Название | Es ist nie zu spät... |
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Автор произведения | Thomas Herholz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753191355 |
Denn bei dir ist die Vergebung,
daß man dich fürchte.
Ich harre des HERRN,
meine Seele harret,
und ich hoffe auf sein Wort…
(aus Psalm 130, de Profundis)
Als Herbert nach unruhiger Nacht mit dickem Kopf und schweren Gliedern erwachte, fiel es ihm wieder ein: Er war jetzt 35 Jahre alt und wollte wieder Ordnung in sein Leben bringen. Er schob die dicke Gardine ein Stück weit zur Seite und ließ einen Strahl Sonne herein, der seinen guten Vorsatz zu unterstützen schien…
Im Bad wusch er sich nachlässig und putzte ausgiebig seine Zähne: Das war ihm immer das Wichtigste gewesen.
Er bereitete den altertümlichen Mokka-Kocher vor, setzte sich ins unaufgeräumte Wohnzimmer und schaltete den neuen PC seiner Eltern ein: mit Pentium Prozessor und Windows 95, der neueste Stand der Technik. Nach nur drei Minuten war er hochgefahren und lief zuverlässig, nicht wie sein alter 3-86er Kasten, der ständig abgestürzt war.
Ein Gutes hatte es also schon mal, dass er wieder bei Mutter und Vater in Burgwedel untergeschlupft war. Er holte sich einen dampfenden Espresso und schob das USB-Ende des Verbindungskabels zur Digitalkamera in den Computer. Digicams waren gerade der letzte Schrei, und als immer schon Technikbegeisterter hatte er sich schnell entschieden und die 1200,- D-Mark dafür zusammengekratzt.
Ein paar Mouse-clicks und auf der vollen Fläche des großen Röhrenmonitors erschien ein Bild, das ihn wieder aufwühlte: der große Strudel im Saltstraumen!
Er hatte mindestens 20 Fotos davon gemacht, die zwar nur einen milden Abklatsch des Erlebten vermittelten, doch als er die Augen schloss, fühlte er sich gleich wieder mitten drin im unwirklichen Geschehen: Er hatte Maria bei der Hand gefasst und blickte von der Plattform des kleinen Leuchtturms aus ungläubig ins Getöse. Ein großer, blasser Vollmond hing tief über dem Wasser. Es war Ende Mai 1995 und Mitternacht, aber hier, über dem Polarkreis, wurde es jetzt nicht mehr dunkel, obwohl die Sonne vor einer halben Stunde sich kurz verabschiedet hatte.
Ein grollendes Rauschen war zu hören, und man konnte geradewegs in die tosenden Strudel schauen, die den Blick unweigerlich in die Tiefe zogen, die der gewaltige Malstrom aufgerissen hatte. Ihm war aber so gewesen als würde er aus der Tiefe emporgehoben und aus einem Höllenschlund nach oben katapultiert, und eine Melodie aus einem uralten Gesangbuch fiel ihm wieder ein, die er seit Kindertagen nicht mehr gehört hatte: „Denn aus dem Wasser und dem Geist wurden wir neu geboren“.
Schon zum zweiten Mal hatten sie jetzt das Schauspiel gesehen, und die 6 Stunden zwischen den Höhepunkten waren ihnen wie im Fluge vergangen.
Schon der alte Gruselpoet Edgar Allan Poe hatte den unheimlichen Strudeln im frühen 19. Jahrhundert in seiner Novelle „Hinab in den Maelström“ ein unvergleichliches Denkmal gesetzt.
Maria hatte hier ihre Kindheit verbracht und sie kannte nicht nur die berühmte Stelle unter der mächtigen Salt-straumen-bru, wo immer einige Angler und Touristen standen. Hier wogten 400 Millionen Kubikmeter Gezeitenwasser durch einen nur 150 Meter breiten Sund vom atlantik-nahen Saltfjord in den inneren Skjerstadfjord und zurück und bewirkten den stärksten Malstrom der Erde. Sie kannte auch die geheimen Angelplätze, wo die Einheimischen seit Jahrhunderten die hier überreich einschwimmenden Seelachse, Köhler und Steinbeißer herauszogen, die verschwiegenen kleinen Buchten, an denen man lagern und dank des Golfstroms im Sommer baden konnte und die grün bewachsenen höheren Plateaus, von wo aus man weit über die Fjorde und bis nach Bodø am Nordmeer die Blicke schweifen ließ.
In Bodø lebte Marias schräger Vater und ihre gemeinsame Reise würde hier enden. Am übernächsten Tag schon hatte Herbert seinen Flug mit Norvegian Airshuttle, der Regionallinie der Braathens-Fluggesellschaft, gebucht, der ihn über Oslo nach Hannover bringen würde.
Ole freute sich über ihr Kommen, zumindest über Marias Kommen, obwohl ihr Verhältnis nicht immer unbelastet gewesen war. Er war vor 32 Jahren, also 1963 in den Norden gekommen, nachdem seine kleine Flensburger Malerfirma in Konkurs geraten war.
Hier oben waren fleißige deutsche Handwerker gesucht gewesen, und er hatte gutes Geld verdient und eine blonde norwegische Frau gefunden: Siv war aber vor fünf Jahren an Krebs gestorben, und mit Ole war es bergab gegangen.
Er hatte die Sprache nie richtig gelernt; auf dem Bau reichten Gesten und ein paar kurze Sätze auf Englisch. Zuhause gab es nur Fernsehen, Bier und Schnaps. Mit 60 war er aus der Firma geflogen und hatte erstmal auch keine Lust mehr auf Angeln gehabt, dem einzigen Hobby, das ihm früher Spaß gemacht hatte. Bier, Wodka und Akvavit bestimmten jetzt sein Leben. Maria hatte sich vorgenommen, das zu ändern.
Das kleine Haus am Fjord hatte Ole längst verkauft und gegen eine noch kleinere Wohnung eingetauscht. Immerhin konnte er damit die Schulden bezahlen, die durch Sivs Krankheit und seine Trinkerei aufgelaufen waren.
Am letzten Abend hatte Herbert immer wieder nicht „nein“ sagen können und einen Schnaps nach dem anderen mit Ole geleert, als sich Maria schon längst schlafen gelegt hatte. Morgens um 6 war er dann zum nahegelegenen Airport gewankt und bekam so eben noch den 8 Uhr-Flieger nach Hause, wo er nur noch schlafen wollte.
4. Reise ins Nordland - 1995
Die Zeit in Norwegen aber war traumhaft schön gewesen. Maria hatte ihm gezeigt, wie man im teuer gewordenen Wohlstandsland auch mit wenig Geld reisen konnte:
Mit leichtem Gepäck hatten sie in Puttgarden am Fährterminal gestanden und an skandinavische LKW- Türen geklopft. Bei Igor, dem weißrussischen Trucker mit der Schiebermütze hatten sie Erfolg gehabt. Er fuhr mit polnischen Schweinehälften bis ins schwedische Helsingborg und freute sich über die Reisegesellschaft.
Natürlich wollten Maria und Herbert nicht als blinde Passagiere reisen, hatten ihre Reisepässe im Rucksack und kauften sich Landbridge-Tickets für Fußgänger. Die waren billig und galten für die Scandlines-Fähren von Puttgarden auf Fehmarn über den Belt nach Rødbyhavn auf Lolland und weiter über den Øresund vom dänischen Seeland nach Schonen in Schweden.
Die Überfahrten verliefen ruhig, und sie gönnten sich auf der ersten Fähre Tuborg Øl und rote dänische Pølser mit Kartoffelsalat und luden Igor dazu ein. Der erzählte von Frau und Kindern in Minsk und dass die schwedische Spedition die Chance seines Lebens gewesen war.
Als sie die Türme des Hamletschlosses von Helsingør schon lange im Rücken hatten, verabschiedeten sich Maria und Herbert von ihrem freundlichen Fahrer und erreichten Schweden bei strahlendem Sonnenschein.
Die Jugendherbergen hießen hier Vandrahjem, in Helsingborg war eine in der Hantverkergatan leicht zu finden; das Zweibettzimmer kostete mit Frühstück umgerechnet 30 Mark.
Es war jetzt 5 Uhr nachmittags, und sie setzten sich auf den sonnigen Marktplatz Stortorget und packten ihre Butterbrote von zuhause aus und aßen dazu Himbeereis aus der Bageri gegenüber.
Sie waren todmüde und schliefen wie die Murmeltiere. Nach einem reichlichen Frukost in der Herberge machten sie sich auf den Weg nach Norden: Zuerst wanderten sie an den steil zum Øresund abfallenden Klippen entlang, die die Halbinsel Kullen so eindrucksvoll machten. Dann ging´s durch dichte Laubwälder und über grüne Matten 25 Kilometer fleißig voran bis nach Ängelholm. Die Natur am Wegesrand explodierte in echter Frühlingslaune, und sie erreichten erschöpft aber glücklich das kleine Städtchen und checkten ein im „Familjecamping“ mit herrlichem Strand und Blick aufs Kattegat. Um diese Zeit waren noch die kleinen, preisgünstigen Stugors frei, in denen Gäste ohne Zelt schlicht, aber zünftig übernachten konnten. Schlafsäcke und Isomatten trugen die beiden zusammengerollt auf ihren Backpacker-Sachen; solange das Wetter trocken blieb,