Geschichten des Windes. Claudia Mathis

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Название Geschichten des Windes
Автор произведения Claudia Mathis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753197715



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Boote und ruderten mit letzten Kräften ohne Hindernisse nach Stonehaven.

      Und somit fiel im Mai 1652 nach achtmonatiger Belagerung die letzte Festung Schottlands an die Engländer. Wir erfuhren dann, dass Cromwell Lordprotektor geworden war, und Schottland stand ab diesem Tag unter englischer Militärbesetzung.“

      „Heißt das, sie haben ihre eigenen Leute umgebracht?“, fragte Sean verständnislos und zutiefst bestürzt.

      „Ja. Sie wollten nicht, dass sie den Engländern in die Hände fallen.“

      „Das ist grauenhaft.“

      „Ich weiß.“

      Die beiden schwiegen eine Weile.

      Dann fragte Sean:

      „Was passierte dann mit Dunnottar Castle?“

      „Englische Soldaten waren ab dann dort stationiert und wir dachten, dass unsere Burg für immer für die Familie McCunham verloren sein würde.“

      Sean nickte traurig. Plötzlich klopfte es an der Tür und Kendra sagte:

      „Herein!“

      Die Tür öffnete sich und Kendras Zofe kam ins Zimmer.

      „Was ist, Senga?“, fragte Kendra matt.

      Senga machte einen Knicks. „Der junge Laird wird zum Abendessen erwartet, Mylady.“

      Kendra nickte und bedeutete ihr, dass sie sich entfernen dürfe. Zu Sean sagte sie: „Gut, mein Junge. Wir sehen uns ein andermal. Bis bald.“ Sie winkte ihn zu sich und küsste ihn auf die Wange. Sean umarmte seine Großmutter benommen.

      „Ich komme bald wieder, liebe Großmutter. Ich wünsche Euch einen guten Abend.“

      Kendra nickte und rutschte erschöpft wieder tiefer in ihre Decken.

      Sechs

      - 1690 -

      Sean hatte in der nächsten Nacht nicht gut schlafen können. Er wurde in wilden Träumen von bösen englischen Soldaten geplagt. Unruhig wälzte er sich dabei hin und her. Sein Urgroßvater erstach gerade seine Urgroßmutter, als Sean schweißgebadet aufwachte.

      Benommen blickte er sich um und erkannte, dass alles in Ordnung war. Dann fiel ihm Jaimie wieder ein und er zog sich rasch an. Sean schlang schnell sein Frühstück hinunter, was seine Eltern ausnahmsweise sogar billigten. Sie hatten von dem Heimkehrer gehört, das jüngste Ereignis im Haus des Stallmeisters war allgemeines Burggespräch. Seans Eltern verstanden seine Neugier und ließen ihn ziehen.

      Als Sean aus dem Palais trat, wartete Arthur bereits auf ihn.

      „He Sean, tut mir leid, dass ich mich gestern nicht von dir verabschiedet habe. Es war alles etwas durcheinander. Dafür erzähle ich dir jetzt alles ganz genau.“ Arthur lächelte entwaffnend.

      „Komm, wir gehen zum Stall“, sagte Sean versöhnlich.

      Lachend rannten sie zu Vika und den anderen Pferden. Im Stroh machten es sich die Freunde bequem und Arthur begann zu erzählen.

      „Also, Jaimie hat sich vor vier Jahren nachts nach Stonehaven durchgeschlagen und einer Gruppe fahrender Musiker angeschlossen. Sie nahmen ihn mit, weil er so gut singen kann. Die Gruppe ist dann mit ihrem Wagen quer durchs Land gezogen und hat auf Märkten und Castles Musik gemacht.“

      „Wieso ist er überhaupt gegangen? Und das, ohne sich zu verabschieden?“, wollte Sean wissen.

      „Er hatte einfach genug von seinem eintönigen Leben. Jaimie wollte Abenteuer erleben und wenn er sich verabschiedet hätte, wäre er sicher nicht gegangen, sagt er. Mein Bruder hatte die ganzen Jahre über ein schlechtes Gewissen, besonders unserer Mutter gegenüber. Aber er musste weg. So sind jedenfalls seine Worte.“

      „Aber war das nicht gefährlich? So ganz allein sich fremden Leuten anzuvertrauen? Sie hätten ihn ausrauben oder sogar töten können!“

      „Jaimie war fünfzehn und dachte, er wäre unbesiegbar, hat er mir erzählt. Und zum Glück sind die schlimmen Sachen, die du erwähnt hast, nicht eingetreten. Er hat zahlreiche Leute kennengelernt und für viele adlige Damen gesungen. Jaimie lernte in den Jahren sogar Dudelsack spielen.“

      „Jaimie kann Dudelsack spielen? Das ist doch sehr schwer, habe ich gehört“, hatte Sean einzuwenden.

      „Ja, er kann es recht gut. Wenn du ihn fragst, zeigt er dir seinen und erklärt dir, wie er funktioniert. Jaimie hat lange für einen eigenen Dudelsack gespart und ist sehr stolz auf ihn. Mein Bruder ist sehr musikalisch. Er hat uns gestern Abend noch etwas vorgespielt“, sagte Arthur stolz.

      Sean war sehr überrascht. Schon seit er sich erinnern konnte, hatte er Dudelsackmusik geliebt und lauschte entzückt, wenn ein Piper14 auf das Castle kam. Er nahm sich fest vor, Jaimie danach zu fragen.

      „Jaimie muss doch in den Jahren eine Menge erlebt haben!“, dachte Sean laut vor sich hin.

      „Ja! Er erzählte mir zum Beispiel, dass sie eines Nachts überfallen wurden. Aber das hat er nur mir und Rory verraten, die anderen sollen so etwas nicht erfahren“, sagte Arthur verschwörerisch.

      „Wie ist denn das passiert?“, fragte Sean neugierig.

      „Jaimie und seine Truppe hatten am Rand eines Waldes am Fluss gelagert und ausgerechnet bei seiner Wache hörte er es in der Ferne im Wald knacken. Es konnte kein Tier sein, dafür waren die Geräusche zu weitläufig. Also weckte Jaimie leise die anderen und sie haben sich in ihrem Wagen verbarrikadiert, um zu schauen, was da näherkam. Das Pferd blieb nachts immer locker eingespannt, damit es schnell parat sein konnte. Acht Leute kamen aus dem Wald gesprungen und sahen ziemlich gefährlich aus. Sie waren zerlumpt und abgemagert und scheinbar zu allem bereit. Jaimie und seine Freunde sind schnell losgefahren, doch einer ist von hinten auf ihren Wagen gesprungen.“

      „Oje, was haben sie da gemacht?“

      „Es gab einen Kampf, während sie schon gefahren sind, doch sie konnten den Halunken zum Glück aus dem Wagen werfen und davonfahren. Von da an waren die Musiker noch mehr auf der Hut.“

      „Na Gott sei Dank! Ich habe von solchen Banden gelesen. Mein Vater hat mir einmal erzählt, dass diese broken men bei der Landverteilung leer ausgegangen waren oder wegen Schulden von den Farmen vertrieben wurden. Sie müssen sich Banden von Gesetzlosen anschließen, damit sie durch Raub und Entführung ihren Lebensunterhalt verdienen. Banditi-Groups nennt man sie“, belehrte Sean seinen Freund.

      „Aha.“ Arthur nickte kurz. Er mochte es überhaupt nicht, wenn sich Sean als Oberlehrer präsentierte.

      „Will Jaimie jetzt hierbleiben?“, fragte Sean.

      „Er weiß es noch nicht“, entgegnete Arthur.

      „Ich bin jedenfalls schon gespannt, wie es mit Jaimie weitergeht. Was hat er noch so erlebt?“

      Arthur erzählte eine Weile von Jaimies Erlebnissen, dann erhob sich Sean, da es langsam Mittag wurde. Er klopfte sich das Stroh von der Kleidung und verabschiedete sich von Vika. Arthur stand ebenfalls auf und begleitete ihn zurück.

      ***

      Vier Monate später war Fiona gerade mit dem Aufräumen des Geschirrs ihrer kleinen Geburtstagsfeier fertig. Ich bin jetzt 38 Jahre alt, dachte sie bei sich. Wie immer hatten ihr ihre Eltern an ihrem Geburtstag am meisten gefehlt. Obwohl sie nie besonders liebevoll ihr gegenüber waren, hatte sie sie doch lieb und vermisste sie ab und zu. Fiona fragte sich immer wieder, warum ihre Eltern sie nicht besuchten, und traute sich selbst nicht, zu ihrem Elternhaus zu fahren.

      Fiona erinnerte sich seufzend an ihre Kindheit. Sie wuchs auf einem kleinen Hof etwas außerhalb von Stonehaven auf und das Leben der Familie Bothain gestaltete sich sehr hart und beschwerlich. In der Gegend gab es nur wenige Bauern, weil nur ein geringer Teil des Bodens halbwegs fruchtbar war. Ihr Vater Russel war einer von ihnen. Die dünne Schicht Muttererde auf dem dunklen Schieferstein war nur schwer zu bewirtschaften.