Holzperlenspiel. Irene Dorfner

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Название Holzperlenspiel
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738005257



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Siegmund.

      „Ich verstehe. Bruder Andreas hat im Grunde genommen richtig gehandelt, denn ich bin nicht mehr in der Lage, mich um meine Mitmenschen zu kümmern. Aber diese Information, dass Schwester Babette obdachlos ist, setzt mir ganz schön zu. Was wohl mit ihr passiert sein mag? Menschen werden nicht ohne Grund aus der Bahn geworfen. Ihr Schicksal tut mir von Herzen leid und ich werde sie in meine Gebete einschließen. Aber ich hatte nicht näher mit ihr zu tun und kann Ihnen über sie keine weiteren Auskünfte geben. Ich hoffe, es geht ihr den Umständen entsprechend gut und sie findet wieder in ein geregeltes Leben zurück.“

      „Wir sind schon dabei, die Frau ausfindig zu machen. Sie sagten, dass Sie ihr die Beichte abgenommen haben. Was hat Sie Ihnen erzählt?“

      „Das darf ich Ihnen nicht sagen, ich bin an das Beichtgeheimnis gebunden.“

      Viktoria hatte Leo das Gespräch überlassen, sie beobachtete lieber. Beim Namen dieser Frau reagierte der alte Mann heftig, er mochte die Frau. Bei seinem letzten Satz sprach er ruhig und gelassen, offenbar hatte die Frau ihm wirklich nichts Besonderes gebeichtet. Aber sie sah auch, wie der Mann immer mehr ins sich zusammensackte, er war mit seinen Kräften am Ende. Sie gab Leo ein Zeichen, das Gespräch zu beenden.

      „Vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.“

      Sie verabschiedeten sich und traten auf den Flur.

      „Ich begleite die beiden Polizisten nach draußen und bin gleich wieder zurück. Dann bringe ich dir eine schöne Suppe mit, die wird dir guttun.“ Bruder Siegmund war wirklich eine Seele von Mensch und nachdem er eine Decke über die Beine seines Mitbruders gelegt hatte, war er auch schon bei den Polizisten.

      „Was war die Aufgabe von Bruder Benedikt?“, wollte Viktoria von Bruder Siegmund wissen.

      „Er war hauptsächlich in unserer Schule in der Neuöttinger Straße tätig. Er hat sich dort um die Kinder gekümmert, hat mit ihnen Hausaufgaben gemacht, sich ihrer Sorgen angenommen und in der Küche geholfen. Er ist auch ab und an eingesprungen, wenn eine Lehrkraft ausgefallen ist und diese Aufgabe hat er mit Bravour gemeistert, obwohl er keine Lehrerausbildung hatte. Ja, Bruder Benedikt war ein Naturtalent, die Kinder haben ihn geliebt. Nachdem er gesundheitsbedingt seine Arbeit aufgeben musste, konnte diese Lücke nur sehr schwer geschlossen werden. Eine weitere Aufgabe, die er ebenfalls mit Leidenschaft ausführte, waren die Krankenbesuche im Krankenhaus und die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt. Bruder Benedikt hat viele Kinderfeiern organisiert und auch Fahrten während der Schulferien organisiert und begleitet. Darüber hinaus, und dafür bewundere ich ihn am meisten. Er hat immer wieder die JVA Mühldorf besucht und sich dort mit den Insassen unterhalten. Sie müssen wissen, dass sich um diese Besuche keiner von uns reißt. Die Umgebung ist doch sehr düster und auch bestimmt gefährlich. Aber Bruder Benedikt hat sich nicht gefürchtet und hat noch bis ins hohe Alter diese Besuche übernommen. Er war ein sehr, sehr guter Seelsorger und dafür bewundere ich ihn heute noch. Es tut mir weh, wie ich sehe, welche Schmerzen er erdulden muss, und dabei jammert er nie. Ich tue alles dafür, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen und erfülle ihm jeden Wunsch.“

      Bruder Siegmund schwärmte in den höchsten Tönen von seinem Mitbruder und man spürte, dass er ihn sehr mochte. Die Beamten hatten genug gehört und verabschiedeten sich.

      „Kaffee?“, fragte Leo, der seiner Viktoria ansah, dass sie etwas beschäftigte.

      „Gerne.“

      Sie setzten sich trotz der kühlen Luft vor das Café am Kapellplatz und bestellten Cappuccino.

      „Was ist los?“

      „Ich weiß es nicht, aber dieser Bruder Benedikt hat für meine Begriffe auf die Sandlerin zu heftig reagiert. Wir sollten uns die frühere Arbeit dieses Klosterbruders genauer vornehmen.“

      „Du siehst doch Gespenster. Du kennst meine kritische Einstellung zur Kirche, besonders ein Kloster ist mir sehr suspekt. Aber dieser alte Mann ist ein gütiger, gläubiger Mensch, der sein ganzes Leben nur für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt hat. Lass uns abwarten, bis wir diese Frau Silberstein gefunden haben und was sie uns zu sagen hat, dann sehen wir weiter.“

      Sie tranken schweigend ihre Kaffees. Leo ließ seinen Blick über den inzwischen fast leeren Kapellplatz schweifen, der nun beinahe im Dunkeln lag. Aber die Gnadenkapelle, die sie direkt im Blick hatten, konnte man immer noch gut erkennen. Leo verstand nicht, wie man eine kleine Kirche und deren Reliquien dermaßen verehren konnte, dass man dafür Strapazen und Mühen auf sich nahm. Er erinnerte sich an den vorletzten Fall, bei dem sie eine Leiche direkt dort drüben auf der Bank sitzend gefunden hatten, und dachte darüber nach, während Viktoria gedanklich nochmals das Gespräch und die Reaktion von diesem Bruder Benedikt durchging.

      „An was denkst du? Findest du dieses Klosterleben nicht auch suspekt?“

      „Das ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal,“ antwortete Viktoria, während sie sich eine weitere Zigarette anzündete. „Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden.“ Bis jetzt hatte sie sich nicht besonders viele Gedanken darüber gemacht, nahm die verschiedenen Klöster und Kirchen einfach so hin. Für sie gab es im Glauben sowieso keine Unterschiede. Es kam alles immer aufs Gleiche raus: die Verehrung eines Übervaters, an den man sich in der Not wenden und ihm auch danken konnte. Aber warum gleich ins Kloster gehen? Nie ein eigenständiges Leben führen, Familie haben, frei entscheiden können? Wie tief musste ein Glauben sein, um sein ganzes Leben nur der Kirche zu widmen? Für Viktoria, die kein gläubiger Mensch war, war das alles nicht nachvollziehbar. Wie konnte man bei all dem Elend und schreiender Ungerechtigkeit an irgendeine Religion glauben, sogar daran festhalten? Viktoria schüttelte den Kopf, sie war für so einen festen Glauben nicht geschaffen. Dafür hatte sie schon viel zu viel Schreckliches gesehen und erlebt. Täglich passierten immer wieder unglaubliche, unfassbare Dinge, die ein mächtiger Übervater niemals zulassen dürfte. Für sie stand fest – es gab keinen Gott oder etwas Ähnliches. Das war eine reine Erfindung der Menschen, die dadurch Vieles einfacher ertragen konnten, oder aber sich die Lehren des jeweiligen Glaubens so zurecht legten, um damit Ungerechtigkeit, Kriege, Macht, Verfolgung, usw. zu rechtfertigen.

      Diese Meinung und innere Einstellung würde sie auch vor Anderen vertreten – allerdings nur, wenn sie danach gefragt würde. Denn hier in dieser tief katholischen Ecke Bayerns war man noch nicht so weit, um seine Meinung über den Glauben offen auszudrücken, vor allem nicht als Beamtin. Aber sie spürte, dass die Menschen auch hier immer offener und zugänglicher wurden. Irgendwann dürfte man vielleicht auch diesbezüglich offen seine Meinung äußern. Die Menschen waren hier in Oberbayern und auch sonst überall auf der Welt noch nicht so weit, um vorbehaltlos andere Meinungen und Einstellungen zu akzeptieren, was nicht zuletzt die öffentlichen Diskussionen bezüglich Frauenquote, Männer im Erziehungsurlaub, das Einfrieren von Eizellen für späteren Kinderwunsch, Zuwanderung, usw. (die Liste kann man unendlich fortführen) beweisen. Es sind in den Köpfen der Menschen immer noch Mauern, veraltete Strukturen und Vorstellungen vorhanden, die noch längst nicht eingerissen sind. Aber Viktoria war zuversichtlich, dass sich das irgendwann ändern würde. Vielleicht hatte sie das Glück und würde das noch erleben dürfen.

      Während sie in Gedanken versunken war, nahm Leo einfach ihre Hand und hielt sie fest. Spürte er, was sie dachte? Sie war sich dessen sicher. Es tat so unendlich gut, dass sie einen Menschen an ihrer Seite hatte, der sie auch ohne Worte verstand und auf den sie immer zählen konnte. Sie könnte hier noch ewig sitzen bleiben, sie spürte weder die zunehmende Kälte, noch störte sie die Dunkelheit, die immer mehr um sich griff.

      „Es ist zwar sehr schön hier, aber wir gehen jetzt besser, bevor du dich noch erkältest,“ sagte Leo, bezahlte und sie fuhren nach Hause, wo sie es sich auf der Couch gemütlich machten. Unterwegs hatten sie Pizza geholt, die sie sich nun schmecken ließen.

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