Homunkulus Rex. S. G. Felix

Читать онлайн.
Название Homunkulus Rex
Автор произведения S. G. Felix
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753184456



Скачать книгу

Kennengelernt hatten sie sich während eines Rundgangs im Museum für zeitgenössische Geschichte - ziemlich unspektakulär. Schnell fanden die beiden heraus, dass sie viele Interessen teilten, und so unternahmen sie gelegentlich etwas zusammen.

      Ihre über die Jahre gewachsene Freundschaft hatte den Status des Platonischen nie verlassen, obwohl Robert überzeugt war, dass Nicole bereit gewesen wäre, den nächsten Schritt zu tun. Aber sie tat es nicht. Genauso wenig wie er. Manchmal verstand er selbst nicht, warum sie beide in ihrer Beziehung stets auf der Stelle traten. Doch eigentlich war die Antwort einfach: Beide machten sich Sorgen um ihre Zukunft. Ihre Arbeitsstellen waren alles andere als sicher. Ein berufsbedingter Umzug - das betraf vor allem Nicole - war mehr als wahrscheinlich. Es konnte gut sein, dass sie sich nächste Woche schon nicht mehr treffen konnten. Das war ein Dauerthema, das Nicole sehr auf der Seele brannte. Und es gab nichts, das Robert ihr zur Beruhigung sagen konnte. Ihre wenigen gemeinsamen Stunden könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Aus diesem Grund, aus reiner Furcht, den jeweils anderen zu verlieren, wollte daher keiner von beiden mehr Gefühle investieren, damit es nicht zum eigenen Schaden sein würde.

      »Wie geht es dir? Du siehst irgendwie anders aus«, sagte Nicole, kurz nachdem sie an ihrem Tisch Platz genommen hatten. Sie schaute auf ihren im Tisch eingelassenen Smartscreen, um die Speisekarte zu durchstöbern.

      »Was meinst du mit anders?« Robert tat überrascht.

      »Ich weiß nicht. Anders als sonst. Du siehst dich ständig um und wirkst nervös.«

      »Nervös? Ich? Keine Ahnung, vielleicht zu viel Kaffee heute getrunken.«

      Nicole hatte sich nichts eingebildet. Und es lag auch sicher nicht am Kaffee. Robert hatte vor wenigen Tagen vom Anwalt seiner verstorbenen Tante in Wladiwostok erfahren, dass er ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte. Wladiwostok lag am anderen Ende der Welt. Robert hatte seine Tante daher nur selten gesehen. Über ihre finanziellen Verhältnisse hatte er praktisch nichts gewusst, auch nicht, dass er der einzige Erbe sein würde, sollte sie sterben. Die Nachricht ihres Anwalts kam für ihn aus heiterem Himmel. Aber nicht nur das: Als seine Tante ihn vor Jahren besucht hatte, musste er Andeutungen über seinen Wunsch, seinem Leben zu entfliehen, gemacht haben. Denn ihr Anwalt ließ ihm die Wahl, ob er sein geerbtes Vermögen ausbezahlt bekommen sollte (natürlich nach vorheriger Überweisung ans Finanzamt, das zwei Drittel davon als Erbschaftssteuer für Arbeitnehmer einbehielt), oder ob er es auf Vorschlag der Erblasserin »treuhänderisch einbehalten« sollte. In diesem Falle würde er - der Anwalt - Kontakt mit einer Organisation aufnehmen, die Robert seinen größten Wunsch erfüllen könnte. Deutlicher wurde er nicht. Aber Robert wusste sofort, was gemeint war. Seine verstorbene Tante, die er nie wirklich kennengelernt hatte, ermöglichte ihm posthum einen Weg in die Unabhängigkeit. Robert war überglücklich und schämte sich zugleich, nicht mehr Zeit mit seiner letzten lebenden Verwandten verbracht zu haben. Er stimmte dem Vorschlag des Anwalts aus Wladiwostok zu, und schon kurze Zeit später nahm die Organisation, die illegal Klone herstellte und verkaufte, mit ihm auf konspirative Weise Kontakt auf.

      Wenn er also in diesen Tagen nervös wirken sollte, dann war das vermutlich noch eine Untertreibung. Er fühlte sich wie ein Verbrecher. Und nach dem Gesetz war er das ja auch. Schon die Kontaktaufnahme mit den illegalen Klonherstellern konnte einen ins Gefängnis bringen. Nicole kannte ihn schon zu lange, als dass sie übersehen würde, dass Robert etwas beunruhigte.

      »Und, was macht die Arbeit?«, fragte Robert, um von sich erst einmal abzulenken.

      Nicole seufzte niedergeschlagen. »Ach, darüber würde ich am liebsten gar nicht reden.« Aber natürlich tat sie es doch, denn es beschäftigte sie viel zu sehr. »Ich habe dir doch von unserem neuen 'Mitarbeiter' in unserem Altenheim erzählt.«

      »Du meinst den Pflegeroboter? Die neueste Version, die einem Menschen täuschend ähnlich sieht? Kein Roboter, sondern ein Android, oder?«

      »Ja, genau den. Er heißt Peter - wie originell.« Nicole verdrehte die Augen voller Abscheu.

      »Und? Keine guten Erfahrungen mit ihm gemacht?«

      »Ganz im Gegenteil! Unser künstlicher Peter schlägt sich hervorragend. Er arbeitet rund um die Uhr. Er beschwert sich nicht über die Arbeitsbedingungen oder zu niedrigen Lohn oder über mangelnde Anerkennung für seinen Berufsstand. Er hat mit den ihm zugeteilten Pflegebedürftigen stets eine Engelsgeduld. Er wird nie müde oder krank. Er hört immer zu. Er wird von allen gemocht, weil er immer so scheiß-höflich und zuvorkommend ist. Er ist eben der bessere Mensch, verstehst du? « Nicole betrachtete ihren Smartscreen, schaute aber in Wahrheit verbittert durch ihn hindurch und sah sich selbst, wie sie in naher Zukunft um Arbeit betteln gehen würde.

      Robert wusste genau, wovon sie sprach und teilte ihre Sorge über ihre berufliche Zukunft. Er hatte schon selbst mehr als einmal das 'Vergnügen' gehabt, sich mit diesen scheiß-höflichen Klugscheißer-Robotern auseinanderzusetzen, gegen deren Logik-KI kein Kraut gewachsen war.

      »Es werden immer mehr von diesen Dingern«, sagte er. »Ich musste vor einiger Zeit zur Betriebspsychologin, weil mein Arbeitsprofil Mängel aufwies, wie es hieß. Und jetzt rate mal, wer die Betriebspsychologin war.«

      »Ein Roboter.«

      »Ja, ein Roboter, der aussah wie eine Wachsfigur mit steifen Gesichtsanimationen. Aber mit einer künstlichen Intelligenz des neuestens Typs ausgestattet. Einer Intelligenz, der du als normaler Mensch nichts, aber auch gar nichts entgegensetzen kannst.«

      »Davon hast du mir gar nichts erzählt. Warum wurdest du zum Psychologen einbestellt?«

      »Na, warum wohl? Weil ich nicht effektiv genug arbeitete.«

      Roberts Job, ebenso wie der von Nicole, war noch einer der wenigen, der hauptsächlich von Menschen ausgeübt werden konnte. Er arbeitete in einer großen Serverfarm, die ein wichtiger Verteilerknoten für das Internet war. Zwischen endlosen Reihen von Serverschränken mit den modernsten Quantencomputern musste er sicherstellen, dass die Kühlungssysteme ordnungsgemäß funktionierten. Wartung und Reparatur erforderten von ihm, dass er sich nicht selten in enge Wartungsklappen und Schächte zwängen musste. Diese akrobatischen Anforderungen waren bislang für einen Wartungsroboter ungeeignet, so dass Roberts Job noch nicht akut in Gefahr war. Aber man erzählte sich in seiner Wartungscrew, dass die Betreiberfirma bereits fieberhaft an einer autonomen Reparatur- und Wartungslösung arbeitete. Mehrfache Nachfragen seitens der Belegschaft wurden meist kommentarlos abgewiegelt. Aber jeder wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man selbst auf der Straße sitzen würde, wenn Freund Roboter seine Aufgaben übernahm.

      »Nicht effektiv genug?«, wiederholte Nicole. »Wollen die vielleicht, dass du 24 Stunden am Tag arbeitest?«

      »Nein, diesen Traum werden sie sich schon bald ohne mich erfüllen. Ich bin einmal fast ohnmächtig geworden. Ich hatte damals vermutlich zu wenig getrunken. An jenem Tag musste ich unmittelbar hinter einem der Hauptprozessoren-Cluster schuften. Da waren es teilweise über vierzig Grad, weil die Kühlung nicht richtig funktionierte. Mir war nach ein paar Stunden schon etwas schwindelig. Und dann musste ich gleich darauf in einem anderen Bereich arbeiten, in dem es so kalt war, dass man dort normalerweise nur mit Spezialkleidung und Handschuhen arbeiten kann. Da ich aber wieder in einer engen Nische werkeln musste, um ein verstopftes Kühlleitungsrohr freizubekommen, musste ich auf eine dicke Jacke verzichten und fror mir fast den Hintern ab. Am Ende des Tages bin ich dann kurz zusammengeklappt. Nichts Ernstes. Meine Kollegen haben mich schnell wieder aufgepäppelt.

      Aber am nächsten Tag wurde ich sofort zu unserer Betriebspsychologin einbestellt. Eine attraktive Roboterdame mittleren Alters. Sie kann allerdings nur hinter ihrem Schreibtisch sitzen, weil sie gar keine Beine hat.«

      »Toll. Aber einen Schreibtisch hat das Ding. Darauf kann es wohl nicht verzichten.«

      »Verrückt, nicht wahr? Der Raum, in dem ich mit ihr - dem Ding - eingesperrt war, sollte eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, wie mir erklärt wurde. Wie dem auch sei. Die sprechende KI erklärte mir, dass ich offensichtlich ein Einstellungsproblem zu meiner Arbeit hätte, deshalb hätte ich mir eingebildet, ich würde in Ohnmacht fallen.

      Ich versuchte, dem Ding zu