Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Название Der Weg nach Afrika - Teil4
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783753189550



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Atmosphäre, ja mit Erleichterung von der Hospitalseite geführt, weil da an die lang ersehnte Zerschlagung des gordischen Apartheidknotens mit all seinen Fesseln gedacht wurde. Für Dr. Ferdinand strahlten die beiden Militärs mit den zusammengeklappten Blaumützen unter der rechten Epaulette nicht nur Intelligenz, sondern auch Menschlichkeit aus, was für ihn die Zusammenarbeit willkommen hiess. Die Unterredung nahm einen guten, fast freundschaftlichen Ausgang, und Dr. Ferdinand nahm sich vor, mit diesen Menschen der Friedenstruppe in Kontakt zu bleiben, weil er sich mit ihnen Gespräche erhoffte, an denen es ihm seit Jahren fehlte. Er ging mit neuen Erkenntnissen in den Op zurück, um den zertrümmerten Oberschenkel bei einem jungen Mann zu verplatten, den ein 'Casspir' der Koevoettruppe auf dem Felde verfolgt, gerammt und umgestossen hatte.

      Mit dem Auftreten der UNTAG (United Nations Transition Assistance Group) war der Geist des Wandels spürbar. Die Menschen begriffen, dass das Kommandoschiff der weissen Apartheid so gut wie gesunken war, und hofften, dass so ein Schiff nie wieder auftauchen würde. Die südafrikanische Armee begann mit ihrem Abzug. Gepanzerte Kampfwagen (die zweiachsigen 'Elands' mit den langen Rohren und dreiachsigen 'Ratels' mit den kurzen Rohren) fuhren mit angehängten Lafetten der schweren Artillerie und Haubitzen in langen Kolonnen die Teerstrasse nach Osten, befuhren letztmalig den zweihundertachtzig Kilometer langen Teil der über fünfhundert Kilometer langen, strategisch bedeutsamen West-Ost-Achse, die im spitzen Winkel die angolanische Grenze im Westen an den Ruacana-Wasserfällen schnitt, fuhren nördlich am Etosha-Naionalpark vorbei, bis sie die Minenstadt Tsumeb erreichten, wo sie auf Waggons für den Rücktransport nach Südafrika verladen wurden. Mit dem Abzug des Militärs verliessen auch andere Weisse, die in der Verwaltung tätig waren, mit ihren Familien das Dorf, um nach Windhoek, nach Swakopmund an der Küste oder in den Süden des Landes zu ziehen, wo das Leben für die Weissen immer schon bequemer war. Die leerstehenden Häuser zeigten das Vakuum an, das diese Periode mit dem Abgang des Alten und dem Anlegemanöver des Neuen begleitete. Mit der Entfernung der MGs von den Wassertürmen hatte auch die Kontrolle der Fahrzeuge und Passanten an den beiden Dorfeingängen aufgehört. Die Schilder mit der Aufschrift 'For Whites Only' waren über Nacht bedeutungslos geworden. Sie standen neben den verwaisten Kontrollhäuschen als Relikte von gestern. Die Sperrschranken waren abmontiert, und die einbetonierten Ständer steckten sinnlos im Boden. Die ausgemauerte Grube mit den quer befestigten, stählernen Rundstäben zur Unterwagenkontrolle war leer. Sie würde der Wind mit der Zeit mit Sand füllen. Die Sperrstunde von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang wurde ausser Kraft gesetzt. Die schwarzen Menschen erhielten eine Bewegungsfreiheit, die sie nicht kannten, was den freien Zugang zum Dorf der Weissen einschloss. Von dieser Freiheit machten die Schwarzen Gebrauch. Es gingen täglich mehr durch die Strassen des Dorfes besonders dann, wenn die verbliebenen Weissen bei der Arbeit waren. Da setzte schlagartig mit dem Beginn der Übergangsperiode auch das Stehlen ein. Verschlossene Türen wurden aufgebrochen, ganz gebliebene Fenster wurden eingeschlagen, die restlichen Tische, Stühle, Bettgestelle, die letzten Eisschränke, Waschmaschinen, Kleiderbügel, und was sonst noch zu nehmen war, wurde davongetragen und weggekarrt. Die Plünderei ging bis zum Herausbrechen von Wasserhähnen, Deckenlampen, Steckdosen und Gardinenstangen, die Demolierung bis zur Zerschlagung von Türen, Fenstern, Waschbecken und Toilettenschüsseln. Das Vakuum des Übergangs brachte über Nacht ein neues Phänomen, mit dem eigentlich keiner gerechnet hatte, weil alle auf eine bessere Zukunft in Freiheit hofften, und die wenigen Weissen, die noch verblieben waren, mit dieser Hoffnung für die Schwarzen an den schwarzen Menschen im Hospital und in den Schulen arbeiteten.

      Da blieb auch Dr. Ferdinand nicht verschont, bei dem mehrere Male eingebrochen, die Brille, Armbanduhr, die besseren Kleidungsstücke und das Radio gestohlen, die Wohnstelle bei der Suche nach Geld auf den Kopf gestellt wurde, wenn er die Schwarzen im 'theatre 2' operierte. Das Bild von den schwarzen Menschen erlitt schweren Schaden, weil es sich nun früh zeigte, dass sie so gut nicht waren, wie er sie all die Jahre sah. Da wurde die Zuneigung getrübt, das Vertrauen, das er ihnen schenkte, bekam einen Knacks, von dem es sich nie mehr erholte. Er war naiv, als er annahm, dass die Schwarzen jene Weissen verstünden und achteten, als ihresgleichen betrachteten, die es in den schlechten Jahren mit ihnen ausgehalten und an ihnen unter den miserablen Umständen mit dem Schweiss auf der Stirn und den verschwitzten Hemden gearbeitet hatten. Dass das Stehlen ein Früh-, ja ein Erstphänomen des Übergangs war, das machte ihn traurig. Er musste sein Zukunftsbild nach unten revidieren, wo es so etwas wie einen Rosengarten über den Gräbern der Toten ohne Begräbnis (Sartre) nicht mehr gab. Da brauchte er das Bild der Kinder mit den grossen Augen und den Wasserbäuchen auf den stelzigen Stockbeinen und jene mit den abgeschnittenen Armen und Beinen, um sich an ihnen aufzurichten. An diesen Kindern, die für all das nichts konnten und von jeher dastanden und vergebens hofften, hielt er sich fest, weil er sie liebte, wenn er ins Hospital ging, um an den Menschen zu arbeiten. Sicher waren die Schwarzen auch Menschen, die ihre Fehler hatten. Dass sie aber die Fehler so früh und ungerecht in die Tat umsetzten, das brach ein grosses Stück ihrer Würde und Glaubwürdigkeit weg.

      Dieses ausgebrochene Stück war nicht mehr aufzukleben, so wie man einen zerbrochenen Krug nicht mehr zu seiner ungebrochenen Ganzheit zusammenkleben kann. Es war etwas in Bruch gegangen, was nicht hätte zerbrechen dürfen: das Vertrauen. Von dieser Bruchlinie aus, die da gleich zu Beginn der Übergangsphase über den Weg zog, verdunkelte sich auch das Licht, das über den Weg in die Zukunft leuchten sollte, dem soviel Hoffnung, soviel Herzensvorschuss gegeben wurde. Der Weg behielt seine Stolpersteine, wenn es auch andere waren, die nun von den Schwarzen gelegt wurden. Das tat der Grösse der Freiheit Abbruch, weil sie nun von schwarzen Menschen gleich zu Anfang zur Stehlerei missbraucht, durch neues Unrecht geschändet und beschmutzt wurde. Die Höhe im Denken und in der Erwartung der Freiheit wurde durch die kriminellen Ausschweifungen erheblich erniedrigt und geschmälert. La liberté sans responsabilité est réduit au libertinage. (Das in französisch, weil sich im Wort 'libertinage', das für Ausschweifungen steht, sich das Wort 'liberté' für Freiheit verklemmt.)

      Die Weissen beklagten die zunehmende Stehlerei, so auch in den Morgenbesprechungen. Der Superintendent machte ein betroffenes Gesicht, weil er es nicht glauben wollte, dass es nun seine Leute sind, die da entgleisen liessen, was nicht entgleisen durfte, wenn die Ärzte und Apotheker, Hans, der Physiotherapeut, und die Sozialarbeiter im Hospital ihrer Arbeit nachgingen. Er setzte sich mit der Polizei in Verbindung, die es bei Versprechungen beliess, für Ordnung zu sorgen, und der Unordnung mit den Diebstählen tatenlos zusah. Die nächtlichen Raubüberfälle und Einbrüche häuften sich, dass sich die Weissen in Ermangelung einer wirksamen Polizei zum Selbstschutz zusammentaten und nächtliche Patrouillen auf Privatfahrzeugen mit lichtstarken Lampen und Schusswaffen fuhren, um dieser frühen Kriminalität Einhalt zu gebieten. Es half für die Nacht, dafür wurde am Tage mehr eingebrochen. Die Arbeit am Hospital musste weitergehen, sie ging weiter, wenn auch mit dem Hintergedanken, dass da in den Häusern eingebrochen wurde, während sie im Schweisse des Angesichts die Patienten untersuchten und operierten. Da schluckte die schwarze Frühkriminalität einen beachtlichen Teil der Konzentration weg, die eigentlich den kranken Menschen gehörte. Es lag ein schwarzes, asoziales Verhalten vor, das durch die Gemeinheit der Diebstähle sich gegen die eigenen Menschen richtete. So offenbarte die erste Phase der Übergangsperiode die erste neue Unordnung, die nicht in Ordnung zu bringen war, es sei denn, die Sperrschranken würden wieder errichtet, Fahrzeug- und Personalkontrollen wieder eingeführt. Aber gerade das sollte mit dem Versinken der weissen Apartheid ein für alle Mal überwunden sein. Die andere Alternative war die stählerne Vergitterung der Fenster und Türen. Doch dazu fehlte das Geld wie das Material. So blieben die Reinigungs- und Bügelfrauen in den Häusern und die Männer in den Vor- und Hintergärten übrig, denen man vertrauen musste, weil man ihnen vor Eintritt der ersten Phase des Übergangs auch vertraut hatte. Das ging leider nicht immer gut, weil es da Fälle der ungezogenen Zusammenarbeit mit den Dieben gab, denen sie den günstigsten Zeitpunkt zum Stehlen gaben, die es dann so taten, ohne dass Türen aufgebrochen und Fenster eingeschlagen wurden. Nach dieser tür- und fensterschonenden Ausräumung von Radios plus Tonbändern, Fotoapparaten, Uhren, Brillen, Sonnenbrillen, Schmuck mitsamt Kassetten, den weniger getragenen Schuhen, besseren Kleidungsstücken bis zur Bettwäsche und den Handtüchern und manchmal unter Mitnahme erheblicher Bargeldbeträge, oder von Ersatzrädern, Fahrrädern und gefüllten Benzinkanistern aus den Garagen kamen dann auch meist die Haushilfe oder