wieder möglich war. Dann wartete ich auf Naschenka. Um vier – niemand war gekommen; es wurde halb fünf, dann um fünf – Naschenka blieb außerhalb meines Sichtbereiches. Da war ich also wieder mal durch Höflichkeitsfloskeln verarscht wor­den. In der Zwischenzeit sagte mir Mascha, dass ich verstehen solle, dass sie sich nicht um mich geküm­mert habe: Sie habe Kinder. Und bei Steffen sei das genauso. Nur bei Engel könne sie es nicht verstehen. Ich erzählte ihr daraufhin, wie meine Mutter ihn und Manuela rausgeekelt habe. Was Mascha aber nicht daran hinderte, sich auf Engel herumzuwälzen, ihn in tiefste Abgründe zu treten und noch einmal nachzu­stoßen.

      Also die Moral von der Geschicht': Hast du Kin­der, lässt du deine Freunde im Stich! Aber lässt sich da überhaupt keine Übereinkunft treffen?

      Um sechs war ich wieder zu Hause, von Kulle heimgebracht. Unterwegs hatten wir Engel getroffen, der sich über meine Fortschritte erstaunte und freute. (Oder tat er nur so?) Natürlich fragte ich ihn sofort wieder, ob er mich abholen könne – aber sein Auto ist kaputt, sagte er mir. (Ausrede?) Zu Hause explodierte dann meine Mutter fast. »Wie kannst du nur so spät nach Hause kommen?« und »Du solltest längst weg sein! Manolo kommt dann noch mal, aber der ist sau­er!« Schließlich wollte sie auch noch wissen, wieso meine Haare nicht gekürzt sind, denn ich sei doch deswegen zu Mascha gegangen. Als ich ihr erklärte warum nicht, konnte sie sich wieder darüber auslas­sen, was ich für Freunde hätte. Und sie hatte auch recht, sehe ich ein; aber wenn man sich nicht draußen sehen lässt, lernt man nie neue kennen. Dazu braucht man aber Bekannte als Sprungbrett, sonst wandelt man ewig auf der Oberfläche des Isolations­sumpfes, sofern man nicht einsinkt. Bei meiner Ab­fahrt war sie dann am Auto wieder scheißfreundlich.