Название | Zur buckligen Wildsau |
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Автор произведения | Anke Niebuhr |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753133942 |
Und das war so gekommen: Zwei Tage zuvor waren Dämon und Dschinn nach langen Jahrzehnten gemeinsamen Reisens durch gefühlt das halbe Universum scheinbar zufällig auf eine sonderbare Kneipe gestoßen:
Die beiden schlenderten in einer beliebigen Stadt irgendwo auf einem beliebigen Planeten um eine Ecke. „Guck mal, da!“, sagte der Dschinn – und da stand sie, die bucklige Wildsau, inmitten teurer, moderner Hochhäuser und einem Chaos aus Wesen, Fahrzeugen und Fluggeräten aller Art, ein klotziges, kleines, uralt aussehendes Holzhaus, das so gar nicht dort hinpasste. Neugierig und belustigt betraten sie die Kneipe und fühlten sich gleich wie zu Hause.
Die Wildsau wirkte wie aus einer alten Geschichte in das Hier und Jetzt verschoben. Am Kamin saß ein älterer Mann mit einem sehr langen, weißen Bart und wallendem Haar. Er trug ein helles, grob gewebtes Mönchsgewand und war den beiden auf Anhieb ausgesprochen sympathisch. Außer ihm waren keine Gäste da, es gab nicht einmal eine Bedienung. Der Mann rauchte eine Pfeife und starrte in die Flammen, ohne sich zu den beiden umzudrehen.
Borowski lief schnurstracks schwanzwedelnd auf ihn zu, drehte sich dreimal vor ihm im Kreis, kläffte freudig und legte sich schließlich zufrieden schnaufend vor seine Füße. Das war sehr ungewöhnlich, denn normalerweise hielt sich Borowski dicht beim Dämon und wich nicht von seiner Seite, vor allem wenn Fremde anwesend waren.
Hinter der Theke war niemand zu sehen, also gesellten sich die beiden zu dem Mann, der sie nun freundlich ansah. Der Dschinn sprach als Erster: „Nabend. Tschuldige die Störung, Mann. Ich hoffe, Borowski belästigt dich nicht? Normalerweise ist er Fremden gegenüber nicht so zutraulich. Ich bin Josh und das hier ist Renko.”
Der Mann lächelte und nickte kurz. „Ich weiß”, antwortete er. „Ich bin Adasger. Es ist mir eine Freude, euch beide endlich kennenzulernen. Die Wildsau hat schon vor geraumer Zeit von euch berichtet und euch für heute angekündigt, das hat mich neugierig gemacht. Bitte, nehmt doch Platz.”
Verwirrt sah Josh sich um. „Das ist ein Irrtum, Mann. Du verwechselst uns. Wir sind nur auf der Durchreise. Es war purer Zufall, dass wir diese Kneipe entdeckt haben. Wer ist denn diese, äääh, Wildsau überhaupt? Die Besitzerin, nehme ich an? Wo steckt sie? Und sie … hat uns angekündigt? Das kann gar nicht sein.”
„Ja, diese Fehleinschätzung der Lage ist durchaus nachvollziehbar. Es kommt ja auch nicht gerade häufig vor, dass sich ein zeit- und dimensionsunabhängiges Wesen wie die Wildsau zu erkennen gibt. Also nein, die Wildsau ist nicht die Besitzerin, sie ist die Kneipe selbst. Wie gesagt, setzt euch, nehmt euch ein Getränk, wenn ihr wollt, und gerne auch etwas zu essen, hier ist Selbstbedienung. Ihr findet euch sicher schnell zurecht. Macht es euch gemütlich, dann erzähle ich euch alles ganz in Ruhe. Ok?”
Da sich keiner der beiden rührte, fuhr Adasger fort: „Es ist auch verständlich, dass euch das alles überrumpelt. Kein Wunder, ehrlich. Kurz vorweg: Die Wildsau hat sich euretwegen zum richtigen Zeitpunkt am passenden Ort materialisiert. Es hätte hier oder überall sonst sein können, jetzt oder zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt. Sie hat ein Händchen für gutes Timing und noch andere bemerkenswerte Fähigkeiten. Das mag vielleicht erstaunlich wirken, aber man gewöhnt sich recht schnell daran und dann ist das alles gar nicht mehr so aufregend. Gerade für euch beide dürfte das doch nichts Neues sein. Ihr könnt ja ebenfalls einfach an andere Orte teleportieren.”
Abwartend sah er Josh und Renko an.
„Durch Raum schon, ja, durch Zeit aber nicht”, sagte Josh. „Na gut, das ist jetzt wirklich nicht allzu neu. Ich habe schon mal davon gehört, dass das geht, bin nur noch nie einem … Wesen begegnet, das so etwas kann. Du Renko?”
Der Dämon schüttelte den Kopf.
Josh wandte sich wieder an Adasger und sah von einer Sekunde zur anderen schwer begeistert aus. „Coool, Mann, das gefällt mir, die sollen echt ziemlich selten sein.”
Adasger sagte nichts und blickte die beiden weiter freundlich abwartend an. Schließlich wechselten Josh und Renko wieder einen Blick, Renko nickte langsam und Josh drehte sich zu Adasger um. „Ja, ok, warum nicht. Wir sind neugierig und haben gerade eh nichts vor.” Er sah Renko an. „Auch ein Bier?”
Renko nickte wieder und setzte sich in einen der gemütlichen, dunkelgrünen Ledersessel. „Und du Adasger? Bier, Tee oder irgendwas anderes?”
„Ich nehme auch ein Bier, danke.”
Nachdem der Dschinn die Biere und Knabberkram herbeigeschnipst und sich ebenfalls gesetzt hatte, fing Adasger an zu erzählen, dass die Wildsau ursprünglich von einem gewissen, inzwischen verstorbenen Jörgen Svensson ins Leben gerufen worden sei. Er habe sich damals einen Planwagen gekauft, mit dem er durch die Lande gezogen sei und Menschen bewirtet habe. Seine mobile Kneipe habe er ‚Zur buckligen Wildsau‘ getauft. Nach seinem Tod sei er nicht – wie normalerweise üblich für verstorbene Seelen – ins Jenseits weitergezogen, sondern seiner Wildsau treu geblieben. Genau genommen war er die bucklige Wildsau geworden, hatte ihr durch sein Bleiben buchstäblich seine Seele eingehaucht. Angezogen von seiner Energie landete man in der fahrenden Kneipe, wenn man an einem persönlichen Scheideweg angekommen war oder eine Verschnaufpause vom Reisen brauchte, wenn man sich nach einem Gefühl des Ankommens oder der Neuorientierung sehnte oder Trost brauchte.
„Hört sich an, als ob die Wildsau zu einem Katalysator wurde. Richtig?”, fragte Josh dazwischen.
„Ja, genau. Aber nur, um Missverständnisse zu vermeiden: Was verstehst du unter einem Katalysator?”
Josh zuckte die Achseln. „Es sind Wesen, die eine Wirkung auf andere haben, Mann. Sie müssen nichts tun, sie wirken einfach vor sich hin und können dadurch in anderen kleine oder größere persönliche Veränderung verursachen. Nicht bei jedem und nicht rund um die Uhr, aber eben oft. Und manchmal schlägt diese Wirkung ein wie ein Blitz.”
„Das stimmt. Die Wildsau wirkt vor sich hin, das ist eine gute Formulierung.”
„Ok, aber was hat das mit uns zu tun? Wir brauchen keine Veränderung und die Hoffnung haben wir auch nicht verloren. Im Gegenteil, wir sind selbst Katalysatoren. Wir haben alles und brauchen nichts.”
„Eben. Genau das ist der springende Punkt, aber dazu komme ich noch. Lass mich kurz zu Ende erzählen. Moment, wo war ich stehengeblieben? Ach ja …“
Ungeduldig hörte Josh zu, während Adasger den gesamten Werdegang der Wildsau herunterbetete und über wechselnde Besitzer redete. Irgendwann hatten sie genug vom Wanderleben gehabt und eigenhändig diese Kneipe gebaut. Sie waren mit der Wildsau eingezogen und sesshaft geworden. „Katalysator-Wesen zieht es aber dahin, wo sie die größte Wirkkraft haben“, sagte er schließlich. „Deswegen litt die Wildsau zunehmend unter der Sesshaftigkeit. Die Seele von Jörgen Svensson fühlte sich eingesperrt und war dabei, abzustumpfen. Sie versuchte angestrengt, sich zu entspannen und sich mit dem zufrieden zu geben, was sie hatte und wer sie war, aber ihre Wirkung wurde immer schwächer. Am Ende war sie gar nicht mehr wahrnehmbar.“
„Stimmt, das kennen wir“, unterbrach Josh Adasger, aber der ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Ihre wachsende Verzweiflung war wie ein Hilferuf und so intensiv, dass die höheren Mächte des Universums darauf aufmerksam wurden. Sie leuchtete quasi durch die Existenzebenen wie ein Signalfeuer.
Sie nahmen deshalb die Wildsau unter die Lupe und waren so beeindruckt von der Qualität und Intensität ihrer potenziellen Wirkkraft, dass sie beschlossen, sie wieder beweglich zu machen – und nicht nur das. Sie sollte ein Ort für alle und jeden werden, ein mobiles Home sweet Home für Wanderseelen und Verlorene. Ja, sie ist eine Art Auffangbecken für Wesen in speziellen Notsituationen, aber nicht nur das. Sie ist auch einfach ein Ort zum Spaß haben und ein Reiseportal für Neugierige. Einige kommen immer mal wieder. Falls ihr bleibt, werdet ihr sie kennenlernen.”
„Ok, kapiert, so hört sich das schon ganz anders an”, fiel Josh ihm ins Wort. „Was hast du denn mit den höheren Mächten zu tun?”
„Ich bin wohl eine Art Hobby von ihnen. Sie nutzen