Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

Читать онлайн.
Название Der Weg nach Afrika - Teil4
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783753189550



Скачать книгу

und Kühltruhen, die sie da gleich mit ausgeräumt hatten. In einigen Fällen wurden leere Bier- und Whiskyflaschen zurückgelassen. Die Diebe waren nicht zu fassen, weil keiner wusste und wissen wollte, wo sie wohnten oder waren. Die Kriminellen zogen sich auf die natürlichste Weise in neue Startlöcher zurück, ohne dass man sie zur Rechenschaft ziehen konnte. Nach grösseren Ausräumungen liessen sie sich dann im Dorfe für eine längere Zeit nicht blicken. Das war die Situation, kurz nachdem die UNTAG kam, um den friedlichen Übergang von der weissen Apartheid in ein freies, rechtschaffenes und demokratisches Namibia zu überwachen, gemäss der UN-Resolution 435. Gleich am Anfang war es nicht so gut, weil da Dinge durcheinanderkamen, die eigentlich in Ordnung sein sollten.

      In dieser Phase des Übergangs, in der es eine Verwalzung, ein Plattdrücken des Alten gab, und eine Umwälzung, wie es der Pflug im Ackerboden tut, anzumerken war, bekam das Dorf unweit der angolanischen Grenze, das all die Jahre wie am Ende der Welt lag, eine neue Bedeutung. So wurde Oshakati mit dem 'International Guesthouse' eine wichtige Durchgangsstation, eine Art Umsteigebahnhof, wo Menschen der weissen Hautfarbe, die ausgeschlafen und Frühaufsteher waren, mit dem Auto aus dem südlichen Windhoek kamen, Dr. Ferdinand in seiner engen Wohnstelle einen Besuch abstatteten, ihn zum Abendessen im besagten Gästehaus des Internationalen einluden, oder nicht, und dabei Erkundigungen über die augenblickliche Lage einzogen. Mit den neuesten Kenntnissen vor Ort flogen sie am nächsten Morgen von Ondangwa nach Lubango im Süden Angolas weiter, um die ersten Kontakte mit den Menschen zu knüpfen, die "morgen" die Macht zu übernehmen gedachten. Da kam das Nordphänomen auf, das das Südphänomen mit dem Blick nach Pretoria oder dem pretorianischen Blick ablöste, wo das Dorf im Norden Eigenschaften eines Magneten bekam, das magisch Menschen aus dem Süden, hauptsächlich Windhoek, bis an die angolanische Grenze anzog. Sie alle waren vom Bedürfnis beseelt, den Übergang nicht nur gut zu überstehen, sondern auch "morgen" mit einer guten Position bei guter Bezahlung dabei zu sein, wenn die neue Mannschaft nach den Hebeln der Macht griff. Da galt, wenn es um die Macht und die nächstliegenden Posten ging, die in Sichtweite zur Macht waren, oder von denen aus durch das Fenster, das da jedesmal weit geöffnet wurde, die entsprechenden Hebel zu sehen waren, wenn man sie nicht selbst anfassen durfte, da galt noch immer das Prinzip: 'first come first served' (wer zuerst kommt, wird zuerst bedient). Da stellten sich jene mit den höheren Ambitionen frühzeitig in die Schlange, die vom Typ her ‘elastisch’ waren und die unterschiedlichsten Systeme für den eigenen Vorteil spielend in Kauf nahmen, als wäre es nicht mehr als ein Hemd- und Hosenwechsel. Da waren es wieder die Frühaufsteher, die als erste kamen, um mit veränderter Gesichtsmaske und veränderten Papieren sich ans Neue anzulehnen und ohne Hosenträger und mit offenem Hemd sich anzuschmiegen. Sie hatten ihren Schreibtisch mit der polierten Platte und den anderen Annehmlichkeiten in den höheren Etagen fest vor Augen. Da sollte es beim Status bleiben, egal, mit welcher Farbe sich das System politisch umhing.

      Die Statusleute wollten auch diesmal wieder als erste bedient sein. Dafür waren sie früh aufgestanden und nahmen die Reisestrapaze in Kauf, um bis vor die angolanische Grenze zu fahren, wo das Dorf über all die Jahre von der Welt verlassen war. Nicht dass es aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde, dafür war der Krieg zu wild, das Elend zu gross, die Toten ohne Begräbnis (Sartre) zu viel, aber es bekam über Nacht mit dem Eintreffen der UNTAG eine Bedeutung, die die Menschen mit den unterschiedlichen Absichten überraschte. Das Dorf wurde politisch verkehrmässig zu einem Knotenpunkt, wo geknüpft und umgestiegen wurde. Von da gingen nun die Blicke nach Norden weit über die Grenze hinaus, wo die weiter südlich positionierten und einst pretorianisch ausgerichteten Frühaufsteher bereits in Halbachtstellung auf den neuen politischen Sonnenaufgang warteten, ihn eigentlich gar nicht früh genug erwarten konnten. Da gab es jene, denen man es nicht zugetraut hatte, die da bereits in aller Herrgottsfrühe dastanden und warteten, nach Norden schielten, vom Süden nicht mehr sprachen, sich auf die Ankunft der neuen Mannschaft eingestellt hatten und schon das neue Fähnchen zum Winken in der Hand hielten, auch wenn es aus taktischen Gründen noch zusammengerollt war. Was während der Apartheid Pretoria im Süden war, das wurde nun das Dorf Oshakati im Norden, als würde hier die schwarze Mannschaft anlegen, sich als Gladiatoren der Freiheit auf dem Platz vor dem 'International Guesthouse' aufstellen und mit Pauken und Trompeten feiern lassen.

      Da wurden die Stühle mit den Schreibtischen umgestellt, um einhundertachtzig Grad gedreht und vor die Nordfenster gerückt, die weit geöffnet wurden, um den Apartheidsmief rauszukriegen und über die Schreibtischplatten den frischen Nordwind wehen und ziehen zu lassen. Es wurde sich nördlich umorientiert, so gut und so schnell es sich machen liess. Damit war für jene Aufsteher der Süden über Nacht abgehakt, bevor die andern kamen, die es ihnen nachmachten, aber den pretorianischen Südblick später aus ihrem Gesicht wischten und sich deshalb, nördlich gesehen, in der Schlange weiter hinten anzustellen hatten. Da stellten sich nun die Weissen in der Reihe an, die von den oberen Etagen vorn, die von den unteren Etagen hinten, wo die Auslese nun schwarz vorgenommen, sie schwarz getroffen wurde. Das Umsteigen im Dorf vom Auto von Windhoek ins Flugzeug nach Lubango zur frühen Kontaktaufnahme mit den zur Macht Greifenden in spe hatte sich für einige gelohnt, ihnen wurde das frühe Aufstehen mit den Reisestrapazen gut vergolten. So schaffte es einer, der mit seiner Frau Dr. Ferdinand in seiner kleinen Wohnstelle besuchte und ihn in ein stundenlanges Gespräch zur Förderung von Informationen über die Lage vor Ort verwickelte, nach vollzogenem Machtwechsel auf den Stuhl eines Ministerstellvertreters.

      Die Schwarz-Intellektuellen nahmen das mit der künftigen Postenverteilung aufgrund des Melanozytenreichtums in der Haut gelassener. Sie rechneten sich gleich zu Anfang die besseren Chancen aus. Wenn auch die Bildung sich in den Grenzen des Durchschnittlichen hielt, so kam doch die nötige Einbildung mit der Portion überproportionaler Selbstsicherheit dazu, was beides oft nicht balanciert war, um sich schon auf einem Stuhl in der oberen Etage mit geräuschloser Klimaanlage und Sekretärin, dem hoch dotiertem Gehalt und den Extra-Zulagen, den vielen Annehmlichkeiten und Vergünstigungen sitzen zu sehen. Bei einem sah Dr. Ferdinand die Brust schon schwellen, obwohl es soweit mit dem Stuhl noch gar nicht war. Der kümmerte sich weniger um die Patienten als mehr um sich, fuhr schon auf Kosten der weissen Administration zu "Kongressen" in der Weltgeschichte rum und sorgte dafür, dass sein Name auf die Liste der schwarzen Kandidaten kam, wenn es um die Verteilung der Posten auf Regierungshöhe und darunter ging. Der andere, der die Patienten mehr im Auge behielt, liess sich im Status dadurch aufstocken, dass er sich von der noch weiss geführten 'Academy' den Titel eines Professors umhängen liess, obwohl er weder in Lehre noch Forschung tätig war und auch kein 'Paper' in irgendeiner wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hatte. Da meinte es die 'Academy' gut mit dem ersten schwarzen Professor, deren weiss geführte Gesundheitsfakultät sich etwas dabei gedacht haben musste, wie am besten der Übergang von weiss nach schwarz zu überbrücken ist, wo das Weisse bei der akademischen Postenverteilung unter einem schwarzen Regime nicht vergessen werden sollte. Akademische Verdienste waren dafür nicht erforderlich, als zwischen den Hautfarben mit dem Blick nach vorne jongliert wurde. Da ging es um mehr. Es ging ums Überleben der Weissen in eine schwarze Zukunft hinein. Das wurde vor Toresschluss begriffen und mit pseudoakademischen Weichmitteln hantiert. Man wollte gut sein gegen alle und vergessen machen, dass man so gut gar nicht war.

      Das Curriculum musste aufgebessert werden. So wurden Schadstellen geschwärzt, die weisse Geschichte, mit der die Persönlichkeit in der Apartheid gut gefahren war und es dabei zu etwas gebracht hatte, wurde ins Belanglose runtergeschraubt. Ein weicher Übergang ins neue Kapitel der schwarzen Gegenwartskunde und ihrer Geschichtsschreibung musste nahtlos gefunden werden, ohne dass es vorher zu einem Absturz kam. Die akademischen Meriten hielten sich im Allgemeinen ohnehin in bescheidenen Grenzen, wo ein Professor bei der Ausbildung in der Krankenpflege sich auf dem Niveau eines Studienrates bewegte, es eine eigene Forschung mit eigenen Publikationen nicht gab. Das alles war auch nicht so wichtig wie die eigene Haut, die es in die schwarze Welt hinüberzuretten galt. Man konnte und wollte sich weder allgemein noch akademisch vorstellen, dass mit dem Untergang des weissen Regimes die Weissen das Weniger- und die Schwarzen das Mehrsagen hätten. Da wollte man sich noch rechtzeitig in die Erinnerung rufen. Opportunismus hin, Opportunismus her, es war schwer auf den Vorrechtsstatus und das gute Leben im pretorianischen System zu verzichten.

      Zu den Leuten der UNTAG entwickelte sich ein gutes Verhältnis, das von gegenseitigem Respekt und Vertrauen getragen wurde. Die Schweizer hatten ihre medizinische