Kreuzweg zu anderen Ufern. Wolfgang Bendick

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Название Kreuzweg zu anderen Ufern
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия Zu Wasser und zu Lande
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753196336



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Stellt euch vor, jedes Teil kostet eine Mark! Das sind ja mehr als hundert, die da rumliegen! Der muss ja ganz schön Druck auf der Leitung haben, der Kuhner-Bauer!“ „Oder ein heimliches Puff betreiben. Einer alleine kann doch nicht so viel abspritzen!“ Größte Ehre war es, von den anderen wegen irgendeines Einfalls oder Unsinns, den man gemacht hatte, ‚wilder Hund‘ genannt zu werden oder ‚kähler Kog‘. Dieser ‚Ehrentitel‘ spornte uns geradezu an, uns gegenseitig in Blödeleien zu übertreffen. Meistens waren es die Ältesten, die diesem Namen Ehre machten.

      Nachher, im kalten Wasser gingen wir weiter unseren Phantasien nach. „Wenn das der Pfarrer erfährt, der wird den Kuhner exkommunizieren! Das ist das ja ein Holocaust, was hier abgelaufen ist!“, feixten wir. „Rechnet mal aus, bei jedem Ficken gehen bis zu 500 Millionen Samenzellen ab“, meinte Kümmel, „dann macht das bei 100 Parisern laut Eva Zwerg, warte mal, fünfzigtausend Millionen. Wer kann mir helfen, das in Milliarden umzuwandeln?“ Gustav hatte bald das Ergebnis gefunden: „Das sind 50 Milliarden. Und die Weltbevölkerung ist derzeit etwas über drei Milliarden.“ Wir waren baff! Mehr als die fünfzehnfache Weltbevölkerung lag hier auf der Wiese, im Keim, nein, im Odel erstickt! Irgendwie wurde uns plötzlich klar, dass die Natur mit allem großzügig umging. Und einmal wichsen oder einmal mehr, davon würde die Menschheit auch nicht ausgerottet werden. Der Pfarrer soll mal nicht so dramatisieren!

      Denn die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber jedweder Geburtenregelung war ja allen bekannt.

      Das von den Mädchen anzustrebende Ideal war die Jungfräulichkeit. Die Älteren, die eine feste Freundin hatten und bald heiraten wollten, mussten in den Monaten vor der Hochzeit ein Eheseminar besuchen, worin ihnen der Pfarrer Unterricht über die katholische Ehe erteilte. „Als Vorbild für eine Frau und Mutter wurde Maria hingestellt und für den Mann Joseph…“, erklärten sie uns feixend. „Von Sex war keine Rede. Manchmal gebrauchte der Pfarrer dafür das Wort ‚Es‘. „Achtet darauf, wenn ihr Es macht, dabei keine Lust zu verspüren!“, schärfte er den Teilnehmern ein, „Lust ist das Tor zum Bösen!“ Als bestes und erlaubtes Verhütungsmittel pries er die Keuschheit… „Zum Glück nimmt das kaum noch jemand ernst“, meinte Dieter, einer der Großen, der schon ein Motorrad hatte und sich manchmal noch zu uns gesellte, „Ginge es nach den Pfaffen, würde die Menschheit schon lange ausgestorben sein!“

      Wir hörten alles, was geredet wurde. Vor allem das, was nicht für unsere Ohren bestimmt war. Und wir wussten alles, was vor sich ging. Als säße in jeder Familie ein Spitzel, der dann alles seinen Freunden weiterberichtete. „In der Schule von Mumholz hat der Lehrer fast die halbe Klasse in den Toiletten beim Masturbieren erwischt! Der Lehrer und der Pfarrer sind außer sich!“, zischelte einmal mein Vater der Mutter ins Ohr. Normalerweise brüllte er immer. Deshalb spitzte ich erst recht die Ohren. „Man sollte die von der Schule schmeißen, diese Dreckskerle!“ „Das ist doch eine Volksschule, da kann man doch niemanden rauswerfen!“, warf die Mutter ein. „Dann sollen sie die in ein Erziehungsheim stecken und gehörig bestrafen! Zum Glück machen unsere sowas nicht!“ Ich erzählte den Freunden davon. „Die halbe Klasse…“, meinte Berndi. „Die sind ja insgesamt nur zehn oder elf. Die Alten sollen mal nicht so scheinheilig tun, die haben früher auch gewichst und tun´s bestimmt jetzt auch noch, wenn die Olle mal nicht mag!“ „Das wichtigste ist halt sich nicht erwischen zu lassen!“, meinte sein Cousin.

      Nicht erwischen lassen! Das war unsere Devise bei fast allem, was wir unternahmen. Denn wer könnte es schaffen, einer Gruppe von Kindern oder Jugendlichen etwas zu verbieten? Das macht die Sache doch erst recht interessant! Irgendwie war es auch ein Wissensdrang, der uns antrieb, Verbotenes zu tun. Ein Pornofilm spielte im Kino in der Stadt? Bisweilen liefen wir eineinhalb Stunden nach Kempten (und abends wieder zurück), nur um zu sehen, ob wir es schaffen würden, reinzukommen! Dieser Nervenkitzel beim Kartenkauf! „Na Kleiner, bist du überhaupt schon 18?“ Meist holten die Größeren die Karten und dann mischten wir uns unter die Leute in der Eingangsschlange. Bloß nicht beim Reingehen vom Kontrolleur zurückgewiesen werden! Und selbst wenn, dann hatte man wenigstens eine Heldentat zu erzählen! Alleine sich da rein zu schmuggeln war schon eine! Und natürlich auch, den verbotenen Film zu sehen. Doch oft waren wir nachher gehörig enttäuscht. Denn das, was wir zu sehen erhofft hatten, wurde nicht gezeigt, oder nur so kurz, dass man schier frustriert war. Denn alle Filme wurden vorher zensiert. Von einer ‚Selbstkontrolle‘, wobei natürlich die Hüter der Moral, sprich die Kirche, vertreten waren. Und manchmal war so viel weggeschnitten worden, dass man die Handlung nicht mehr verstehen konnte. Und was geschah mit dem Herausgeschnittenen? Klebte sich einer die Filmreste zusammen und verkaufte sie nachher als Pornofilm?

      Früher galt es, dem Weihnachtsmann auf die Schliche zu kommen oder dem Osterhasen. Eigenartigerweise gelang es denen immer, sich dem Entdecken zu entziehen, bis sich letztendlich ihre Realität in Luft auflöste. Diesmal war unser Suchen vielversprechender. Denn je weiter wir dem Geheimnis des Unkeuschen nachforschten, umso mehr offenbarte sich uns ein Garten Eden!

      Aufklärung wurde jetzt offiziell sogar an den Schulen gelehrt. Doch meist noch wie früher anhand des Bestäubens der Blumen oder des Aufeinandersteigens der Tiere. Nie sprach man davon, wie es die Menschen machen. Kein Lehrer wagte sich an das Thema ran, da er Angst vor der Reaktion der katholischen Eltern hatte. Dann kam die Mode der ‚Aufklärungsfilme‘ von Oswald Kolle, den man auch den Sex-Papst nannte. Wir erhofften, endlich etwas Interessantes zu sehen, und was zeigten die uns? Zeichnungen und Schablonen der Geschlechtsapparate, die dann ineinandergeschoben wurden. Das wussten wir doch schon lange! Wir wollten es in echt sehen, möglichst noch in Cinemascope! Einfach enttäuschend, eine Geldmacherei, um uns Jugendlichen das Taschengeld abzuzocken!

      Anders dagegen die ‚Beate Uhse-Läden‘, diese Sex-Shops, die neuerdings überall aufmachten, auch in Kempten in der Gerberstrasse. Natürlich wetterte der Pfarrer von der Kanzel dagegen, was uns erst auf die Idee brachte, da mal hinzuschauen. Rein trauten wir uns nicht, drückten uns lieber am Schaufenster die Nasen platt. Das, was wir gleich erkannten, waren die Pariser in allen Farben und Ausführungen. Doch für den Rest mussten wir unserer Imagination freien Lauf lassen. Dieter und Bernd, die schon 18 waren, hatten sich mal hineingewagt. „Unterwäsche massenweise, fast ohne Stoff, du kannst durchschauen! Und Mösen aus Plastik, Schwänze mit Batterie drinnen, die summen, wenn du sie einschaltest. Sogar Puppen kannst du haben, für Männer, aufblasbar und lebensgroß!“ „Puppen? Erwachsene spielen doch nicht mehr mit Puppen!?“ „Mit denen schon. Oder denkst du, dass ein unverheirateter Bauer seinen Schumpen bespringt, wenn er mal bumsen will?“

      SONNTAG

      Seit Kurzem hatte der Papst (Johannes XXIII) eine Enzyklika herausgebracht, so ein Rundschreiben mit den neuesten Doktrinen für die Christenheit. Die Heilige Messe sollte von nun an in der Landessprache, bei uns also in Deutsch abgehalten werden. Was die einen als Fortschritt feierten, wurde von anderen als gotteslästerlich bezeichnet, das heilige Latein, das ‚Esperanto der Christenheit‘ abzuschaffen! Auch wurde der Altar umgedreht, so dass der Priester zum Volk schaute, wenn er die Messe feierte. Und, wo das nicht möglich war, ein anderer Altar im Chorraum aufgestellt. Da man gerade schon beim Abschaffen war, wurde auch die Kommunionbank entfernt, wo sich vorher alle in einer Reihe hingekniet hatten, um den Leib Christi zu empfangen, den der Pfarrer jedem in Form einer Hostie, einer kleinen runden Oblate, auf die herausgestreckte Zunge legte. Darin sollte Jesus in Fleisch und Blut vorhanden sein. Das nannte man das Wunder der Transformation. Schwierig für uns heranwachsende Zweifler, das zu glauben… Aber so war es und man hatte uns ja von klein auf eingebläut, dass für Gott kein Ding unmöglich ist und diejenigen, die das bedingungslos glaubten, waren die Seligen, denen das Himmelsreich offenstand. Die Skeptiker erwartete die ewige Verdammnis, bestenfalls das Fegfeuer, aus dem einen eventuell die Fürbitten der Gläubigen und Heiligen retten konnten…

      Bei meinen evangelischen Freunden gab es beim Abendmahl wenigstens einen Schluck Wein dazu (und nicht gerade den schlechtesten), wie es Jesus beim letzten Abendmahl auch gemacht hatte. Bei uns trank ihn nur der Pfarrer (oder heimlich die Mutigsten der Messdiener). Ja und dann hatte das Konzil auch noch beschlossen, dass der Pfarrer den Gläubigen die Hostie in die Hand legen sollte, welche diese sich dann selber in den Mund steckten. Widerstrebend nur fügte