Geschichten des Windes. Claudia Mathis

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Название Geschichten des Windes
Автор произведения Claudia Mathis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753197715



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und versuchten, die Flammen vor dem hartnäckigen Wind zu schützen. Bist du diesen Pfad schon einmal bei Nacht hinabgestiegen, mein Junge?“

      „Nein, Großmutter. Aber ich kann mir gut vorstellen, wie schwer das sein muss. Schon bei Tag ist es wichtig, auf jeden einzelnen Schritt zu achten, damit man nicht die Stufen hinabfällt.“

      „Genau. Der Abstieg war sehr mühsam und wir mussten uns gegenseitig helfen. Ich war dankbar darüber, dass wir kein Gepäck hatten.

      Zu unserem Pech machten die Belagerer eine Feuerpause und so mussten wir uns ruhig verhalten, um zu vermeiden, dass uns die Soldaten hörten. Das fiel vor allem den Kindern schwer. Es waren schließlich auch Säuglinge und Kleinkinder dabei, denen man die Situation nicht erklären konnte. Mit meinen beiden Jungen hatte ich zum Glück keine Schwierigkeiten, sie waren wirklich brav und verhielten sich ganz still.

      Nach einer halben Ewigkeit erreichten wir das Meer und konnten endlich in die Höhle neben dem Pfad gehen, wo die Boote auf uns warteten.“

      Kendra räusperte sich und Sean gab ihr ihren Becher. Sie trank gierig ein paar Schlucke und gab ihn dann ihrem Enkelsohn zurück. Sie machte eine Pause und überlegte. Sean wartete ungeduldig.

      „Und was ist dann passiert?“

      „Wir haben uns schnell auf die Boote verteilt. Da die Männer auf der Burg geblieben waren, mussten wir Frauen und die größeren Kinder rudern. Wir bemühten uns, dass auf jedem Boot zwei bis drei halbwegs kräftige Personen vorhanden waren.“

      Sean nickte.

      „Das Folgende entpuppte sich als noch schwieriger als das Hinabsteigen des Pfades. Wir mussten in fast völliger Dunkelheit die knapp zwei Seemeilen13 bis nach Stonehaven rudern, gegen eiskalten Wind und recht hohe Wellen. Am Anfang, in Reichweite der Soldaten, hatten wir ständig Angst, dass sie uns entdeckten. Das erste Stück waren wir zwar noch von den Felsen der Halbinsel verborgen, doch dann ruderten wir ungeschützt weiter. Das Rauschen der Wellen und des Windes übertönte unser Rudergeräusch und die Stimmen der Kinder. Wir kamen recht gut vorwärts, doch dann hörte ich Schreie vom Ufer.“

      „Haben die Soldaten Euch entdeckt?“, fragte Sean aufgeregt.

      „Ja, und mir blieb vor Schreck das Herz stehen. Wir strengten uns noch mehr an, schnell voranzukommen. Doch dann bemerkte ich, dass die Schüsse wieder anfingen, diesmal in unsere Richtung.“

      „Oje! Ist jemand getroffen worden?“

      „Es war eine große Distanz für Musketen, so wurden zum Glück nur ein paar leicht verwundet.“

      „Gott sei Dank! Wie ist es weitergegangen?“

      Sean war so angespannt, dass er mit den Händen rang und auf den Lippen herumkaute.

      „Wir ruderten, was wir konnten und waren bald aus der Schussweite heraus. Die Strecke nach Stonehaven zog sich hin und wir kamen an den Rand unserer Kräfte. Aber wir haben es schließlich geschafft und sind erschöpft und erleichtert im Morgengrauen im Hafen von Stonehaven angekommen.

      Einige Fischer empfingen uns und wir erzählten ihnen unsere Geschichte. Sie halfen uns, die Boote zu vertäuen, redeten uns gut zu und informierten ihre Angehörigen. Wir mussten uns kurz ausruhen, bevor wir uns voneinander verabschieden und uns zu unseren Bekannten aufmachen konnten. Völlig erschöpft und mit mulmigem Gefühl machten wir drei McCunham-Frauen uns mit unseren Kindern auf den Weg zu Iveras Verwandten.“

      „Wie haben sie reagiert auf den unangekündigten Besuch?“

      „Catriona erschrak fürchterlich, als so früh am Morgen drei verängstigte Frauen mit neun Kindern bei ihr erschienen und noch einmal, als wir ihr vom Schicksal der Burgbewohner erzählten. Sie war die Witwe von Iveras Neffen Farlan, dem Sohn ihres Bruders Callum und alleinstehend. Sie wohnte nur mit ihrer ledigen jüngsten Tochter Margarete sowie ein paar Bediensteten zusammen. So bot das große, alte Barclay-Familienhaus genug Platz für uns alle und da die Dame sehr nett war, hieß sie uns nach ihrem ersten Schock herzlich willkommen. Dankbar und erschöpft bezogen wir unsere Zimmer und ruhten uns etwas aus.

      Die nächste Zeit wurde schwer für uns. Anfangs hatten wir noch die Hoffnung, bald etwas von unseren Männern zu hören, doch es kam keine Nachricht. Es traute sich niemand, zur Burg zu reiten und sich die Lage anzuschauen. Zu groß war die Angst vor den englischen Soldaten. Sie hatten begonnen, die umliegenden Orte zu plündern und kamen auch bald nach Stonehaven. Auch ihre Vorräte wurden immer knapper und sie nahmen sich einfach, was sie wollten. Wenn sie kamen, versteckten wir uns in einem Schuppen, der im hauseigenen Wald stand. Wir lebten in ständiger Angst vor den Soldaten, es war kaum auszuhalten. Ein Wunder, dass sie uns nichts Schlimmeres antaten, als uns die Lebensmittel zu rauben. Aber wie konnten wir ohne Lebensmittel überleben? Ohne den Fisch, der zu unserem Hauptnahrungsmittel wurde, hätten wir es sicher nicht geschafft. Auch alle unsere Kinder überlebten, wenn auch nur knapp.

      Ein halbes Jahr verging und meine Hoffnung war dahin, jemals wieder meinen Ehemann oder mein Zuhause wiederzusehen. Auch meine Schwägerinnen Cailin und Sinann hatten den Mut verloren. Wir halfen und stützten uns gegenseitig, so gut es ging. Es war ein trostloses Leben. Das einzig Gute an unserer Situation war, dass Stonehaven am Meer liegt und die Fischer nach wie vor jede Nacht hinausfuhren.

      Eines Morgens auf dem Fischmarkt am Hafen erblickte ich ein paar Boote auf dem Meer. Als sie langsam näherkamen, erschrak ich fürchterlich. Auf diesen Booten quälten sich unsere Männer zum Hafen, am Rande der Erschöpfung. Ich stellte meinen Korb hin, rannte zum Kai, winkte stürmisch und rief den Männern entgegen. Unwillkürlich suchten meine Augen nach deinem Großvater und ich fand ihn zu meiner größten Freude, auch meinen Schwiegervater. Doch ich erkannte sie kaum wieder, so abgehärmt sahen sie aus.

      Ich konnte es kaum erwarten, dass endlich die Boote anlegten, und musste mit Schrecken feststellen, dass die Männer von Nahem noch viel schlimmer aussahen, als von der Ferne. Sie waren völlig ausgehungert, verschmutzt, einige trugen dreckige Verbände an den verschiedensten Körperteilen und alle hatten einen leeren, hoffnungslosen Blick. Sie mussten sich gegenseitig stützen, um aus den Booten zu gelangen. Ich hatte Tränen in den Augen bei diesem elenden Anblick und eilte schnell zu Aidans und Hamishs Boot, um ihnen beim Aussteigen zu helfen. Aidan sagte nichts, nickte aber dankbar. Auch Hamish blieb stumm. Sofort alarmierten wir die anderen Angehörigen, die bald aufgeregt rufend herbeieilten.

      Leider konnten nicht alle Männer flüchten, einige waren gestorben oder zu verletzt, um transportiert zu werden. Zu meiner allergrößten Bestürzung betraf dies auch Aidans beide Brüder.

      So kannst du dir sicher vorstellen, wie schlecht es mir ging, als ich kurze Zeit später nur mit deinem Großvater und deinem Urgroßvater unser derzeitiges Zuhause erreichte. Ich wagte kaum, in die erwartungsvollen Gesichter meiner Schwägerinnen zu blicken, und als ich tieftraurig den Kopf schüttelte, sah ich, wie diese beiden tapferen Frauen zusammenbrachen. So konnte ich mich nur bedingt über die Rückkehr deines Großvaters freuen.

      Später, als er sich etwas erholt und gestärkt hatte, erzählte uns dein Großvater von den letzten acht Monaten. Hamish schlief noch, er war zu erschöpft. Ich kann das Grauen nicht beschreiben und die katastrophalen Zustände, die auf der Burg geherrscht hatten. Ich möchte mir nicht ausmalen, was diese Erfahrung mit den überlebenden Männern tief im Innern angestellt haben musste, als die Vorräte an Munition und Proviant abnahmen, Kameraden verletzt wurden oder starben, die Gebäude immer mehr auseinanderfielen, und dazu wenig Schlaf und der ständige Lärm. Daran muss jeder noch so starke und tapfere Mann zerbrechen. Die nächsten Jahre waren schwer für Aidan und mich, doch er konnte diese schlimmen Erinnerungen irgendwann aus seinem alltäglichen Leben verbannen. Er war ein starker Mann, dein Großvater.“

      Kendra hielt ehrfürchtig inne, in Gedanken ganz bei ihrem Gatten.

      Sean räusperte sich. „Wie konnten die Männer fliehen?“

      „Dein Großvater dachte, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. Aber im März fingen die Soldaten mit dem Dauerbeschuss an und es gab keine Verschnaufpausen mehr. Hamish wurde irgendwann klar, dass sie die Burg nicht länger halten