Название | In der zweiten Reihe |
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Автор произведения | Kathrin Thiemann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754137383 |
Im Advent studierte diese Gruppe ein Krippenspiel für die Weihnachtsfeier ein und suchte dringend eine Maria. Das war endlich die Gelegenheit, sich gezielt mit mir zu verabreden. Theater, herrlich! Für so etwas war ich immer zu haben. Schon früher in der Schule versetzte ich mich gerne in andere Menschen hinein, hatte großen Spaß am Verkleiden und war auf Anhieb eine ganz andere Person. So auch bei diesem Krippenspiel. Auf diese Weise war es ganz leicht, den Mitstudenten zu begegnen, denn unsere Rollen waren klar.
Nach einer der Proben gesellte sich Herr Simon zu mir und bat darum, sich mein Kollegheft von Prof. Goeters ausborgen zu können. Er hatte eine Vorlesung verpasst, weil er in Wuppertal bei der Hochzeit seines Bruders gewesen war. Nun wollte er den versäumten Stoff nachholen. Natürlich gab ich ihm das Heft gerne, er schien eine ehrliche Haut zu sein und ich hatte nicht den Eindruck, dass dies ein aufdringlicher Kontaktversuch sei. Ich holte es aus meiner Tasche. Er streckte seine Hand aus, dabei blieb mein Blick an ihr hängen. Nur vier Finger und eine große Narbe. Kurz irritiert drückte ich ihm das Heft schnell in die Hand.
Am nächsten Morgen gab er es mir mit einem beeindruckten Blick zurück und den Worten:
»Sie haben die Vorlesung ja sehr gründlich mitgeschrieben. Vielen Dank. So habe ich wirklich gar nichts verpasst!«
Kein Wort zu meiner Reaktion. Dafür war ich ihm dankbar.
Eines Nachmittags, es war ein klirrend kalter Tag mit einer Menge Schnee, hörte ich es im Flur laut poltern. Ich saß im Mantel an meinem Schreibtisch, denn ich musste mir meine Kohlen gut einteilen. Was spielte sich da vor meiner Tür ab? Ich hatte keine Ahnung, lieber versuchte ich weiter, mich auf meine Vokabeln zu konzentrieren. Jetzt klopfte es laut an meiner Tür. Ich bekam einen Mordsschrecken. Das Gepolter hatte ich nicht einordnen können und ich befürchtete ... Ja, was befürchtete ich eigentlich? Vorsichtig öffnete ich die Tür einen kleinen Spalt. Zwei dick verpackte Männer standen keuchend vor meiner Tür, zwischen ihnen ein großer Sack.
»Fräulein Schmidt?« sagte der eine.
»Sie erkennt uns nicht«, erwiderte der andere.
Sie zogen lachend die Mützen vom Kopf und öffneten ihren Schal, da erkannte ich Wilhelm und Ernst, wie ich sie für mich schon nannte. Gemeinsam hatten sie den Sack zu mir und die Treppe hoch geschleppt, um mir ein Geschenk zu machen. Ich sah neugierig hinein. Briketts. Einfach so. Was für eine Freude.
Natürlich bat ich sie herein, damit sie sich wenigstens etwas aufwärmen konnten. Ein Brikett legte ich gleich in den Ofen, der bald schon seine Wärme verbreitete. Die beiden sahen sich um. Ernsts Blicke blieben an den Eisblumen am Fenster, Wilhelms an den Bildern hängen. Ich nahm sie von der Wand und stellte ihnen meine Eltern und Geschwister vor. Bald zogen sie wieder ab, sie sahen ja, dass ich lernte. Keck verabschiedete ich sie mit den Worten der Maria:
»Ihr Hirten, all mein Leben lang
weise ich für eure Lieb‘ euch Dank.«
Bei der nächsten Probe fielen mir natürlich bei dem Satz die Briketts ein und ich verhaspelte mich lachend.
In einem schlichten hellblauen Kleid und geschmückt mit einem zarten weißen Schleier stellte ich eine in den Proben vergnügte, später jedoch ernsthafte Maria dar, die sich lächelnd über eine Porzellanpuppe mit blauen Augen neigte.
Ernst gefiel mir gut in der Rolle des Josef, als Stiefkinds-Vater ganz dicht neben mir. Vor der Geburt des Jesuskindchens stützte er mich sanft und war anschließend sehr fürsorglich für die Puppe und mich da. Wir saßen auf beiden Seiten der Krippe und er legte seine Hände ganz dicht neben meine an das Holz, als ich sang:
»Josef, lieber Josef mein,
hilf mir wiegen mein Kindelein.
Gott, der wird dein Lohner sein
im Himmelreich der Jungfrau Kind Maria.«
Auch Wilhelm war ganz versunken in sein Spiel. Er kam als ein sehr aufrechter Hirte zu uns, mit einem kleinen Lämmchen auf dem Arm, dem Stab und einem großen Hut. Er fiel vor mir auf die Knie und drückte mir inbrünstig das Tierchen aus Wolle in die Hand.
Nach dem Spiel stiegen wir schnell aus den Kostümen und feierten. Der Saal war liebevoll geschmückt mit Tannenzweigen, Kerzen und sogar einem großen Weihnachtsbaum. Wilhelm war mein Tischherr, Ernst saß mit seiner Tischdame auf meiner anderen Seite.
Bei Tee und Gebäck hatten wir einen vergnügten Abend, wir plauderten zusammen, alles war ganz leicht. Es wurde zwei Uhr, als die meisten aufbrachen. Wilhelm bestand darauf, mich nach Hause zu bringen. Vor der Tür hielt er mir mit leuchtenden Augen ein Päckchen hin, mit blauem Band und etwas Tannengrün. Ich war überrascht. Ein Geschenk für mich? Das hatte ich nicht erwartet. Ja, ich mochte ihn, in seinem Blick lag so viel Tiefe, aber auch etwas Drängendes. So bin ich noch nie angesehen worden. Obwohl, Ernst und ich waren eben beim Krippenspiel auch so innig verbunden gewesen. Ich war verwirrt. Ich packte das Geschenk im Zimmer gleich aus. Es war Der wartende Acker von Sophie Renschel. Ich kannte es noch nicht, kroch in mein Bett und begann gleich zu lesen.
Schweben über der Wupper
Am nächsten Tag begannen die Weihnachtsferien. Zum Glück hatte ich meine Siebensachen schon zusammen gepackt, denn wir wollten früh aufbrechen. Ich hatte in der Nacht wenig Schlaf bekommen, ich hatte gelesen. Einen Teil des Heimweges konnten wir zu dritt reisen. Wir fuhren zu unseren jeweiligen Familien in die Weihnachtsferien. Ich freute mich auf meine jüngeren Geschwister, ich freute mich aber nach diesem Abend noch mehr auf unsere gemeinsame Fahrt. Am Morgen holte mich Ernst schon früh ab. Wie immer trug er keinen Hut. Dass er nicht fror?
Wir schellten bei Wilhelm.
»Bist du soweit? Beeil dich, wir frieren.«
Gemeinsam schlitterten wir auf vereisten Straßen zum Bahnhof. Das war diesmal kein Vergnügen, zumal wir mit schwerem Gepäck unterwegs waren. Ernst hatte auch noch seine Laute umhängen, die natürlich nicht zu Bruch gehen sollte.
Endlich im Zug kamen wir ins Plaudern und ich erzählte von meinem Geburtstag neulich, am 13. Dezember.
»Sie sind schon einundzwanzig Jahre alt, Fräulein Schmidt?« fragte Ernst.
Sie schauten sich erstaunt an.
»Wir haben Sie für deutlich jünger gehalten, höchstens achtzehn.«
Meinte er es ernst? Oder wollte er mir schmeicheln? Vorsichtig fragten sie mich nach meiner Kindheit und Jugend aus. Ich erzählte ihnen, dass ich aus einem Soldatenhaushalt stammte und deshalb statt mit Puppen lieber mit Pferden und Zinnsoldaten gespielt habe. Ich erzählte von Erich und Martha, meinen jüngeren Geschwistern.
Auch über Wilhelms Büchlein konnte ich schon berichten. Es waren Tagebuchaufzeichnungen, die in diesem Jahr gerade erst herausgegeben worden waren. Sie hatten mich so gefesselt, dass ich es noch in derselben Nacht in einem Rutsch durchgelesen hatte. Ernst kannte es auch bereits. So konnte er mitreden.
Für Ernst und mich gab es einen Aufenthalt von mehr als zwei Stunden, so dass Wilhelm uns zum Frühstück in sein Elternhaus einlud. Wir gaben unser Gepäck ab und machten uns auf den Weg durch die hügelige Stadt. Ganz oben auf den Sedansberg mussten wir laufen, dort wohnte seine Familie. Mir wurde beim Aufstieg so warm, dass ich ganz rote Wangen hatte, als Frau Simon uns die Tür öffnete. Ich konnte ihr den Gedanken förmlich ansehen, als sie mich musterte: »Wilhelm bringt einen Studenten mit – und eine Studentin, aha.« Ihr Sohn war der erste in der Familie, der studierte. Sie war sichtbar stolz auf ihn.
Ernst und mich platzierte sie auf ihr Sofa und verschwand in der Küche, um uns schnell etwas zum Frühstück zu zaubern. Wilhelm holte eine Gitarre und Ernst packte seine Laute aus. Wir sangen aus Herzenslust, das konnten wir von Anfang an gut zusammen. Wir begannen bei Vom Himmel hoch und endeten sogar bei Wie schön blüht uns der Maien. Ernst hatte eine sehr schöne Tenorstimme und Wilhelm sang