Quitt. Theodor Fontane

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Название Quitt
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179284



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Meriten, und wenn sich dieser Rechnungsrat ein Herz nehmen und der Marie einen Kuß geben wollte, das heißt einen ordentlichen, der schmatzt und den man in der Nebenlaube hören kann, so hätte die Rätin morgen die schönsten Krämpfe.«

      Wonneberger schien wenig überzeugt, übrigens auch unlustig, sich überzeugen zu lassen, und so brach er denn ab und sagte: »Die Marie soll sich ja verheiraten wollen. Ist es denn richtig, daß sie Kunstreiterin war und als Kind durch fünf Papierreifen gesprungen ist?«

      »Ich habe sie nicht gezählt, und es mögen wohl auch ihrer sieben gewesen sein. Aber fünf oder sieben, es ist eine forsche Person, und sie hat so was, was nicht jede hat, und wenn sie so das Essen bringt und die Messer und Gabeln über den Tisch hinfliegen läßt, wie die chinesischen Messerspieler, dann denk ich immer, es geht wieder los. Haben Sie mal solche Messerspieler gesehen?«

      »Ei freilich, einen Messerspieler und einen Degenschlucker. Und waren noch dazu Brüder. Das Runterschlucken ging noch; aber wenn er dann die lange Klinge wieder rausholte... na, so was wird die Marie doch wohl nicht gemacht haben.«

      »Wer weiß. Sie hat so was Biegiges, und da geht alles. Und dann, lieber Wonneberger, Sie glauben gar nicht, was die Weiber alles können, wenn sie wollen. Sie können eigentlich alles, und wenn ich höre, Marie hat einen Windmühlflügel mit der Kniekehle festgehalten... aber hier ist ja schon die Mühle... Nu Gott befohlen, Wonneberger, und stecken Sie nicht immer mit dem Menz zusammen. Er hat jetzt seine zwei Monat abgesessen, und wenn ich ihn recht kenne, so ruht er nicht eher, als bis er die zwei Monat auf zwei Jahre gebracht hat. Er ist ein Tunichtgut und, was schlimmer ist, ein Übermut und ein hochfahrender Schlingel, der große Rosinen im Sack hat. Aber ich werde sorgen, daß sie klein werden.«

      Wonneberger wollte was zur Verteidigung sagen, weil er eigentlich eine Liebe für Lehnert hatte. Opitz unterbrach ihn aber und fuhr fort: »Und Sie wissen doch, Freund, die Lehrer sollen ein gutes Beispiel geben. Der Liegnitzer Schulrat paßt auf, und da steht man im schwarzen Buch, man weiß nicht wie: Reputation, Wonneberger! Immer aufpassen und nie vergessen, daß man Vorgesetzte hat und daß man dem Staat dient und daß man mitzählt. Alles andere gilt nicht, und wenn es gelten will, ist es Hochmut und Unsinn. Und der Frau Rätin, wenn ich ihr oben im Gebirge begegne, vielleicht mit dem Kowalski, werd ich ein Kompliment bestellen, ein Kompliment von ihrem neuen Ritter Wonneberger, Ritter und Schulmeister, der hoch von ihr denkt. Na, ich nicht. Ich wollte sie schon ziehen. Spät is es, aber besser spät als gar nicht... Und nun Gott befohlen, Wonneberger. Und nehmen Sie sich in acht, wenn Sie weiter hin übers Wasser müssen; die Brücke ist weggeschwemmt, und die Steine sind glatt, und Sie sind nicht mehr ganz fest auf den Beinen. Adieu, Wonneberger. Sie sind eigentlich ein guter Kerl, eine gute Schulmeisterseele. Kommen Sie her, Sie sollen noch einen Kuß haben.«

      Und nun schieden sie wirklich, und während der Lehrer höher bergan stieg, stieg Opitz einen Abhang nieder, der ihn unten, an einem Waldsaume hin, auf die Wolfshauer Gemarkung führte. Freundliche Häuser waren über einen weiten Wiesengrund hin ausgebreitet, durch den die Lomnitz schoß, an deren diesseitigem Ufer das Forsthaus, mit dem Hirschgeweih am Giebel, aufragte. Opitz, der jeden Steg kannte, nahm seinen Weg über eine hoch in Blumen und Gräsern stehende Wiese hin, und eh er noch bis auf hundert Schritt an seine Gartenpforte heran war, schlug der große Kettenhund an, und die bis dahin stumm hinter ihm hertrollende Diana antwortete mit einem kurzen Blaff.

      Und wenige Minuten später überschritt Opitz die Schwelle seines Hauses.

      Frau Opitz, eine hagere Frau mit tiefliegenden dunklen Augen, die mal schön und lachend gewesen sein mochten, jetzt aber nur noch geängstigt in die Welt blickten, empfing ihren Mann und fragte, ob sie decken und das Mittagbrot auftragen solle.

      So geängstigt die Worte klangen, so klang doch auch was von Vorwurf und Anklage heraus, was Opitzen, trotz seiner Umnebeltheit, nicht entging.

      »Ach was, Bärbel. Mittagbrot. Was soll das wieder? Wenn ich nicht da bin, bin ich nicht da. Du sollst nicht auf mich warten, ein für allemal. Alles bloß Eigensinn, und mir zum Tort wird das Essen beiseite gestellt und schmort in der Schüssel, daß es wie Leder aussieht und wie Leder schmeckt. Ich will Ordnung und Stunde halten, so soll's sein, und wenn ich die Stunde nicht halte, weil ich sie mal nicht halten will, nun dann will ich sie nicht halten und will nicht dran erinnert sein, am wenigsten durch deinen Schmorbraten und dein Jammergesicht, in dem immer so was liegt, was mich ärgert und was ich nicht leiden kann.«

      Diana, müde von dem weiten Marsche, war auf den Großvaterstuhl gesprungen und wollte sich's eben bequem machen. Aber das paßte Opitzen schlecht. »Ist denn alle Welt verrückt geworden?« Und den Hund beim Fell packend, warf er ihn auf die Erde und gab ihm einen Fußtritt. Dann ging er auf einen Schrank zu, nahm eine mit Rohr umflochtene Flasche heraus und trank. Es war Kirschwasser, zu dem er, mit oder ohne Grund, das Vertrauen hatte, daß es »niederschlage«. Dann hing er den Staatsrock an den Riegel, machte die Krawatte weiter und warf sich, einen Stuhl heranschiebend, aufs Bett. Und keine halbe Minute mehr, so hörte man nur noch sein Atmen und Schnarchen. Diana kroch unter den Stuhl, und die Frau Försterin verließ leise die Stube, draußen in der Küche aber setzte sie sich zwischen Wand und Herd und ließ sich von Christine, die seit etwa zwei Jahren in ihrem Dienste stand, die Kaffeemühle geben und begann sofort ein allerintimstes Gespräch. Denn in einem ihr eigentümlichen Klageton über Ehe zu sprechen war ihr so ziemlich das Liebste vom Leben, auf das sie nicht verzichten mochte, trotzdem sie wohl wußte, daß Christine durchaus abweichender Meinung war.

      »Es war ihm wieder nicht recht, Christine. Und wenn ich es nicht warm stelle, ist es auch nicht recht. Er redet immer von Ordnung, aber jeden Tag hat er eine andere. Heb ich was auf, weil er zu spät kommt, dann ist zwölf Uhr Ordnung und darf nichts aufgehoben werden, und heb ich nichts auf, dann ist es Ordnung, daß eine Frau was aufhebt. Und immer grob und bullrig. Ich sage dir, Christine, heirate nicht! Du steckst so mit dem Lehnert zusammen, aber glaube mir, einer ist wie der andere.«

      »Nein, Frau Försterin, Lehnert ist doch ganz anders.«

      »Ja, das sagt ihr, das sagt jede; jede denkt, ihrer ist besser und ihr wird der Kuchen apart gebacken. Aber dem ist nicht so. Freilich hat er nicht solchen kurzen Hals wie Opitz, und die Kurzhalsigen sind immer die Schlimmsten, das ist wahr und kann ich nicht bestreiten, aber es bleibt doch dabei, sie sind sich gleich oder wenigstens sehr ähnlich, und einer ist eigentlich wie der andere. Sie quälen uns bloß, heute mit Eifersucht und morgen mit Liebe.«

      »Na, mit Liebe, das ginge doch noch, Frau Opitz; das is doch nich schlimm. Liebe, denk ich mir, is die Hauptsache.«

      »Ja, Kind, das sagst du wohl, weil du noch jung bist. Da sieht es so aus. Aber nachher ist es alles anders, und mit der Liebe auch. Und wenn man dann alt ist, ist man bloß noch dazu da, sich schimpfen und schelten zu lassen und Strümpfe zu stopfen und einen Knopf anzunähen.«

      Christine versicherte das Gegenteil, und schon ihre Mutter selig habe immer gesagt: »›Christine, heiraten mußt du, heiraten muß der Mensch. Und die, die viel schimpfen und schlagen, die sind auch gut, und mitunter sind es die Besten.‹ Und dann, Frau Opitz, ich habe doch auch schon gesehen, daß er Ihnen einen Kuß gegeben hat, und da waren Sie doch ganz vergnügt und so ... ja, ich weiß nicht recht wie ... Nein, nein, Frau Opitz, ich lasse mir nichts weismachen. Ich bin für Heiraten, und wenn Lehnert nicht will, nu, dann will er nicht, dann will ein anderer. Ich werde schon einen finden. Und ich weiß auch, wie man's machen muß. Man muß nur immer fidel sein und immer ›ja‹ sagen und nichts merken von dem, was man nicht merken soll. Dann kann man hinterher machen, was man will. Ach, liebe Frau Opitz, Sie verstehen es nicht, Sie sehen immer aus, als ob einer gestorben wär oder eben dabei wär, und das können die Männer nicht leiden. Nein, nein, Frau Opitz, ich heirate.«

      Und während sie noch so sprach, nahm sie den Kessel vom Herd und brühte den Kaffee. »Nicht zuviel, Christine, nicht zuviel; du weißt doch, daß er ihn gern stark hat, und weißt auch, was er immer dabei sagt: ›Schwarz wie der Tod und heiß wie die Hölle‹, was mir immer einen Stich ins Herz gibt. Denn man soll vom Tod nicht so reden und am wenigsten, wenn man ein Förster ist. Da ist der Tod da, man weiß nicht wie. Und schlagflüssig ist er auch, und von dem verdammten starken Bier kann er nicht lassen. Und dann immer das Kirschwasser.