Geliebter Unhold. Billy Remie

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Название Geliebter Unhold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Chroniken der Bruderschaft 4
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189772



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vorne ist es«, sagte Xaith, als sie aus dem Dickicht traten und auf eine Straße gelangten, die breit genug für Händlerwagen und große Reisegruppen war. Sie führte in eine kleine Ansammlung eines hufeisenförmigen Gehöfts. »Ortschaft« war dafür die falsche Bezeichnung, selbst ein Weiler war größer. Nein, es handelte sich vielmehr um einen sich selbst versorgenden Gasthof. Große Stallungen für die Pferde der Reisenden, Schankraum, über dessen Tür ein wackelndes Schild hing, auf dem ein schäumender Bierkrug abgebildet war. Zäune, Weiden, Ställe für Vieh, ein Gemüse- und Kräutergarten, Gästehaus, Wohnhaus, zwei Türme aus Holzbrettern, deren Schießscharten mit Luken verdeckt waren. Gewiss unterhielt der Wirt auch eigene Wachen, wobei es sich dabei vermutlich eher um kampfunerprobte Stallknechte handelte, denen man stumpfe Schwerter oder verbeulte Knüppel in die Hand drückte, um das Gemüt angetrunkener Gäste zu beruhigen und die Schankmägde zu schützen, die aber keineswegs eine echte Bedrohung für Marodeure darstellten, die Spaß am Brandschatzen und Vergewaltigen hatten.

      Xaith war schon einmal hier gewesen, für eine Nacht, daher wusste er das.

      Doch an diesem Tag war etwas anders, das roch und spürte er bereits, bevor sie die Straße entlang auf die Siedlung zugingen.

      »Da rauchts«, bemerkte Siderius, dabei hatte er die Stimme gesenkt.

      Sie tauschten einen ernsten, stummen Blick.

      »Bleib hier«, sagte Xaith und ging weiter.

      Er hörte Schritte auf Matsch und sah über die Schulter. Natürlich blieb Siderius nicht stehen, hatte nicht einmal gezögert.

      Nun gut, mehr als ihm zu sagen, dass er warten sollte, konnte Xaith nicht tun, er musste es selbst wissen.

      Über dem Eingang prangte ein großes Holzschild, auf dem der Name des Gasthofes eingeritzt war. Er stand dort in der Sprache der Elkanasai und in der Gemeinsprache. »Der rauchende Drache.«

      Was für eine Ironie. Oder nein, das war keine Ironie mehr, sondern bittere Grausamkeit.

      Rauch war das Stichwort, denn er stieg in unscheinbaren Säulen von den Viehstallungen und dem Gästehaus auf, wie von Glut und nicht mehr von züngelnden Flammen. Es war still, zu still, nicht einmal ein Tier war zu hören.

      Weil sie alle tot waren.

      Er wusste es, bevor er es sah, genauso wie Siderius es wusste, der ihm zögerlich folgte und doch nicht mit sicherem Abstand warten wollte. Es stank nach Tod, Unrat, verbranntem Holz, Stroh, Fell und Fleisch, ebenso nach angesengtem Haar. Ein beißender Geruch, der ihnen die Tränen in die Augen trieb, wie purer Pfeffer. Wobei er den Pfeffer bevorzugt hätte.

      Der erste Tote lag bereits um die Ecke, als sie den Hof betraten, und er sollte nicht der einzige sein. Ein junger Elkanasai, mit dem Gesicht voran im Dreck, die Waffe – ein Hufkratzer – noch in der Hand.

      Ein Stallknecht.

      Weitere Leichen lagen verstreut umher, verkrampft oder ausgestreckt. Sie waren noch nicht steif, das Blut auf dem Boden noch nicht getrocknet.

      Es sah nach einem Kampf aus, bei dem sich jeder gewehrt hatte, der Schweinestall war niedergebrannt, davor war die Schlachtbank blutig, Schweinsköpfe und Hufe lagen umher.

      »Räuber?«, fragte Siderius mit dünner, angeekelter Stimme.

      »Möglich.« Xaith ging weiter. Die Türen der Gebäude standen offen, einige Blutlachen zogen Schleifspuren vom Hof zum Zaun und verschwanden im Wald.

      Raubtiere, die nicht nur das Vieh gestohlen hatten, auch lecker duftende Leichen. Ein Festmahl für alle Bewohner des Urwaldes, die Reißzähne besaßen.

      Das Blut war alt und der Leichengeruch überdeckte den Duft der roten Flüssigkeit so gut, dass Xaith nicht in Versuchung kam. Blut schmeckte ohnehin nur gut, wenn es aus einem lebendigen Körper kam, von einem schlagendem Herzen.

      »Oder… «, Siderius stellte sich schluckend über eine ermordete Elkanasai, die schon so alt gewesen war, dass ihr einst schwarzes, geflochtenes Haar schneeweiß schimmerte und ihre spitzen Ohren viele Kerben aufwiesen, dennoch hatte sie gekämpft, der blutige Dolch in ihrer Hand bewies es. »Waren es die Getreuen deines Bruders?«

      Xaith schüttelte langsam den Kopf, auch er stand über einem reglosen Körper. Er erkannte ihn, den älteren Elkanasai, der Wirt, der hier mit seiner Familie und seinen Schwiegersöhnen und Töchtern eine Zuflucht für Reisende unterhalten hatte.

      »Riath schlachtet keine Unschuldigen ab.« Nicht ohne erheblichen Grund.

      Siderius sah Xaith zweifelnd an. »Aber er will dich aufhalten, dich in die Knie zwingen. Vielleicht wollte er hier alles niederbrennen, damit wir unsere Vorräte nicht auffüllen können.«

      »Das waren nicht Riaths Leute.« Xaith ging in die Hocke, ließ Barons Zügel länger, und ergriff die Schulter des Wirts, um ihn auf den Rücken zu drehen. Das schwarze Haar klebte in seinem schmutzigen, zerschlagenen Gesicht. Die Angreifer hatten ihren Spaß mit ihm gehabt, ihn fast bis zur Unkenntlichkeit verprügelt.

      Das Schlimmste an dem Anblick des abgeschlachteten Gasthofes war jedoch nicht die Grausamkeit, mit der jedes Leben hier einfach ausgelöscht worden war, sondern dass Xaith bei diesem Anblick nichts fühlte. Kein Bedauern, keine Empörung, keinen Ekel. Vielleicht ein wenig Mitleid, aber das brachte den Opfern weder Gerechtigkeit, noch schenkte es ihnen Trost. Und… nun ja, wer so fern jeglicher Städte und deren Schutz lebte und auf Besuch von Fremden angewiesen war, musste wohl mit Marodeuren rechnen.

      War er wirklich schon so kalt?

      Ein Schatten fiel auf die offenen, starren Augen des Wirts, als Siderius neben ihn trat und hörbar schluckte.

      »Wieso klingst du so überzeugt?«, fragte der Junge unsicher.

      »Hier.« Xaith ergriff das dicke Stück Holz, das aus dem einfachen Wams des Wirts ragte, und riss es mit einem Ruck heraus. Der Körper bäumte sich kurz auf, aber nur durch die Gewalt, mit der er von dem tödlichen Werkzeug befreit wurde. »Ein Armbrustbolzen. Ich habe seine Spitze aus dem Rücken ragen gesehen.«

      Er hielt den Bolzen, an dem das Blut frisch schimmerte, in die Sonne und Siderius unter die Nase.

      Der Junge sah bleich aus und er drehte sich weg, als sei ihm übel. »Barbaren«, hauchte er dann verstehend.

      Xaith nickte und sah sich um. »Carapuhrianer.«

      Der Junge schüttelte den Kopf. »Aber wieso? Was wollten sie hier? Banditen? Deserteure? Carapuhr und Elkanasai sind doch verbrüdert, oder bedeutet ein Friedensbündnis auf dieser Seite der Welt etwas anderes als bei uns?«

      »Nein.« Xaith warf den Bolzen auf die Brust des toten Wirts, seine Lippen waren ein dünner, grimmiger Strich. »Sie sind hier, weil sie nach etwas suchen, und Barbaren sind nun mal … barbarisch. Wobei du deine nächste Frage vermutlich schon selbst beantwortet hast.«

      Er sah zu Siderius auf, der fragend den Kopf schief legte. Unter seiner Fischermütze schwitzte er, seine grünen Augen leuchteten in der Sonne wie zwei Tümpel.

      »Sie sind hier, weil sie mich suchen. Jedenfalls gehen sie davon aus, dass wir zum nächsten Hafen wollen, womit sie recht haben.« Er verengte die Augen und überblickte den blutgetränkten Innenhof. Bald würde es hier nur so von Aasfressern wimmeln. »Ich möchte wetten, sie haben im näheren Umkreis alle Gaststätten geplündert, um uns aufzuhalten. Oder sie lauern uns dort auf.«

      Siderius kratzte sich unter der Mütze, er wirkte ratlos. »Du meinst, um dich aufzuhalten?«

      Er bezweifelte, dass Melecay wusste, oder dass es ihn überhaupt interessierte, was er vorhatte. Nein, es ging ihm nicht darum, ihn von irgendeinem Plan abzuhalten, er verfolgte lediglich seinen eigenen.

      »Weil Melecay mich gegen Riath einsetzen will«, erklärte Xaith und streckte die Hand nach dem Wirt auf, legte sie ihm auf die Brust und konzentrierte seine Macht auf seine Fingerspitzen. »Er will mich in seine Gewalt bringen, um Riath anzulocken – um uns dann beide zu töten.«

      Mit ausgestoßenen Atem setzte er den