Geliebter Wächter 2: Wolfsherz. Billy Remie

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Название Geliebter Wächter 2: Wolfsherz
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Chroniken der Bruderschaft 2
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750209534



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aus einem Ei geschlüpfter Spross, der bereits seit langem ein erwachsener Mann war, bereitete ihm weniger Kopfzerbrechen als sein plötzlich von den Toten als Dämon widergekehrter einstmals Geliebter…

      Verdammt, sein Leben war ja schon immer kompliziert gewesen, aber dieser Tag und seine Enthüllungen übertraf einfach alles. Er wollte nur noch das Gesicht an Wexmells Hals vergraben und schlafen. Sehr lange schlafen.

      »Was ist mit Suto?«, wagte er endlich zu fragen und sah vor seinem inneren Auge noch einmal dieses seltsame, zierliche Vogelwesen mit dem azurblauen Federkleid und den riesigen Eulenaugen, das sich gern schüchtern an seinen Rücken geklammert hatte. »Was ist mit ihm geschehen?«

      Ragon ging einige Schritte mit gesenktem Kopf weiter und Desiderius glaubte schon, dieser würde ihm die Antwort schuldig bleiben, wenn er nicht noch weiter nachhaken würde.

      Doch da seufzte Ragon schwer und legte leicht den Kopf schief. »Suto lebt nicht mehr, er starb vor vielen Jahren.«

      Desiderius hatte es geahnt, immerhin war es viele Jahrzehnte her. Wie alt war Ragon ungefähr? Vierzig Sommer? Nicht, dass man es ihm angesehen hätte, dank seines luzianischen Blutes würde er ein paar Jahrhunderte alt werden können und immer noch wie dreißig aussehen. Der Fluch ihres langlebigen Volkes war es, dass alle anderen Völker nicht einmal ansatzweise so alt wurden wie sie.

      Trotzdem krampfte Desiderius` Herz bei dieser endgültigen Nachricht, auch wenn er ewig nicht an Suto gedacht hatte. Durch Ragons Auftauchen war Suto wieder … Wirklichkeit geworden.

      »Wie?«, verlangte er zu erfahren. Er musste es jetzt einfach wissen.

      Ragon machte dieses Thema sichtlich unglücklich, doch nach einem tiefen Durchatmen, suchte er Desiderius` Blick und begann zu berichten, während er sie langsam und gewissenhaft weiter durch den Wald führte: »Er starb, wie fast alle seinesgleichen starben.«

      Desiderius wurde hellhörig, als er Ragons kryptischen, missmutigen Unterton vernahm, und wäre beinahe über eine Wurzel gestolpert, weil er dessen plötzlich düsteres Gesicht betrachtete, statt dahin zu sehen, wohin er als nächstes trat. »Wie meinst du das?«, fragt er, innerlich über sich selbst fluchend.

      »Die meisten seiner … Gattung…«

      »Zwitterwesen?«

      »Wir bevorzugen es, sie das geistliche Geschlecht oder auch Göttergeschlecht zu nennen«, korrigierte Ragon ihn, jedoch ohne Tadel, als wäre Desiderius eben einfach ein dummer Westländer, dessen eingeschränkte Weltansicht man ihm vergeben müsste.

      Desiderius presste die Lippen zusammen. »Verzeih, ich wollte ihn gewiss nicht beleidigen.«

      »Schon gut«, Ragon zuckte mit den Achseln, während er sich nach einem Ast streckte und sich daran hinaufzog, um über einen umgestürzten, mit Moos bedeckten Stamm zu klettern. Er blieb obendrauf sitzen und reichte Desiderius seine Hand, um ihm hinaufzuhelfen. Desiderius schlug ein und ließ sich hochziehen. Auf der anderen Seite sprangen sie wieder hinunter und setzten ihren langsamen Marsch fort.

      »Wir sehen etwas Magisches in Wesen wie Suto«, klärte Ragon ihn dann weiter auf, »weil nur unsere Waldgeister – oder nur Götter, wie ihr es nennt – fähig sind, sich mit allem und jedem zu paaren. So hätte Suto durchaus auch einen reinrassigen Wolf oder einen Jaguar gebären können. Das bedeutet es für uns, magisch zu sein. Göttlich zu sein. Das göttliche Geschlecht ist im Grunde gar kein Geschlecht, es passt sich den Umständen an. Es kann alles sein, was es sein will, um sicherzustellen, dass das Leben in unserer Welt fortbesteht. Selbst wenn ein Stamm vom Aussterben bedroht ist, sorgt ein solches Wesen dafür, dass er vor der Ausrottung gerettet wird. Selbst dann, wenn es nur noch fruchtbare Männer oder nur noch fruchtbare Frauen gibt. Weil…«

      »Sich das göttliche Geschlecht allem anpassen kann, um das Überleben zu sichern.«

      Ragon nickte bestätigend. »Ja, genau.«

      »Wie starb Suto?«, fragte er erneut nach, nun mit einer deutlichen Befürchtung in der Stimme.

      Ragon seufzte neben ihm. »Vor einigen Jahren erfuhren die Frauenstämme von unserem göttlichen Geschlecht und sahen es als eine Bedrohung für die Welt der Frauen. Dass etwas, außer einer Frau, Leben erschaffen kann, machte ihnen Angst. Also jagten einige Stämme Wesen wie Suto. Und eines Tages … endeckten sie auch ihn.«

      Desiderius wurde die Kehle eng. »Sie töteten ihn«, begriff er und mahlte wütend mit den Kiefern.

      Ragon nickte bekümmert. »Es war meine Schuld. Wir lebten von unserem Stamm abgeschieden an einem Strand, wo uns Gaben und andere Huldigungen gebracht wurden. Suto wurde beinahe wie ein Druide verehrt, aber es gab keinen Schutz. Nur mich.« Er machte eine kurze Pause und lief mit gesenktem Blick weiter. »Wie ich bereits erwähnte, gab es eine Zeit, als ich wegen meiner … Herkunft zornig war. Ich wollte zurück, ich wollte wissen, wer meine Familie ist, woher ich stamme, ich … war wütend, als wir erfuhren, dass … Rahff getötet wurde. Aber Suto verbot es mir, er hielt es für zu gefährlich, gen Westen zu gehen. Ich war jung und eigensinnig, also verwandelte ich mich und wollte allein fliegen. Doch dann erlag ich dem Ruf der Freiheit und kam nie über Zadest hinaus.«

      Desiderius sah ihn schockiert an. »Du bist dem Ruf der Drachen gefolgt?« Als Blutdrache konnte man in verwandelter Form auch seinen tierischen Instinkten verfallen und der Welt der Zweibeiner den Rücken kehren. Niemand konnte einen dann mehr zurückholen.

      Ragon wirkte schuldbewusst, als er weitersprach. »Ich habe einige Jahre als Drache unter Drachen gelebt, als … Ich weiß gar nicht genau, was passiert ist, aber eines Tages verwandelte ich mich ohne mein bewusstes Zutun zurück. Und ich ging heim. Doch statt Suto erwarteten mich nur seine bereits vertrockneten Überreste. Er war schon seit mehr als einem Jahr tot, sie haben ihn aufgeschlitzt und liegen gelassen. Das ließ meine ganze Wut verrauchen. Mein Stamm war auch fort, sodass ich von heut auf morgen auf mich allein gestellt war, ohne den Rückhalt von … irgendwem.«

      Desiderius starrte ihn fassungslos an, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Jedes Wort wäre einer dummen Floskel gleichgekommen.

      Ragon bemerkte seinen Blick und verzog wehmütig seinen Mund. »Wenn ich da gewesen wäre … Aber das war ich nicht. Solche Dinge passieren, wisst Ihr? Man trifft Entscheidungen, die sich hinterher als schrecklicher Fehler herausstellen. Aber an diesen Fehlern wächst man.«

      »Wo bist du dann hingegangen?«, fragte Desiderius neugierig. »Hast du deinen Stamm wiedergefunden?«

      »Nein, aber einen befreundeten Stamm«, antwortete Ragon, »dort hielt es mich aber auch nicht lange. Die Schuld war zu groß und ich war sehr wütend auf mich selbst. Der Häuptling riet mir, für meine Fehler Widergutmachung zu leisten, um meinen eigenen Seelenfrieden wiederzufinden. Er schickte mich direkt ins Wespennest, wie man so schön sagt.« Er lächelte Desiderius amüsiert an. »So gelangte ich in den Dienst der Königin von Zadest.«

      Desiderius hob überrascht die Augenbrauen.

      »Ja. Aufgrund meiner blanken Haut und menschlichen Gestalt war es ihnen einfacher, mir zuzuhören, als einem Vogelmann«, fuhr Ragon fort. »Wie dem auch sei, ich war dort eine Art Botschafter für die Tierstämme. Damit das Ausrotten unserer heiligen Wesen aufhörte, versuchte ich, den Frauen begreiflich zu machen, was sie sind, und dass sie ihre Welt niemals bedrohen könnten. Einige hörten zu, ich hatte die Gunst der Königin auf meiner Seite, und nach und nach konnten wir die Verfolgungen eindämmen. Und noch viel mehr. In Zadest ist es üblich, Jungen schon bei der Geburt in Zucht- oder Arbeiterhäuser zu stecken, wir kämpften für das Recht dieser Männer, und obwohl noch viele Frauenstämme strikt dagegen waren, erhielt die Königin dennoch großen Zuspruch.«

      Desiderius hörte, dass dies nicht der Anfang eines glücklichen Endes war.

      Ragon bog um einen Baum herum und blieb plötzlich stehen, die Sonne hing nun kräftig leuchtend am blauen Himmel und brannte auf den bewaldeten Gipfel des Berges hinab. Der Wind pfiff hier lauter, als wäre eine Klippe ganz in der Nähe.

      »Aber dann wurde sie verraten und plötzlich war nicht mehr nur mein Volk, sondern auch ihres in Gefahr«,