Ragnarök. K.T. Rina

Читать онлайн.
Название Ragnarök
Автор произведения K.T. Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750215917



Скачать книгу

bereits, er erspähte ihn schon über Bifröst kommen. Der Wächter hielt einen Speer in seiner rechten Hand und sein rechtes Auge drehte ständig umher, ständig wachend. Dann fixierten beide braunen Augen auf Loki und er fühlte sich unwohl. „Thor hatte mir schon gesagt, dass ein Wanenjunge kommen würde. Thorheim liegt ganz im Westen. Geh durch die Eingangshalle durch und du gelangst nach draußen. Lauf geradeaus und du gelangst nach Idafeld. Dort steht Odins Palast Gladsheim, du biegst aber zuvor links ab und gehst den Pfad entlang bis du einen Palast siehst, der noch im Bau steht. Thor wollte dort auf dich warten.“

      Loki bedankte sich und ging durch die Eingangshalle. Am anderen Ende öffneten zwei riesige Asen die Tore und ein wärmendes Licht empfing ihn. Asgard eröffnete sich vor ihm. Saftig grün war das Gras, wolkenlos der Himmel. Selbst das Atmen schien ihn mehr mit Luft zu füllen. Am Horizont blitzte etwas Goldenes: Es müsste Gladsheim sein. Loki folgte dem Funkeln. Je näher er dem Gold kam, desto mehr sah er von Asgard. Imposante Häuser und prunkvolle Gärten tummelten sich über den ganzen Horizont. Eins war schöner als das andere, glänzender als die Regenbogenbrücke Bifröst, die er hierher überquerte. Er lief am ersten Palast vorbei, der ihn den Weg mit seinem blitzenden Dach zeigte, rüber zu einem riesigen Platz. Der Boden dort war bemalt und zeigte die Geschichte Odins und seiner Brüder Ve und Vili, wie sie Midgard aus dem Körper des Urvater der Joten, Ymir, geschaffen haben; Ve und Vili rissen ihm die Augen raus, während Odin ihn festhielt. Loki kannte die Geschichte, denn auch unter den Joten zollte man den Asen Respekt, wenn nicht unbedingt Wohlgefallen, aber er hatte sich Ymir immer größer vorgestellt.

      Nach einem langen Marsch sah er den Palast im Bau und hielt Ausschau nach seinem Freund. In der Ferne sah er eine orange Fahne vom Haupt eines Jungen wehen und winkte ihm zu. Dieser begrüßte ihn mit einem Wurf eines Steins, dem er wie gewohnt auswich. Thor rannte zu ihm und wirbelte hinter sich eine riesige Staubwolke, sodass sich die Arbeiter am Palastbau vehement beschwerten. Thor berührte Loki an der Schulter, sagte „Du bist“ und rannte blitzschnell davon.

      Nach einigen Stunden des Spielens kam Odin mit Heimdall an seiner Seite. Sie sahen wie Thor und der Junge mit Schwertern und Schilden gegeneinander kämpften. „HALT!“ hallte der tiefe Bass Odins durch Asgard. Thor ließ gehorsam sofort mit dem Kämpfen ab, Loki sah aber darin seine Chance und schlug Thors Schwert aus seiner Hand. Als er für den letzten Schlag ausholen wollte, griff Odin ihn am rechten Arm und drückte so fest, dass er die Waffe fallenließ. Blut floss aus der Stelle, wo die Fingernägel eindrückten. Loki blickte hoch auf den blondbärtigen Mann mit den blauen Augen. Lokis Knie zitterten. Es war das erste Mal, dass er Angst um sein Leben verspürte. „Ein Jote…Was hast du dir dabei gedacht, Thor?“

      „Er ist mein Freund, Vater!“

      Odin ließ Loki los und sprach gutmütig: „Wir können keine weiteren Joten hier aufnehmen.“

      „Und dennoch stehst du hier! Und er auch!“ erwiderte Loki und zeigte auf Heimdall.

      Heimdall hob seinen Speer, doch Odin lachte und wies dem Wächter, sich zurückzuhalten. Odin ballte seine rechte Faust, bis seine Nägel in seine eigene Handfläche schnitten und Blut herausfloss. Er packte mit der blutigen Hand die Wunde an Lokis Arm. Der Junge blickte in die blauen Augen Odins und bemerkte, wie sich dessen rechtes Auge von blau nach rot färbte. „Loki“, sagte Thor und zeigte auf Lokis rechte Auge, „Dein Auge ist blau.“

      Odin ließ ihn los. Loki kniete sich vor das liegende Schwert und betrachtete sein Spiegelbild in der polierten Klinge. Er hatte nun ein blaues und ein rotes Auge. „Du hast nun Asenblut in dir“, erklärte Odin. „Du hast mein Blut in dir. Du darfst jetzt hier bleiben und keiner wird dir mein Gastrecht nehmen. Komm, Heimdall. Lass die Jungs weiterspielen.“ Odin kehrte ihnen den Rücken und ging zurück nach Gladsheim. Heimdall blickte skeptisch auf den Jungen, der Odin mit weiterem Jotenblut verschmutzt hatte, bevor auch er zurück zu seinem Wachposten in Himinbjörg ging. Wieder hatte der Allvater diese Joten aufgenommen. Zuvor hatte Odin dasselbe Blutmischen mit Mimir ausgeführt. Odin war willkommen zu den Joten, da seine Mutter Bestla selbst eine Jotin war. Auch sein Sohn Thor hatte eine Jotin zur Mutter, genannt Jörd. Heimdall mistraute der hinterhältigen Art der Joten, da er sie besser verstand als alle anderen—der Ase war selbst erschaffen worden von neun Jotinnen, neun Hexen; geschaffen worden, um ihnen als Wächter zu dienen.

      Am Abend sammelten sich alle Asen und feierten die Aufnahme Lokis in ihre Reihen. Der Junge gefiel vielen dank seiner witzigen und verspielten Art, dem ständigen spielen von Streichen und erzählen von Witzen. Bevor der Met, welcher aus der Ziege Heidruns Euter gemolken wurde, ausgeschenkt wurde, brachte die Asin mit dem erdgleichem Haar jedem eine Himbeere und legte sie auf die Teller. „Nur eine Beere?“ fragte Loki seinen Freund Thor verwundert.

      „Haha, natürlich nicht. Das richtige Festmahl kommt gleich. Idun sammelt Früchte und Nüsse über ganz Asgard, die uns Lebensenergie spenden. Deshalb sieht mein Vater immer noch so jung aus, obwohl er schon hunderte Jahre alt ist.“ Loki schaute auf den bärtigen Mann, den sie Allvater nannten. Ein rotes und ein blaues Auge…so wie er es nun hatte.

      Der Krieg der Götter

      Einige Asen sahen Odins Blutmischen mit den Joten als Zeichen der Schwäche. Sie waren nicht alleine in dieser Ansicht. Das andere Göttergeschlecht, die Wanen, nahmen die Gelegenheit wahr und bereiteten sich auf einen Konflikt gegen die Asen vor. Sie schickten die wunderschöne Freya, um die Asen zu korrumpieren. Die Wanin nutzte Seidr, eine mysteriöse Magie, um Unmengen an Gold zu kreieren und die Asen goldgierig zu machen. Sie becircte den Allvater mit ihrer Schönheit und ihrem Charme und zog ihn in ihren Bann. Er vernachlässigte seine Beziehung zu Jörd, um mit der Wanin Tag und Nacht zu verbringen.

      Freya unterschätzte jedoch wie schwer Gier den Verstand der Götter einnehmen würde. Die Asen verlangten mehr und mehr Gold und als Freya ihre Gier nicht befriedigen wollte—und konnte, da es nur ein Zauber war—, drohten sie mit ihrem Leben und verbrannten sie letztlich.

      Vergeblich.

      Sie stand aus der Asche des Pfahls auf, an den sie gebunden war. Dreimal stand sie im Feuer und dreimal lebte sie erneut, bevor sie flüchten, ihren Falkenmantel anziehen und nach Wanenheim fliehen konnte.

      Darauf sammelten die Asen sich zu einem Rat und beschlossen das weitere Vorgehen gegen die Wanen. Die eine Hälfte der Asen bestanden auf die Versprechungen Freyas: Sie wollten Gold; so viel Gold, dass sie ihre Häuser damit einkleiden konnten; sie stimmte somit für eine Plünderung Wanenheims. Die andere Hälfte besann sich ihrer Vernunft: Die Wanen wären von ebenbürtiger Stärke und ein Kampf gegen sie würde niemals enden. Odin war sich ebenfalls unschlüssig und suchte den Rat bei seinem Freund Mimir. Er ging von einem Ast Yggdrasils zu dessen Stamm und rutschte hinunter zu Mimirs Brunnen. Das Wasser darin sollte einem mit Weisheit überströmen, weshalb Mimir, der täglich daraus trank, so Weise war. Als er dort ankam, sah er den Joten mit einem schwarzen Horn Wasser aus dem Brunneneimer schöpfen. Der Brunnen sah gewöhnlich aus, der Ring errichtet aus Steinbrocken. „Mimir“, sprach Odin, „ich benötige deinen Rat. Die Asen sind zwiegespalten: Einige sehnen sich nach einer Plünderung Wanenheims, die anderen wollen den Frieden beibehalten.“

      „Und du suchst nun die richtige Entscheidung, Odin?“ sagte Mimir in seiner ruhigen Stimme, golden blitzten seine Zähne. Er stoß den Eimer am Brunnenrand hinunter. Eine Weile verging, aber nie hallte der Aufprall auf das Wasser aus dem Brunnen heraus. Mimir hielt Odin davon ab, in den Brunnen zu blicken. Der Jote strich mit einer Hand über seinen langen Bart, die andere legte er an das enorme Horn an seiner Hüfte auf. „Ich bin keine Norne, mein Freund. Ich vermag es nicht zu sagen, welche Entscheidung den Asen besser kommt. In der Tat: Die Entscheidung mag schon längst gefallen sein. Nur weil wir nicht hören wie das Wasser platscht, heißt nicht, dass der Eimer nicht bereits hinuntergeworfen wurde. Es bedeutet lediglich, dass der Brunnen tief ist, dass es dauert, bevor wir die Folgen meines hinunterschubsen des Eimers erkennen können.“

      „Oder der Brunnen ist leer“, entgegnete Odin.

      „Was würdest du für die Wahrheit opfern?“ grinste Mimir hinab auf den Gott—der Jote war ein Kopf größer als der Ase.

      Odin zögerte und gewichtete seine Antwort überlegt: