Bleiweiß – Der schleichende Tod. Elvira Alt

Читать онлайн.
Название Bleiweiß – Der schleichende Tod
Автор произведения Elvira Alt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754177976



Скачать книгу

war ihr Part, die Vorlesungen und Malkurse alle völlig überbucht. Sie wusste, Kevin würde das so empfindliche Gleichgewicht im Schloss, wenn auch nur geringfügig, stören. Sie rechnete damit, denn sie betrachtete jeden Neuankömmling als Gefahr. Unter den Studenten herrschte nicht immer eitler Sonnenschein. Es würde Tage dauern, bis die alte Hackordnung wieder hergestellt war. Viele der Studierenden bekamen mehr Taschengeld als die aus sozial-schwachen Familien und sie ließen die anderen gerne spüren, an welcher Stelle der Nahrungskette sie standen. Für Paddy waren sie alle gleich.

      Loreley liebte feste Gewohnheiten und sah diese in Gefahr.

      An seinem ersten Arbeitstag nahm sie Kevin am Ellbogen, führte ihn herum und zeigte ihm die Örtlichkeiten. Die Führung endete in Paddys Atelier.

      Was ihm zuallererst auffiel, war die Art, wie die Kommilitonen Loreley mit Stielaugen ansahen. In diesen Blicken lag weniger Zuneigung als vielmehr Besitzanspruch, sie beteten nicht nur Paddy an.

      Dass sie ihn überhaupt nicht beachteten, faszinierte ihn. Loreley hatte Kevin die Hand auf den Arm gelegt und ihn von der Türöffnung weg ins Atelier gezogen, so dass es schwierig war, ihn zu übersehen. Er spürte ihre Anspannung, den Unmut. Loreley hatte zwar inzwischen die Hand von seinem Oberarm genommen, stand aber immer noch so nah neben ihm, dass ihr Arm den seinen streifte. < Als ob ich Hilfe bräuchte > dachte er und rückte von ihr ab. Die Fürsorge, die Loreley Kevin offensichtlich angedeihen lassen wollte, schien er absolut nicht nötig zu haben.

      Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. Die Widerspenstigkeit gegenüber dem Neuen war so offensichtlich und auf dem Höhepunkt angelangt, sich so streitsüchtig und unleidlich wie möglich zu verhalten. Doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, die Buben nie allzu hart anzufassen. Solche Stimmungen dauerten nie an und je schlimmer sie sich gaben, desto stärker schwang der Pegel später in die entgegengesetzte Richtung.

      Sie beendete ihre Musterung der Jungs und entdeckte, dass Paddy sie beobachtete.

      „Ich möchte Dich mit Paddy Moser bekannt machen“, sagte Loreley zu Kevin milde, die angespannte Atmosphäre übersehend …

      In den Augen des Praktikanten war nichts, was darauf hinwies, dass er etwas verbergen wollte oder um Hilfe flehte. Er sah Loreley einfach nur an, wie ein Mann irgendeine reizende Kleinigkeit betrachtete, einen kleinen Hund etwa, ohne jeden praktischen Wert und bedankte sich für ihre freundliche Einweisung.

      Dem Anschein nach war Kevin immun gegenüber Loreley's Reizen.

      Am Nachmittag gab es eine deprimierende Audienz, beileibe nicht die letzte dieser Art. Die Schüler und Studenten mussten zum Rapport antreten. Berichterstatten über ihr ungebührliches Verhalten dem Neuen gegenüber, über das gelernte und wie man es in die Tat umsetzen könnte.

      Paddy verspürte den verständlichen Drang sein Wissen nicht für sich zu behalten.

      Ticktack.

      Er arbeitete dem Anschein nach wie ein Dynamo, lud sich auf und wenn er so richtig auf Tour war, sprühten die Funken.

      Ticktack.

      Die Schüler konnten kaum Schritthalten, aber keiner wollte es auch entbehren.

      Kevin hatte nicht vor, die ganze Zeit hier herumzulungern. Sein Plan war es, dass Schloss zu durchforsten.

      Nach dem gemeinsamen Abendessen sammelte er die Teller ein, wobei er einen großen Bogen um die Mikrowelle machte. Man konnte ja nie wissen, was für bösartige Strahlen in der Luft herumschwirrten und darauf warteten, ihn anzugreifen. Er behielt die Uhr im Auge, die eine Sekunde nach der anderen herunter tickte, bevor er sich dann trotzig direkt vor das Gerät stellte. „Kommt doch und holt mich“, flüsterte er und lachte beinahe übermütig. Seine Wangen bekamen Grübchen. Verrückt. Da hatte er doch tatsächlich die Mikrowelle zum Kampf aufgefordert.

      Anschließend zog er pfeifend los um sich mit den Gegebenheiten der einzelnen Räume bekanntzumachen.

      Eine Woche war vergangen. Die Zeit verstrich wie im Flug.

      Die Aufzeichnung, die Kevin für Eddie sichergestellt hatte, war langweilig und ermüdend. Das Bildmaterial vom Atelier ähnelte einem Stil-Leben.

      Eddie hatte sich von dem vor ihm liegenden Tag ein vollständiges Bild gemacht, so pflegte er bei einer Tasse schwarzen Kaffee und einem Stück Käsekuchen eine kleine Pause einzulegen, um die Morgenzeitung zu studieren. Auf der Seite mit der Offerte: Nachruf, fing er an. Immer las er zuerst die Todesanzeigen. Eddie wusste selbst nicht mehr, wann er damit angefangen hatte, es zur Routinelektüre machte und wusste auch nicht mehr, warum.

      „Jemanden gefunden den Du kennst?“, fragte Kevin. „Was die Leute nicht alles tun um in die Zeitung zu kommen“ neckte er.

      „Chef, dass musst Du Dir ansehen. Diese Frau ist unglaublich.“

      Eddie holte sich einen neuen Kaffee und zog sich einen Stuhl bei, nahm vor dem Bildschirm platz, zündete sich eine Zigarette an. „Na, dann lass mal sehen.“

      Beim Betrachten der Aufzeichnung kam Eddie sich vor wie ein Voyeur. Er hatte einen Fächer in der Hand. Mit seinem handbetriebenen Ventilator wedelte er sich frische Luft zu. Die Klimaanlage hatte vorübergehend, wieder einmal, ihren Geist aufgegeben.

      Die Wirkung, die von Loreley ausging, hatte nichts mit den Maßstäben gewöhnlicher Schönheit zu tun, sondern mit einer unglaublich starken Ausstrahlung. Sie war zu flach, zu dünn, zu groß. Sie hatte die Statur eines unterernährten Knaben. Loreley war Anfang, Mitte vierzig und hatte viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.

      Es war ein Ereignis sie anzusehen, wie sie dort, am Rand der Couch, vorgebeugt auf der Kante hockte, als sei sie ganz aufmerksam. Loreley umklammerte mit beiden Händen die mondän übereinandergeschlagenen Beine. Sie hatte sich nicht bewegt, saß von Anfang an in derselben Stellung. Diese Fähigkeit zur absoluten Bewegungslosigkeit, dass hatte es Paddy so leicht gemacht, mit ihr zu arbeiten. Stundenlang konnte sie so, wenn man es von ihr verlangte, im grellen Scheinwerferlicht sitzen. Bis ihre Muskeln oft sichtbar zu zittern begannen, aus Verkrampfung, bis Tränen aus ihren Augen traten, die sie diszipliniert mit ihren Wimpern, die wie künstliche Fliegen eines Anglers aussahen, weg blinzelte.

      „Was ist das, was sie um den Hals hängen hat und bis zum Bauchnabel reicht? Eine Perlenkette?“, wollte Kevin wissen und ging auf Vergrößerung.

      „Paddy hat die Parüre für umgerechnet 25.000,-- DM in Schottland erworben. Das Collier ist mehrsträngig aufgezogen und besteht aus unregelmäßigen, weiß-silbrigen chinesischen Kaschierperlen. Der Verschluss, ein Drachenkopf ist aus rhodiniertem Weißgold, 14 Karat, mit 8-Kant Diamanten im Brillantschliff besetzt und wurde zusätzlich mit Smaragden und Rubinen verziert, die Augen, zwei Saphire im Treppenschliff. Dazu gehört ein Armband, ein Ring und ein Paar Ohrringe.

      „Rhodinieren? Was bedeutet das?“

      „Dabei handelt es sich um einen chemischen Vorgang, in dem ein Metall mit Rhodium, einem Platin ähnlichen Metall, überzogen wird.“

      „Aha. Muss man das wissen?“

      „Nein. Aus den Erzählungen anderer weiß ich, dass auf dieser Garnitur ein Fluch liegt. Alle Trägerinnen kamen ums Leben.“

      „Böses Karma“, spottete sein Praktikant.

      Eddie schlug ihm die Tageszeitung zackig, aber dennoch zärtlich, auf den Kopf. „Räum den Mist weg!“, befahl er.

      Dieser Schmuck war alles, außer Loreley, was Paddy von Salome geblieben war.

      Die Aufzeichnungen landeten in Ablage P. P, wie Papierkorb, die Kameras hatte Kevin bei einer Nacht- und Nebelaktion wieder deinstalliert.

      Er folgerte, dass Paddy und Loreley bestimmt kein Liebespaar waren. Sie gingen zwar sehr vertraut miteinander um, aber Sex? Für ihn undenkbar.

      Es musste eine andere Verbindung geben. Eher wie zwischen Geschwistern.

      Was wusste Eddie darüber?

      Kaum, nachdem die Kameras nicht mehr aufzeichneten, spielte