Karibien. Xaver Engelhard

Читать онлайн.
Название Karibien
Автор произведения Xaver Engelhard
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179611



Скачать книгу

wenn das Wetter sie unsichtbar machte, auf die Mole setzten. Dann blickte er Rodney an. „Hill 232! Keine Ahnung, warum wir da unbedingt hoch mussten! Irgendwas Strategisches vermutlich! Aber wir haben ‘s geschafft! Wir waren oben. Für ungefähr zwanzig Minuten! Dann waren sie plötzlich überall. Wir mussten auf dem gleichen Weg zurück, den wir uns hoch gekämpft hatten; und die einzige Deckung, die ‘s gab, waren die verdammten Granattrichter und die Leichen der Jungs, die es auf ‘m Hinweg erwischt hatte. Wir sind von Loch zu Loch gesprungen, von Leiche zu Leiche, und wenn du Glück hattest, lagen zwei übereinander. Teile von ihnen! Von 150 Mann sind 17 davongekommen.” Er zuckte mit den Schultern.

      „Du meine Güte! Ich wusste bis vor Kurzem nicht einmal, dass wir dort waren. In Korea, meine ich.”

      „War ein richtiger Krieg; und ich hab’ nicht das Gefühl, als hätten wir ihn gewonnen. Oder als würde sich überhaupt noch irgendwer außer mir daran erinnern; und ich sag dir, auch mir wäre es lieber, ich täte es nicht.” Waldo zuckte mit den Schultern und kehrte zu seinem Schachproblem zurück.

      Rodney nahm mit einem dankbaren Lächeln den Kaffeebecher entgegen, den ihm Gladys gebracht hatte, holte einen Block und einen Kugelschreiber aus der Jacke, die über dem Stuhl neben ihm hing, und begann eine schematische Darstellung der Figurenkonstellation auf Waldos Brett.

      „Scheint mir, als wär’ der Wal gestrandet. Geschieht ihr recht, wenn du mich fragst. So was kann man mit seinem Dad einfach nicht machen.” Schmiss bezog sich auf die Tatsache, dass auch nach zehn Tagen noch niemand auf Sylvies Lösegeldforderung reagiert hatte. Jeden Tag durchforstete sie mit zitternden Händen den Kleinanzeigenteil des West Coast Herald, aber nirgends war ein Kästchen zu finden, in dem mit Großbuchstaben ICH LIEBE DICH, DAD geschrieben stand.

      „Vermutlich will er erst das Geld zusammenkratzen.” Rodney, der gerade zwei Fernseher an Stammkunden des Sailor ‘s Grave verkauft hatte, hielt in dem bereits gut besuchten Lokal nach Fay Ausschau, um den Abschluss des Geschäfts mit einem weiteren Bier für seinen Partner und einer weiteren Cola für sich selbst zu feiern.

      „Für die paar Mäuse braucht er doch bloß seine Kreditkarte auszureizen. Eher hat ihm seine Alte angeboten, ihm jeden Abend ‘nen Steak zu braten und irgendwie ‘nen Nachtisch mit Mangos oder so und davor vielleicht noch ‘nen Salat mit 1000-Island-Dressing wegen der Vitamine, und für das alles muss er das fette Ungeheuer nur lassen, wo es is’. Wäre doch glatter Wahnsinn, sich die wieder ins Haus zu holen!”

      „Kein Vater wäre so herzlos! Sie ist schließlich seine Tochter.”

      „Und sie ist fett, und sie hat definitiv ‘nen Hau.”

      „Hat sie nicht!”

      „Hat sie doch!”

      „Sie ist traumatisiert, das ist alles. Ich möchte dich mal sehen, wenn du deine Mutter tot in der Badewanne findest und dein Vater, kaum ist die Leiche trocken, ‘ne Nachbarin heiratet, weil sie so ‘nen leckeren Auflauf zur Totenwache mitgebracht hat.”

      „Das ist ihre Version, vergiss das nicht! Und wie gesagt, vielleicht war das gar kein Auflauf, sondern ‘nen Steak-Dinner oder so was, weil, ich mein, warum nicht? Und ich glaub’ diesen Scheiß eh nich’, dass Dicke besonders sensibel sind und irgendwie misshandelt wurden. Dicke haben ein einziges Problem, und das schreibt sich F-E-T. Schau dir doch an, was sie alles in sich reinstopft! Nix als Junk Food! Und kein bisschen Training! Kein Wunder, dass sie plemplem is’! Dieses Fett, das setzt sich auch im Hirn fest. Is ‘ne wissenschaftliche Tatsache! Du solltest ihr mal ‘n paar Hanteln besorgen. Hab ‘n paar übrig, die kannste billig haben, die malen wir rosa an, machen ein paar Schleifchen drum, fertig! Oder du bindest sie an den Dodge und lässt sie mal ‘nen paar Meilen hinterherlaufen.” Schmiss kicherte bei der Vorstellung.

      „Das ist so krank!” Rodney verzog angewidert die Nase.

      „Dann mach, was du für richtig hältst! Aber beschwer dich hinterher nich’! Und ich sag dir eins: Du wirst noch mal drum betteln, dass ‘n Einbrecher kommt und sie dir vom Hals schafft.”

      Rodney fuhr sich über das glänzende Haar.

      „Das mit der Entführung ist nichts anderes als ein Hilfeschrei, verstehst du das denn nicht? Sie meint es damit doch gar nicht ernst. Sie will nur den Beweis, dass ihr Vater sie noch liebt. Sie sagt es nicht, aber ich hab’ irgendwie das Gefühl, er macht ihr sogar den Vorwurf, am Tod ihrer Mutter schuld zu sein.”

      „Scheiße!” Schmiss lachte kurz auf und leerte sein Bier. „Zuzutrauen wär ‘s ihr.” Er entdeckte Fay und winkte sie zu sich. „Süße, wir brauchen dringend noch was zu trinken. Rodney hat Probleme mit seiner neuen Freundin.”

      „Seiner Freundin?”

      „Is’ weniger was für ‘ne schnelle Nummer, sondern eher was, woran man den ganzen langen Winter über zu knabbern hat.” Schmiss kicherte.

      Fay runzelte verwirrt die Stirn und sah Rodney an.

      „Von was redet er?”

      Rodney zuckte mit den Achseln.

      „Eine gemeinsame Freundin ist vorübergehend bei mir eingezogen. Bis sie was Eigenes gefunden hat! Und sie ist ein bisschen ...”

      „Fett!“, rief Schmiss hämisch, als Rodney zögerte. Rodney warf ihm einen bösen Blick zu, aber Schmiss ließ sich davon nicht stören. „Und sie wird immer noch fetter und passt bald nicht mehr durch die Tür von seinem Trailer, und dann hat er den Salat.”

      „Wow.” Fay lehnte sich mit erhobenem Arm an einer der Holzstützen der Box und entblößte dabei eine unrasierte Achselhöhle. „Das würde aber manche Mädels hier im Ort ganz schön traurig machen, wenn das heißt, dass der süße Rod jetzt vergeben ist.” Sie sagte es ganz ernst und ließ Rodney nicht aus dem Blick.

      „Vielleicht bringen wir sie das nächste Mal mit. Was meinst du, Rod? Würde ihr das gefallen?” Schmiss zupfte an dem kleinen Ziegenbärtchen, das an seinem Kinn hing. Flammen züngelten von seinem Handgelenk aufwärts über den Arm. Ein Weißkopfseeadler, der den Schriftzug Live to Ride in den Klauen hielt, prangte auf dem Bizeps; und als Schmiss den Arm hob, um seinem Kumpel auf die Schulter zu hauen, schwoll die Brust des Vogels.

      „Sicher!” Rodney nickte, um Schmiss endlich zum Schweigen zu bringen. „Sobald es ihr besser geht!”

      „Ist sie krank?”, erkundigte sich Fay.

      „Nur fett!“, schob Schmiss ein, bevor Rodney den Mund öffnen konnte, und schüttelte grinsend den Kopf.

      „Sie steckt in einer sehr schwierigen Situation, Fay“, erläuterte Rodney betont gelassen, als sich sein Partner endlich beruhigt hatte.

      „Hat ihr Mann sie rausgeschmissen?”

      „So ungefähr!”

      Schmiss sah ihn verwirrt an, wollte etwas einwenden und verstummte wieder.

      „Kerle sind doch wirklich das letzte. Emotional zurückgeblieben, sagt Berta immer. Kalt wie Fische!“ Fay war empört und merkte im gleichen Augenblick, wie unangemessen dieser Ausbruch wirken musste. Sie löste sich von der Holzstütze und verschränkte die Arme. „Na ja, ist doch wahr!“, fügte sie nach einer kurzen Pause an, errötete leicht und biss sich auf die Lippe, während sie beobachtete, wie Rodney ins Grübeln geriet.

      „Ich verstehe nicht viel von Liebe“, verkündete dieser plötzlich. „Aber ich weiß, dass es so was wie Verantwortungssinn gibt!” Er warf Fay einen kurzen Blick zu und musterte dann eingehend Schmiss, der das Gesicht verzog.

      „Das ist gut, wenn man den hat“, brummte Fay mürrisch. „Aber auch eine Last! Meiner sagt mir nämlich, dass es Zeit wird, sich mal wieder um die übrigen Gäste zu kümmern.” Sie zwang sich zu einem Lachen und wandte sich zum Gehen.

      „Aber vergiss mein Bier nicht!“, rief Schmiss ihr hinterher.

      Sie drehte sich noch einmal kurz um. Ihr Oberteil spannte und fuhr die Konturen ihrer linken Brust nach.

      „Hab’