Bleiweiß – Der schleichende Tod. Elvira Alt

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Название Bleiweiß – Der schleichende Tod
Автор произведения Elvira Alt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754177976



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Leinwand, hatte ein Glas mit eiskalter Cola in der Hand und wollte einen Schluck trinken, als er auf dem Beistelltisch etwas schimmern sah. Es war ein Wasserkringel, wie von einem feuchten Glas. Dies war nicht weiter bemerkenswert, nur hatte er an diesem Morgen noch nichts auf diesem Tisch abgestellt. Sein Glas war trocken und er hielt es noch immer in der Hand. Bereits um diese Uhrzeit war es schon sehr warm. Der Wasserrand konnte unmöglich noch vom Vortag sein.

      Er nippte an seinem Getränk und starrte versonnen auf den Abdruck, versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Sein Blick wanderte zu Loreley und wieder zurück zum Tisch.

      Verwundert sprang er auf, nahm einen Lappen und wollte ihn wegwischen. Als er sich wieder dem Wasserkringel zuwandte, war er verschwunden.

      Paddy begann zu krampften und wurde von einem schrecklichen Anfall gepackt. Das Glas fiel ihm aus der Hand. Sein Gesicht lief blau an, er rang nach Luft. Er klammerte sich mit beiden Händen an die Staffelei und krümmte sich. Paddy schien das Gleichgewicht zu verlieren, taumelte dicht an Loreley heran und rutschte nach und nach auf den Boden. Paddy bekam einen heftigen Hustenanfall, rang nach Luft bis ihm das Blut in den Kopf schoss und seine Adern an Hals und Stirn hervortraten. Sein Ächzen steigerte sich zu einem hilflosen Röcheln. > O Gott, mein Herz! Mein Herz! > keuchte er und fasste sich an selbiges, als wolle er es sich aus der Brust reißen.

      Das Sonnenlicht, das durch die Fenster schien, fiel strahlend auf seine Stirn und glitzerte in den winzigen Schweißtropfen wie ein Diadem aus Juwelen. Seine Knie schlugen gegeneinander, seine Zähne klapperten.

      Loreley leistete Erste Hilfe und gab ihm eine Spritze, die sie immer griffbereit hatte. Dieser Zusammenbruch war nicht sein erster. Sie häuften sich in letzter Zeit. Mühsam klappte er eine Auge auf. Sie konnte sehen, dass Paddy noch nicht sterben wollte.

      Paddy liebte diese Frau, mehr als sein Leben. Was sollte er nur ohne sie machen? Loreley war der Wind unter seinen Flügeln.

      In der darauffolgenden Nacht ereignete sich folgendes: Wie ein Geist schlafwandelte Paddy durchs Schloss.

      An einer der Türen las er das unerbittliche Wort: Geschlossen. Er packte den Knauf und rüttelte. Zu seiner Überraschung drehte er sich in seiner Hand, die Tür öffnete sich, aber nicht auf seinen Druck hin. Sie wurde von innen geöffnet und Paddy schaute in das schwach beleuchtete Gesicht eines sehr alten und außerordentlich zerbrechlich wirkenden kleinen Mannes.

      „Bitte, treten Sie ein“, sagte eine sanfte, ziemlich zittrige Stimme und schwache Schritte schlurften vor ihm her.

      Die Dunkelheit, in dem großen, trübsinnigen Raum, wurde nur durch zwei tropfende Kandelaber erhellt. Die Möbel wirkten unheimlich und geheimnisvoll und die schwache Beleuchtung warf drohende geradezu gefährliche Schatten. Paddy verspürte ein starkes Verlangen sofort wieder zu gehen, aber die Dunkelheit um ihn herum lichtete sich und er sah, dass der alte Mann eifrig hier und da weitere Kerzen anzündete.

      Paddy sah ihn nun verhältnismäßig deutlich. Er hinterließ einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn. Während er ihn anstarrte, musste Paddy an Rembrandt denken. Wer anders hätte eine Vorstellung von den unheimlichen Schatten auf dem verwüsteten Gesicht geben können? Müde. Ein Wort das man leichthin benutzt. Nie zuvor war es ihm deutlicher geworden, was es bedeuten konnte. Eine so unsägliche, geduldige Erschöpfung. Die tiefliegenden Augen, wie unbelebte Planeten in dem welken Gesicht. Die matte Gebrechlichkeit dieser gebeugten, zitternden Gestalt. Die Worte Staub und Asche gingen ihm durch den Kopf. Der Mann wirkte kaum stabiler als ein Knäuel aus Staub und Spinnweben, die durch einen Atemzug oder durch eine Berührung zerstört werden konnte.

      „Sie sind Maler?“ In seiner Stimme lag die Stumpfheit äußerster Gleichgültigkeit. Sie war sehr leise, kaum hörbar und dennoch war eine merkwürdige, fast flehende Eindringlichkeit in ihr und seine Augen fixierten Paddy matt. Ein verzehrender, starre Blick.

      Paddy wollte nur weg. Ja. Sofort! Schon allein die Nähe des alten Mannes bedrückte ihn und ihm wurde erbärmlich elend.

      Die frostige Stille, unterbrochen von dem müden Schlurfen der Filzpantoffeln des Alten, gingen ihm auf die Nerven. Seit wie vielen Jahren mochte er schon < unfähig zum Leiden > sein?, überlegte Paddy.

      „Leben Sie hier schon lange?“, wollte er wissen.

      „Seit langer, langer, langer Zeit.“ Die Antwort kam leise wie ein Seufzer und als er sprach, schien Zeit nicht mehr eine Sache von Tagen, Wochen, Monaten oder Jahre zu sein, sondern eine eintönige Langeweile, die sich ins Unermessliche erstreckte. Paddy begann sich über die Müdigkeit und die Melancholie des alten Mannes zu ärgern, die ihn ansteckte und seine Stimmung so unerklärlich niederdrückte.

      Der Alte nahm, gefolgt von Paddy, eine taumelnde Wanderung durch den Raum auf. Seine Schritte wurden schneller.

      Paddy jagte ihn weiter und weiter, durch endlose Alleen Mobiliars hindurch, aber er entzog sich ihm immer wieder. Spinnweben streiften sein Gesicht. Weiterzugehen war nicht verlockend. Er ließ davon ab.

      Paddy spürte Unendlichkeit. Die Stille wurde von dem Geräusch einer schlagenden Standuhr unterbrochen. Ein wundervolles, komplizierte Stück mittelalterlicher Handwerkskunst. Aus einer Nische unter ihrem außerordentlich fein gemalten Zifferblatt tauchten wunderliche Figuren auf. Während eine von ihnen auf eine Glocke schlug, trippelten die anderen mit gesetzten Schritten und begannen zu tanzen. Seine Aufmerksamkeit war ganz von diesem bezaubernden Schauspiel gefesselt. Nach dem letzten Glockenschlag wandte Paddy sich wieder um. Er war allein ...

      Bei Tagesanbruch fand Loreley Paddy im Garten. Sie musterte ihn streng. „Nicht schon wieder!“ Er schlief auf dem Rasen, vor den Rosen. Vorsichtig weckte sie ihn. Ein erdrückendes Gefühl ergriff von ihr Besitz. Sie brachte ihn ins Schloss, in sein Zimmer, half ihm beim Entkleiden und brachte ihn ins Bett.

      Paddy glühte wie eine Herdplatte, er hatte Fieber, schlief sofort weiter. Sein gesamter Körper bebte wie bei einem Anfall von Schüttelfrost. Er klapperte mit den Zähnen.

      Loreley setzte sich auf die Bettkante, ohne den Blick von Paddy zu lassen und hielt seine Hand, streichelte sie zärtlich. Sie fühlte, wie tiefe Schwermut in ihr aufstieg.

      Ticktack.

      Etwas später ging Loreley zum Gerätehaus, holte eine Gartenschere und schnitt alle Rosen ab. Ihre Finger begannen zu bluten, doch sie griff beherzt zu und schnitt weiter. Sie hasste diese Pflanzen und mied sie wie der Teufel das Weihwasser.

      Als ob sie so einfach die Geister loswerden würde!

      0:00 Nachtjournal RTL

      „Und das sehen Sie heute, unter anderem, im Nachtjournal: Eines der in der Zeit zwischen dem 13. Februar und 26. Mai aus dem Frankfurter Städel Museum gestohlene Gemälde ist aufgetaucht ...

      In der Mall, im Frankfurter Hessen-Center, einer der bedeutendsten Antik-Märkte in der Rhein-Main-Region, präsentieren am vergangenen Wochenende wieder nahezu einhundert Aussteller aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland ihre Schätze. Zum Verkauf angeboten wurde ein umfangreiches Sortiment hochwertiger Antiquitäten und antiker Sammlerstücke aus dem Jugendstil: Antike Möbel, Lampen und Leuchter, Tischwäsche, Porzellan, Glas, altes Tafelsilber, Gemälde und Bücher, Spielzeug, Schmuck und Uhren. Auch aus dem Kunstgewerbestil von 1920 – 1940, die Zeit des Art deco, wurde vieles angeboten.

      Hier tauchte eines der vermissten Bilder aus dem im Frühjahr verübten Kunstraub aus dem Frankfurter Städel auf. Der Verkäufer gab an, dass Gemälde beim Sperrmüll gefunden zu haben. Nach ausgiebiger Untersuchung, durch Fachleute, stellte sich der Sensationsfund allerdings als Fälschung dar.“

      Der geheimnisvolle Fund

      Lilo hielt inne. Es war 7:00 Uhr. Wer in aller Herrgottsfrühe war schon auf den Beinen, außer ihr?

      Sie stand auf der obersten Stufe der Treppe als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Lilo stand da wie angenagelt und nestelte an ihrer Halskette.