Holzperlenspiel. Irene Dorfner

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Название Holzperlenspiel
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738005257



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Bruder Siegmund verabschieden, der sie am liebsten begleitet hätte. Und natürlich hatten sie ihm versprechen müssen, ihn auf dem Laufenden zu halten.

      Im Rückspiegel sah Leo den kleinen dicken Mönch traurig hinterherwinken. Der Mann tat ihm leid. Er konnte sich vorstellen, dass es für einen neugierigen Menschen im Kloster mitunter sehr langweilig werden konnte. Trotzdem benötigten sie seine Hilfe momentan nicht, außerdem hatte er bestimmt Wichtigeres zu tun.

      „Weißt du, was mir keine Ruhe lässt?“

      „Nein, weiß ich nicht.“

      „Dass das riesige Kloster dieses Ordens frisch renoviert vollkommen leer steht. Wieviel Menschen könnten da Unterschlupf finden? 20 oder 30? Oder mehr? Was meinst du?“

      „Ich weiß es nicht und es geht mich auch nichts an. Das Kloster gehört den Kapuzinern und was die damit machen, ist deren Problem.“

      „Das finde ich nicht. In den Medien wird davon berichtet, dass es für Flüchtlinge aus Krisengebieten keine Unterkünfte gibt, die Menschen sind meist sehr traumatisiert und haben Schreckliches erlebt. Stell dir doch mal vor, du kommst aus einem Kriegsgebiet und wirst nach einer dramatischen Flucht in eine völlig fremde Kultur geworfen – und dann ist kein Platz für dich und deine Familie. Das muss doch schrecklich sein, wenn man von einer Tragödie in die nächste kommt.“

      „Sicher, aber eine Notunterkunft ist immer noch besser als das Leben in einem Kriegsgebiet.“

      „Da gebe ich dir ja Recht. Aber gestern kam in den Nachrichten, dass Flüchtlinge aus Platzmangel sogar in Sporthallen und leerstehenden Baumärkten untergebracht werden. Und wenn ich höre, dass hier mitten in Altötting ein Kloster komplett leer steht, dann stelle ich mir natürlich schon die Frage, ob man da nicht von Seiten des Ordens reagieren sollte.“

      „Natürlich hast du nicht ganz Unrecht. Und um das Ganze noch anzuheizen muss ich dir sagen, dass noch viel mehr Räumlichkeiten in Altötting leer stehen, die sehr gut für die Unterbringung von Flüchtlingen benutzt werden könnten. Aber diese Häuser sind nun mal Privatbesitz und es steht den Besitzern frei, über die Verwendung selbst zu entscheiden, ob uns das nun gefällt oder nicht. Außerdem ist das nicht nur ein Problem in Altötting, so geht es vielen Städten und Gemeinden. Wenn man wollte, könnte man die erbarmungswürdigen Flüchtlinge nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern sie auch noch anständig unterbringen. Aber wie gesagt, das müssen die Besitzer entscheiden und ist nicht unser Problem, leider.“

      Leo war wütend, denn Viktoria hatte Recht. Wenn alle zusammenarbeiten würden, dann wäre die Flüchtlingsunterbringung kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und es würde in den Medien nicht hochgeschaukelt und thematisiert werden, wodurch Gegnern der Flüchtlingspolitik nur unnötig Argumente zugespielt würden.

      Rudolf Krohmer, Chef der Mühldorfer Polizei, wartete ungeduldig im Besprechungszimmer, denn er hatte bereits erfahren, dass es in der Basilika in Altötting einen Toten gab.

      „Und? Was haben wir?“

      „Das Opfer ist ein Kapuzinermönch. Sein Name ist Bruder Benedikt und stammt aus dem Kloster Wiener Neustadt. Er war nur zu Besuch in Altötting. Sein weltlicher Name ist Karl-Heinz Schuster, aber um es einfacher zu halten, schlage ich vor, dass wir bei Bruder Benedikt bleiben.“ Viktoria Untermaier reichte ihm die Fotos des Tatorts weiter und er verzog das Gesicht.

      „Einverstanden. Irre ich mich, oder starrt mich der Tote an? Das ist ja unheimlich!“

      „Das haben wir auch so empfunden, das liegt wahrscheinlich an den stahlblauen Augen. Der Kollege Grössert hat im Leben des Opfers recherchiert. Werner, bitte.“

      Der 39-jährige Werner Grössert war gebürtiger Mühldorfer und kam aus gutem Hause. Seine Eltern haben ein angesehenes Anwaltsbüro, das in ihrem letzten Fall einen satten Kratzer abbekommen hatte, aber mit Hilfe von Rudolf Krohmer konnte Schlimmeres für die Kanzlei und damit für seine Eltern verhindert werden. Werner Grössert war verheiratet und seine Frau war schwanger – niemand hatte jemals damit gerechnet, denn seine Frau, die von den Eltern erst seit kurzem einigermaßen akzeptiert und angenommen wurde, litt unter einer schlimmen Hautkrankheit, wegen der sie nicht nur arbeitsunfähig war, sondern die sie zu vielen, wiederkehrenden Krankenhausaufenthalten zwang. Und plötzlich kam vor einigen Monaten die Nachricht wie aus heiterem Himmel: Seine Frau war tatsächlich schwanger! Sie hatte sofort alle Medikamente abgesetzt und hielt sich trotz der Schmerzen erstaunlich tapfer. Sie jammerte nie, schien trotz allem fröhlich und ausgelassen. Werner liebte sie auch für ihren Mut und ihre Stärke. Nur noch wenige Wochen und dann war es so weit und er sehnte den Geburtstermin herbei, denn es war höchste Zeit, dass seine Frau wieder Medikamente nehmen konnte. Ihre Haut hatte sich verschlimmert und sie quälte sich Tag und Nacht. Werner hatte ihr für die Zeit nach der Entbindung bereits einen Kuraufenthalt organisiert, den sie dann dringend brauchte. Der stets gepflegte und modisch gekleidete Werner Grössert hatte sich wegen der Schwangerschaft, aber auch wegen dem letzten Adlerholz-Fall verändert. Seine grundlegende Einstellung gegenüber seinen beinah heiligen Eltern hatte starke Risse bekommen und immer wieder widersprach er ihnen und setzte sich durch, was seine Eltern bis dato nicht von ihm kannten. Auch die Tatsache, dass er nun eine Schwester hatte, mit der er einen sehr engen Kontakt pflegte, hatte sehr viel verändert und sein Leben bereichert. Kurzum: Das Verhältnis zwischen ihm und seinen Eltern hatte sich grundlegend gebessert, obwohl er keine Illusionen dahingehend hatte, dass irgendwann einmal ein herzliches, problemloses Verhältnis zwischen ihnen herrschen würde.

      „Bruder Benedikt, wie gesagt, dessen weltlicher Name Karl-Heinz Schuster ist, gehört dem Kapuzinerkloster Wiener Neustadt seit über 30 Jahren an. Das Opfer ist 54 Jahre alt und hat noch einen leiblichen Bruder, der in Amerika lebt und dort an der Columbia-Universität unterrichtet, sein Name ist Ferdinand Schuster. Ich habe mit ihm gesprochen und er ist auf dem Weg zu uns, um die Formalitäten zu regeln. Herr Schuster hatte nur losen Kontakt zu seinem Bruder, das letzte Mal vor über 5 Jahren, als die Mutter beerdigt wurde, der Vater ist seit über zwanzig Jahren tot. Bruder Benedikt galt als hilfsbereit, zielstrebig und war bei seinen Mitbrüdern offenbar beliebt, war aber grundsätzlich verschlossen und in sich gekehrt. Die Aufgabe hier in Altötting nahm er nur sehr zögerlich an, er mochte das Reisen nicht. Ansonsten gab es keine Auffälligkeiten und auch keine engen Kontakte außerhalb des Heimatklosters.“ Werner Grössert war erstaunt darüber, was er über Bruder Benedikt herausgefunden hatte, denn wenn man über dreißig Jahre in einem Kloster mit nur wenigen Brüdern lebt, muss man doch zumindest mit denen im engeren Kontakt stehen. Aber vielleicht erfuhren sie Näheres vom Bruder, der heute Abend in München landen und morgen früh hier im Büro sein würde.

      „Mit den Klosterbrüdern in Altötting hatte er nur sehr oberflächlichen Kontakt, von Kontakten außerhalb des Klosters ist nichts bekannt,“ fügte Hans Hiebler an. Der 53-jährige, gutaussehende, 1,80 m große und sportliche Mann war aufgrund seines letzten Aufenthalts während des letzten Wochenendes in der Toskana immer noch braun gebrannt und wirkte sehr erholt. Bei ihrem letzten Fall hatte er in Florenz bei einer dortigen Polizeibehörde eine Frau kennengelernt, Lucrezia Mandola, und mit ihr verbrachte er seine Freizeit. Die Distanz zwischen ihm und seiner Freundin war für Hans kein Problem, schließlich war es mit dem Flugzeug von München nach Florenz nur ein Katzensprung. Entgegen seiner sonstigen Angewohnheit hielt er diese Information seinen Kollegen gegenüber geheim, die sich ja doch nur darüber lustig machen würden. Hans Hiebler war bekannt dafür, dass er alle Frauen liebte und immer und überall mit ihnen flirtete und versuchte, sich mit ihnen zu verabreden. Aber seit er Lucrezia kannte, war das anders, mit ihr war jeder Tag etwas ganz Besonderes. Das mit dieser vorlauten, frechen, selbstbewussten und sehr empfindsamen Lucrezia war noch ganz frisch und er wollte nichts kaputtmachen. Vor beinahe einem Jahr war seine damalige große Liebe Doris getötet worden und er vermisste sie selbstverständlich auch heute noch, aber der Schmerz wurde leichter und er war nun vielleicht für eine neue, tiefere Beziehung wieder offen.

      „Ich möchte noch anfügen, dass der Tote in der rechten Hand eine schlichte, kleine Holzperle hielt, sie ist in der KTU. Nach unseren Informationen handelt es sich um die Perle eines Rosenkranzes, den man überall kaufen kann.“

      „Das ist allerdings seltsam,“