Название | Der Nagel |
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Автор произведения | Rainer Homburger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738043747 |
Hans verzog seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. Dieter hatte ja Recht. Ihnen waren bedeutende Durchbrüche in der Raketentechnologie gelungen. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Entwicklung des Aggregats 4, auch wenn in den letzten zehn Monaten darauf aufbauend eine Weiterentwicklung dieser zu einer zweistufigen Interkontinentalrakete in den Fokus gerückt war. Trotzdem teilte er Dieters Euphorie nicht in gleichem Maße. Auch wenn er ebenfalls sehr in seiner Aufgabe aufging, so plagten ihn in der letzten Zeit doch vermehrt Zweifel. Nicht an der Arbeit an sich, sondern daran, dass die Ergebnisse und Erfolge ihrer Mühen keiner friedlichen Verwendung zugeführt wurden.
»Mach doch nicht so ein Gesicht, Hans. Auf unserem Gebiet sind wir anderen Nationen um Jahre voraus. Du kannst wirklich stolz sein auf das, was wir erreicht haben.« Dieter boxte ihm leicht an den Oberarm. »Alles klar?«
Ein lautes Knacken war aus der Bordsprechanlage zu hören und der Pilot meldete sich. »Wir überfliegen gleich die französische Grenze.«
Hans drehte sich wieder zum Fenster, blickte nach unten und sah einen breiten Fluss, dessen Wasser im Schein der Sonne glitzerte.
Das ist der Rhein. Gleich verlasse ich zum ersten Mal Deutschland, dachte er und bekam erneut das mulmige Gefühl im Magen. Er musste unweigerlich an Elisabeth denken. An seine Kinder. An den Krieg und all das Leid, das er mit sich gebracht hatte. An die vielen Toten und Verletzten. An seine Arbeit, deren Ergebnis nun zu seinem ersten Einsatz kommen sollte. An seine Arbeit, deren Ergebnis jetzt den Krieg zugunsten Deutschlands entscheiden sollte.
London, Mittwoch, 31. Mai 1944, 09:35 Uhr
»Meine Herren! Lassen sie uns beginnen.«
Winston Churchill saß auf seinem Stuhl am Kopf des Tisches. An der Wand hing eine Uhr, deren schwarze Zeiger auf dem weißen Ziffernblatt zeigten, dass der angesetzte Beginn der Besprechung bereits überschritten war. Die Anwesenden setzten sich auf ihre Plätze.
Es klopfte, die Tür wurde geöffnet und David Petrie, gefolgt von seinem Assistenten Frank, betrat den Raum. Er nickte dem britischen Premier zu. »Mr Churchill, meine Herren. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.« Er ließ seinen Blick kurz durch den Raum schweifen und erfasste die anwesenden Personen. Dann ging er zu einem freien Stuhl und setzte sich. Frank folgte ihm und nahm neben ihm Platz.
Eine nervöse Spannung lag in der Luft. Es war warm und stickig und der Geruch von kaltem Rauch stieg den Männern in die Nase.
»Meine Herren«, begann der Premierminister. »Ich habe das heutige Treffen kurzfristig angesetzt, um mit ihnen über eine Situation zu sprechen, die aus Sicht der amerikanischen Regierung von höchster Bedeutung ist und auf die mich Roosevelt persönlich angesprochen hat. Eine Angelegenheit, die große Auswirkungen auf unsere Allianz haben und somit auch einen entscheidenden Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf gegen Deutschland mit sich bringen kann.«
Mit einer kurzen Pause unterstrich er seine Worte.
»Es ist uns gelungen, in der letzten Zeit Funksprüche aufzufangen und zu entschlüsseln, die unsere bisherigen Befürchtungen über neue Geheimwaffen der Deutschen bestätigt haben. Darüber hinaus sind uns Informationen zu Waffensystemen zugespielt worden, von deren Existenz wir bisher nur sehr wenig wussten. Wir können somit auch nicht sagen, inwieweit diese zutreffen und eine Gefahr für uns darstellen.« Nach einer weiteren Pause fuhr er fort. »Mr David Petrie arbeitet als verantwortlicher Leiter des MI5 eng mit Mr Travis vom Bletchley Park zusammen. Er wird uns nun über den aktuellen Stand informieren.«
David war überrascht, dass Churchill ihm das Gespräch so schnell übergab. Er hatte mit etwas mehr Zeit bis zu seinem Auftritt gerechnet. Er räusperte sich, dann trat er vor die große Weltkarte und nahm den Zeigestock in die Hand. Er ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, die ihn erwartungsvoll anstarrten.
»Vor über zwei Jahren«, begann er, »haben wir erfahren, dass die Deutschen an einer neuen Waffe arbeiten. Dabei handelt es sich um unbemannte Raketen, deren Entwicklung im Wesentlichen auf der Halbinsel Usedom in der Nähe von Peenemünde stattfindet.« Er drehte sich zur Karte und wies mit dem Zeigestock auf den Ort an der Ostsee. »Umfangreiche Recherchen und Aufklärungsarbeiten konnten dies bestätigen.«
Er ging auf die andere Seite der Karte und stand jetzt vor dem östlichen Teil Europas. Den Stock hielt er nach wie vor in seiner rechten Hand und ließ die Spitze wiederholt in seine Linke fallen, während er fortfuhr.
»Die Deutschen arbeiten in Peenemünde mit einer großen Zahl von Wissenschaftlern an dieser Technologie und wir nehmen an, dass sie sogar Kriegsgefangene zum Bau der Raketen einsetzen. Die uns vorliegenden Informationen deuten alle auf einen weit fortgeschrittenen Entwicklungsstand hin. Zudem haben wir aus Polen Überreste einer dort abgestürzten Rakete erhalten, was unsere Vermutungen bestätigte. Aus diesem Grund haben wir in der Nacht zum 18. August 1943 mit knapp 600 Maschinen einen ersten Luftangriff auf Peenemünde und die dortigen Einrichtungen geflogen.« Er blickte kurz zu Marshall Harris herüber, dann fuhr er fort. »Der Angriff selbst hat die Deutschen in ihrer Arbeit leider nicht sonderlich behindert, wie die Luftaufklärung ergeben hat.«
Er ging einen Schritt auf die Anwesenden zu.
»Innerhalb der letzten Monate wurden uns Dokumente und Unterlagen zugespielt, die technische Informationen und grobe Pläne der neuen Rakete zeigen. Da ihnen diese bekannt sein dürften, will ich die nur kurz in ein paar Punkten zusammenfassen. Sie kann einen Sprengsatz von 1600 Pfund über eine Entfernung von etwa 180 Meilen transportieren. Das bedeutet, dass London in ihrer Reichweite liegt. Im internen Sprachgebrauch der Nazis wird sie als Aggregat 4, kurz A4, bezeichnet. Auch wenn im letzten Jahr mehrfach in der deutschen Propaganda von einem bevorstehenden Einsatz neuer Geheimwaffen die Rede war, so ist der bis heute nicht erfolgt. Es ist aber unumstritten, dass die Raketen existieren und somit eine unmittelbare Gefahr für uns darstellen.«
Marshall Harris, der Oberkommandierende der britischen Luftstreitkräfte, rutschte auf seinem Stuhl in eine aufrechtere Position, dann warf er ein.
»Und das wollen Sie uns glauben machen? Angeblich tauchen immer wieder neue Informationen und Dokumente auf. Doch bis heute wurde noch keine Rakete eingesetzt. Wenn das so weitergeht, haben die Deutschen ihr Ziel, uns unter Druck zu setzen, erreicht. Und das, ohne eine einzige Geheimwaffe einzusetzen.«
David spürte, wie ihm das Gespräch aus der Hand glitt, bevor er überhaupt auf den wesentlichen Grund des heutigen Treffens zu sprechen gekommen war. Deshalb fuhr er mit einer klaren und deutlichen Stimme fort, ohne auf den Einwand von Harris weiter einzugehen.
»Nach einer ausgiebigen Prüfung aller uns vorliegenden Fakten sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass eine Bedrohung durch eine solche neue Waffe besteht und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis diese eingesetzt wird. Sie haben übrigens alle die entsprechenden Auswertungen vor sich liegen.«
Einige der Anwesenden beugten sich nach vorne und blätterten raschelnd in den Unterlagen.
»Aber das ist nicht der Grund, weshalb wir heute hier zusammengekommen sind.« Er trat einen Schritt zurück und wartete ab, bis er sich der vollen Aufmerksamkeit aller sicher war. »Mittlerweile liegen uns neue Informationen vor, die besagen, dass die Deutschen eine noch größere Rakete entwickelt haben, die von Deutschland aus ...«, er drehte sich zu der Weltkarte um, legte die Spitze des Zeigestocks auf Berlin und fuhr dann fort: »... bis nach New York oder Washington fliegen kann.« Er fuhr mit dem Stock über den Atlantik und tippte auf die amerikanische Hauptstadt. »Und dass der Einsatz dieser Raketen unmittelbar bevorsteht. Diese rasen mit einer so hohen Geschwindigkeit auf uns zu, dass eine Abwehr durch Flugzeuge oder Artillerie