Quitt. Theodor Fontane

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Название Quitt
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179284



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Jahre, dann hab ich mein Jubiläum, und ich darf wohl sagen, ich kenne euch und weiß, daß euch allen der Pascher und Wilddieb von Kindheit an im Leibe steckt. Das wird euch so gleich mit in die Wiege gelegt, und so nehmt ihr's als euer gutes Recht, und wenn ihr einen Grenzer oder Förster über den Haufen schießt, dann ist es nicht Mord, dann ist es Notwehr. Ich weiß das alles und find es traurig genug. Aber ich finde mich darin zurecht, das heißt, mißversteh mich nicht, ich finde mich darin zurecht, weil ich die schwache menschliche Natur kenne, der es schwer wird, der Versuchung und der Sünde, die heute so ist und morgen so, zu widerstehen. Aber daß ihr das alles in der Ordnung findet, daß ihr tut, als ob das Gesetz sich gegen euch versündige, sieh, das ist das Traurige. Und daß du die Dummheit mitmachst und auch so sprichst, als ob der Opitz ein Scheusal und eigentlich nicht viel besser als der Gottseibeiuns wäre, das tut mir leid. Und nun sprich und sage was Vernünftiges. Aber erst trink ein Glas Wein mit mir. Es ist heiß, und die Zunge klebt einem am Gaumen.«

      Der Pastor trank auch wirklich ein Glas; Lehnert aber dankte.

      »Nun gut, dann setz dich wenigstens. Und dann sage mir, was du zu sagen hast.«

      »Ach, Herr Prediger, Sie wissen ja, wie's liegt, und wissen auch, wir sind nicht so schlimm, ich schon gewiß nicht. Ich war bei den Soldaten und weiß, was gehorchen heißt, und is gar kein vernünftiger Mensch, der gegen 's Gehorchen is. Denn das hält alles zusammen. Und so muß auch das Gesetz sein. Aber die Menschen, ja, Herr Pastor, die Menschen, die machen den Unterschied, und wenn die nichts taugen, dann ist es schlimm. Das weiß ich auch noch von den Soldaten her, und ich darf wohl sagen, und ich hab es schriftlich in meinen Attesten, ich war ein guter Soldat. Aber auf die, die den Befehl haben, auf die kommt es an, und was gibt es nicht für Vorgesetzte! Da muß man antreten mit Gepäck und zwei Stunden auf dem Hofe nachexerzieren, und die Sonne brennt und sticht, und wie man sich quälen mag, der Paradeschritt taugt nichts, die Griffe bleiben falsch, und wenn sie noch so richtig wären; immer wieder ran, immer wieder vor, und dann einen Stoß unters Kinn und Verwünschungen und Drohungen, ›daß man's wohl noch bis zum Zuchthaus oder bis zum Baugefangenen bringen würde‹. Ja, Herr Pastor, solch Unteroffizier – und es gibt's ihrer – verlangt auch Gehorsam und findet ihn auch, aber wenn's dann paßt, dann stellt man ihm ein Bein oder schafft ihn über Eck. Und die, die das tun, die sind nicht gegen Gehorsam und Disziplin, die sind bloß gegen den Unteroffizier. Und was mich angeht, Herr Prediger, ich bin nicht gegen das Gesetz, auch wenn ich's nicht immer halte, ich bin bloß gegen den Opitz, diesen Schuft und Schelm, diesen Saufaus und Menschenschinder«.

      Siebenhaar lächelte. »Da haben wir's wieder, ganz wie ein Puter, wenn er den roten Lappen sieht. Du willst Person und Sache trennen. Aber geht das, hast du ein Recht dazu?«

      »Ich meine ›ja‹, Herr Pastor. Sie wissen, daß ich zwei Monat drüben in Jauer war, wie 'n Verbrecher, unter lauter Gesindel. Und das verdank ich ihm.«

      »Er hat dich angezeigt. Das war seine Pflicht.«

      »Er hat mich angezeigt, das war seine Lust. So liegt es. Er ist immer lustig dazu, bei jedem, aber doppelt bei mir, denn wir sind alte Feinde, noch von den Soldaten und vom Kriege her. Ich kenn ihn, Herr Pastor; er ist ein schlechter Kerl, und solang ich denken kann, hat er mich gequält. Er war mein Oberjäger, und kein gutes Wort hat er mir je gegönnt. Immer hart, immer roh, auch vorm Feind, und nur wenn's in die Schlacht ging, war er wie 'n Ohrwurm. Es gibt eben Kugeln, die sich verirren. Und dann, Herr Pastor, wenn er nicht war, so hätt ich das Kreuz. Aber er hat dagegen gesprochen. Und was hat er gesagt? Ich taugte nichts, ich wäre frech und übermütig, und man könne nicht jedem das Kreuz geben, der ein paarmal aus einem Fenster geschossen habe, bei guter Deckung. Wahr und wahrhaftig, ›bei guter Deckung‹, so hat er gesagt, der schlechte Kerl. Und er war gar nicht einmal dabei. Ich will nicht sagen, daß er feige ist, nein, feige ist er nicht, aber ein Neidhammel ist er. Und was dann nachher kam, ich meine das vorige Jahr, nun, das weiß der Herr Pastor. Von Unschlitt und Schimmelbrot will ich leben, wenn ich's dem Kerl verzeih, daß er mich belauert und an die Grenzaufseher verraten hat und daß sie mich nach Jauer abgeliefert haben. Und warum? Um ein Stück Reichenberger Tuch, nicht der Rede wert! Immer hat er mir den Weg gekreuzt. Hol ihn der Teufel!«

      Siebenhaar drohte halb scherzhaft mit dem Finger. Lehnert aber trat an den Alten heran und bat in einem Tone, drin sich Ernst und gute Laune die Waage hielten, um Entschuldigung.

      »Ich will dir den ›Teufel‹ zugute halten, Lehnert, wiewohlen man ihn nicht anrufen soll. Aber versprich mir dafür, Friede zu halten. Ich weiß nicht, ob er dir unrecht getan hat mit dem Kreuz, aber wenn es auch wäre, du mußt es vergessen.«

      »Will's versuchen.«

      »Versprichst du's ernsthaft? Hab ich dein Wort?«

      »Ja. Aber wenn er wieder anfängt...«

      »Er wird nicht. Ich werde mit ihm sprechen, und du sollst Bescheid haben. Vielleicht bald. Und dann komm ich selbst.«

      Drittes Kapitel

      Während Lehnert dieses Gespräch hatte, schritt der, dem all diese Drohungen galten, heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine Försterswohnung mit der der Menzschen Stellmacherei grenzte. Der nächste Weg nach Haus wäre der unten im Tal, an der Lomnitz hin, immer flußaufwärts, gewesen, er mied ihn aber, weil dieser nähere Weg ohne Wirtshaus war und er ernstlich vorhatte, sich bei einem Glase Bier und einem guten Gespräch von den Anstrengungen der Siebenhaarschen Predigt, die, wie gewöhnlich, gut, aber etwas lang gewesen war, zu erholen.

      So stieg er denn, den Umweg nicht scheuend, die große Straße bergan auf Krummhübel zu, wo er sicher war, in dem prächtig gelegenen Wirtshause »Zur Schneekoppe« den ersehnten guten Trunk und vor allem auch eine gute, das heißt eine gefällige Gesellschaft zu finden, die sich's angelegen sein ließ, ihn reden zu lassen und ihn bei jedem dritten Worte »Herr Förster« zu nennen. Denn sich umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben, war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand. Sein Hühnerhund Diana, der darauf dressiert war, die Predigt draußen auf einer von der Sonne beschienenen Kiesstelle zu verschlafen, folgte dicht hinter ihm, ein schönes, schwarz und weiß geflecktes Tier.

      Und keine halbe Stunde, so bog er in Krummhübel ein, drin eine sonntägliche Stille herrschte. Links lief ein Wässerchen und schäumte, Hühner und Sperlinge pickten überall umher, wo eine Krippe gestanden hatte, und in der offenen Haustür lehnten einzelne Dorfbewohner und genossen der Sonntagsruhe.

      »Guten Tag, Herr Förster«, sagte Gerichtsmann Klose, seine Pfeife respektvoll aus dem Munde nehmend, und »Guten Tag, Herr Förster«, wiederholte die nebenan wohnende, für gewöhnlich mit ihren Gunstbezeigungen etwas kargende Frau Böhmer den Gerichtsmann Kloseschen Gruß auch ihrerseits und trat aus ihrem Kramladen in die Dorfstraße hinaus, um dem Vorübergehenden die Hand zu geben, ja, sie schien ihn sogar anreden zu wollen. Des Försters Haltung aber war so steif und gemessen, daß selbst Frau Böhmer mit ihrer Frage zurückzuhalten für gut fand.

      Und nun noch hundert Schritte, so stand unser Förster Opitz vor Exners »Schneekoppe«, trat aber nicht über den Schwellstein in den Flur, sondern bog gleich daneben in einen von einem Staketenzaun eingefaßten Garten ein, in dem, um einen plätschernden Springbrunnen herum, und zugleich in Front einer großen Veranda, viele Sommergäste saßen. Sich diesen zu gesellen fiel Opitz aber nicht ein, weil er im Vorübergehen herausgehört hatte, daß es Berliner waren, also Leute, von deren eigener Eingebildetheit er für die seinige nicht viel zu hoffen hatte. So ging er denn lieber auf eine kleine, von wildem Wein umwachsene Holzlaube zu, wo noch niemand saß, und ließ sich hier an einem langen, braungestrichenen Eßtisch nieder, von dem aus, unmittelbar an der Wand daneben, ein Klingeldraht nach dem Wirtshause hinüberführte. Diesen zog er. Die Bedienung war aber einigermaßen säumig, was ihn, weil er eine Verkennung seiner Wichtigkeit und Würde darin erblickte, sofort heftig ärgerte. Wirklich, sein ohnehin etwas auf Schlagfluß deutendes Gesicht wurde von Minute zu Minute röter, und erst den Hut vom Kopf nehmend und gleich danach das Sacktuch aus seiner Tasche ziehend, begann er sich in nervöser Unruhe bald mit dem einen, bald mit dem andern zu beschäftigen. Endlich kam die Bedienung, eine schöne schwarze Person, von der es