Unwiederbringlich. Theodor Fontane

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Название Unwiederbringlich
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179307



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den Feiertag heiligen, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht begehren deines Nächsten Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist – ja, das alles gilt da noch...«

      »Und ist im übrigen aus der Welt verschwunden«, lachte Holk.

      »Nein, Helmuth, nicht aus der Welt, aber doch aus dem Zipfelchen Welt, das unsere Welt ist. Ich meine nicht aus unserem teuren Schleswig-Holstein, das hat Gott in seiner Gnade so tief nicht sinken lassen, ich meine, das Treiben drüben, drüben, wo doch unsere Obrigkeit sitzt, der wir gehorchen sollen und der zu gehorchen ich auch willens bin, solange Recht Recht bleibt. Aber daß ich mich an dem Treiben drüben erfreuen sollte, das kannst du nicht fordern, das ist unmöglich. In Kopenhagen...«

      »Dein alter Widerwille. Was hast du nur dagegen?«

      »In Kopenhagen ist alles von dieser Welt, alles Genuß und Sinnendienst und Rausch, und das gibt keine Kraft. Die Kraft ist bei denen, die nüchtern sind und sich bezwingen. Sage selbst, ist das noch ein Hof, ein Königtum da drüben? Das Königtum, solang es das bleibt, was es sein soll, hat etwas Zwingendes, dem das Herz freudig Folge leistet und dem zuliebe man Gut und Blut und Leib und Leben daran gibt. Aber ein König, der nur groß ist in Ehescheidungen und sich um Vorstadtspossen und Danziger Goldwasser mehr kümmert als um Land und Recht, der hat keine Kraft und gibt keine Kraft und wird denen unterliegen, die diese Kraft haben.«

      »Und wir werden preußisch werden, und eine Pickelhaube wird auf eine Stange gesteckt werden wie Geßlers Hut, und wir werden davor niederknien und anbeten.«

      »Was Gott verhüte. Deutsch, aber nicht preußisch, so soll es sein. Ich bin gut schleswig-holsteinisch allewege, worauf ich die Herren bitte mit mir anzustoßen. Auch du, Helmuth, wenn dich dein Kopenhagener Kammerherrnschlüssel nicht daran hindert. Und sehen Sie nur, Schwarzkoppen, wie da der Mond heraufsteigt, als woll er alles in Frieden besiegeln. Ja, in Frieden; das ist das Beste. Dieser Glaube hat mich von Kindheit an begleitet. Schon mein Vater pflegte zu sagen: Man ist nicht bloß unter einem bestimmten Stern geboren, sondern in dem Himmelsbuche, darin unsere Namen eingezeichnet stehen, steht auch immer noch ein besonderes Zeichen neben unserem Namen, Efeu, Lorbeer, Palme... Neben dem meinigen, hoff ich, steht die Palme.«

      Der alte Petersen nahm ihre Hand und küßte sie: »Ja, Christine. Selig sind die Friedfertigen.«

      Es war das so ruhig hingesprochen, ohne jede Absicht, das Herz der Gräfin tiefer berühren zu wollen. Und doch geschah es. Sie hatte sich ihres Friedens beinah gerühmt oder doch wenigstens eine feste Hoffnung auf ihn ausgesprochen und empfand im selben Augenblicke, wo der alte Petersen ihr diesen Frieden fast wie zusicherte, daß sie desselben entbehre. Trotz des besten Mannes, der sie liebte, den sie wiederliebte, stand sie nicht in dem Frieden, nach dem sie sich sehnte. Trotz aller Liebe – seine leichtlebige Natur und ihre melancholische, sie stimmten nicht recht mehr zueinander, was ihr diese letzte Zeit, trotz alles Ankämpfens dagegen, mehr als einmal und leider in immer wachsendem Grade gezeigt hatte. So fanden denn Petersens wohlgemeinte Worte bei niemandem ein rechtes Echo, vielmehr blickte jeder schweigend vor sich hin, und nur Arne wandte sich die Tafel hinunter und sah durch die offenstehende hohe Glastür auf das Meer hinaus, das im Silberschimmer dalag.

      Und in diesem Augenblicke voll Bedrückung und Schwüle trat Asta aus dem Nebenzimmer an den Tisch heran und flüsterte der Mutter zu: »Elisabeth will etwas singen. Darf sie?«

      »Gewiß darf sie. Aber wer wird begleiten?«

      »Ich. Es ist sehr leicht, und wir haben es eben durchgenommen. Ich denke, es wird gehen. Und wenn ich steckenbleibe, so ist es kein Unglück.«

      Und damit ging sie bis an den Flügel zurück, während die große Mitteltür aufblieb. Das Notenblatt war schon aufgeschlagen, die Lichter brannten, und beide begannen. Aber das Gefürchtete geschah, Begleitung und Stimme gingen nicht recht zusammen, und nun lachten sie halb lustig und halb verlegen. Gleich danach aber versuchten sie's zum zweiten Male, und nun klang Elisabeths noch halb kindliche Stimme hell und klar durch beide Räume hin. Alles schwieg und lauschte. Besonders die Gräfin schien ergriffen, und als die letzte Strophe gesungen war, erhob sie sich und schritt auf den Flügel zu. Hier nahm sie das noch aufgeschlagen auf dem Notenpult stehende Lied und zog sich ohne weitere Verabschiedung aus der Gesellschaft zurück. Es fiel nicht allzusehr auf, da jeder ihr sensitives Wesen kannte. Holk begnügte sich, Elisabeth zu fragen, von wem der Text sei.

      »Von Waiblinger, einem Dichter, den ich bis dahin nicht kannte.«

      »Ich auch nicht«, sagte Holk. »Und die Überschrift?«

      »Der Kirchhof.«

      »Drum auch.«

      Eine Viertelstunde später fuhr der Arnewieker Wagen vor, und Arne bestand darauf, daß Petersen und Elisabeth bis vor das Holkebyer Pfarrhaus mitfahren müßten, Schnuck werde sich nebenher schon durchschlagen. Nach einigem Parlamentieren wurde das Anerbieten auch angenommen, Arne nahm den Rücksitz, und Elisabeth, weil sie gerne mit dem Kutscher plauderte, kletterte auf den Bock hinauf. Und wirklich, kaum oben, so ließ sie sich auch schon des breiteren von seiner kranken Frau erzählen und von der »Sympathie«, die mal wieder besser geholfen als der Doktor, der überhaupt bloß immer was verschreibe und gar nicht ordentlich nachsähe, wo's eigentlich säße und wie's mit der Milz stände. Denn in der Milz säß es.

      Natürlich war dies Gespräch nur von kurzer Dauer, denn keine zehn Minuten, so hielt man auch schon vor der Pfarre. Schnuck gab seiner Freude, wieder daheim zu sein, lebhaften Ausdruck, und Arne setzte sich zu Schwarzkoppen in den Fond. Und nun fuhren beide, nachdem noch ein paar Dankes- und Abschiedsworte gewechselt worden waren, auf Arnewiek zu.

      Fünftes Kapitel

      Die Fahrt ging zwischen hohlen Knicks hin, das Meer dicht zur Linken; aber man hörte es nur, ein niedriger Dünenzug hinderte die Aussicht darauf. Arne wie Schwarzkoppen hatten die Füße in Plaids und Decken geschlagen, denn es war nach dem schönen warmen Tage herbstlich frisch geworden, frischer, als dem September zukam. Aber das steigerte nur die Lebendigkeit ihres Gesprächs, das natürlich dem Abend galt, den man eben verlebt hatte.

      »Die kleine Petersen hat eine reizende Stimme«, sagte Arne. »Trotzdem wollt ich, sie hätte lieber den ›Jungfernkranz‹ gesungen als das schwermütige Lied.«

      »Es war sehr schön.«

      »Gewiß war es das, und wir beide können es hören, ohne Schaden zu nehmen. Aber meine Schwester! Sahen Sie wohl, wie sie das Notenblatt nahm und das Zimmer verließ? Ich wette, sie hat es sofort auswendig gelernt oder Abschrift genommen und in irgendein Album eingeklebt. Denn trotz ihrer siebenunddreißig Jahre, in manchen Stücken ist sie noch ganz das Gnadenfreier Pensionsfräulein, besonders auch darin, wie sie mit der Dobschütz lebt. Die Dobschütz ist eine vorzügliche Person, vor deren Wissen und Charakter ich allen möglichen Respekt habe, trotzdem ist sie für meinen armen Schwager ein Unglück. Sie sind überrascht, aber es ist so. Die Dobschütz ist viel zu klug und auch viel zu guten Herzens, um sich aus freien Stücken oder wohl gar aus Eitelkeit zwischen die Eheleute zu stellen, aber die Stellung, die sie sich nie nehmen würde, wird ihr durch meine Schwester aufgezwungen. Christine braucht immer jemanden, um sich auszuklagen, ganz schöne Seele, nachgeborne Jean-Paulsche Figur, die sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit dem Ernste des Lebens den Kopf zerbricht. Es gibt eigentlich nur eine Form, sie zu erheitern, und das sind kleine Liebesgeschichten aus dem Kreise der Irrgläubigen. Und irrgläubig ist so ziemlich alles, was nicht altlutherisch oder pietistisch oder herrnhutisch ist. Ein Wunder, daß sie diese drei wenigstens nebeneinander duldet. Dabei so eigensinnig, so unzugänglich. Ich versuche mitunter, zum Guten zu reden und ihr klarzumachen, wie sie sich anpassen und ihrem Manne zuhören müsse, wenn er was aus der Welt erzählt, einen Witz, ein Wortspiel, eine Anekdote.«

      Schwarzkoppen nickte zustimmend und sagte dann: »Ich habe ihr heut etwas Ähnliches gesagt und auf des Grafen liebenswürdige Seiten hingewiesen.«

      »Ein Hinweis, den sie mit ziemlich hautainer Manier zurückgewiesen haben wird. Ich kenne das. Immer Erziehungsfragen, immer Missionsberichte von Grönland oder Ceylon her, immer Harmonium,