Название | Der Herzog |
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Автор произведения | Günter Tolar |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737552592 |
Den Bericht hat uns Joseph Moritz noch am selben Abend gegeben.
Schon die nächste Eintragung, sie wird wohl an einem der zwei folgenden Tage geschrieben worden sein - wie so oft, undatiert - schildert uns aber doch einige Gedanken zur Person des Buben.
Habe soeben das Vorige noch einmal gelesen. Also das mit dem Jakob ist wohl wieder so eine Blödheit von mir. So geht’s mir halt oft, daß ich mich schnell in wen verschau’. Der Jakob, ein hübsch’ Gesicht, ein schneller Eindruck, und schon wieder vergessen.
Aus den späteren Eintragungen allerdings geht hervor, dass just dieser Jakob der Mitwisser gewesen sein muss, der das heimliche Ein und Aus des Joseph Moritz beim Herzog zu bewerkstelligen geholfen hat. Es ist jenes Kürzel ***, das Joseph Moritz später geheimnistuend verwendet und das anders nicht zu deuten ist, als mit dem besagten Jakob.
Für jetzt aber hat Joseph Moritz vor, diesen Jakob zu vergessen. Er hat sich wieder in ‚wen verschaut’, schreibt er. Trotz der späteren Fixierung auf den Herzog ‚verschaut' sich Joseph Moritz immer wieder. Man denke nur daran, dass wir jetzt schon zwei kennen gelernt haben, den Schneider Hans und jetzt den Jakob. Und wir werden noch andere kennen lernen.
Nicht so schnell vergessen werd’ ich aber doch den Buben, diese unbegreifliche Majestät. Sechs Jahre alt und macht unsereinem eine Konversation vor, die von einer Gewandtheit zeugt, daß man vor Neid erblassen möcht’. Ist es wirklich die Majestät in so einem Buben? Aber das kann sich doch nicht in einer Generation aufbauen. Schließlich ist der Vater doch irgendwo am Misthaufen aufgewachsen; jedenfalls ist bei ihm von Adel weit und breit nichts. Gut, die Mutter des Buben ist eine Habsburgerin, der Großvater unser Kaiser. Aber was ist es wirklich, was ihn so gewandt macht? Das Habsburgische oder das Napoleonische? Da es unheimlich ist, wird es wohl das Napoleonische sein, das aus dem Buben spricht. Wie er meiner Mutter befohlen hat, und mich für die Einhaltung des Befehles haften läßt, das war, wenn auch im Scherz, von einem gekommen, der Befehle zu geben weiß und diese auch zu formulieren im Stande ist. Der Bub macht mich glatt klein. Da spielen die zehn Jahre, die ich älter bin, keine Rolle. Überhaupt keine Rolle.
Wie kommt das? Denn nicht der Stand ist es, nein, die Person, die dahinter steht. Die drinnen steht. Der Bub muß sich auf keinen Stand berufen, der ist es. Der ist es einfach. Der Bub.
Entweder ist mein Vater ein hervorragender Lehrer oder ein schlechter Vater.
Wieder ist es der Stand, der dem Joseph Moritz zu schaffen macht. Dieses Problem kennen wir schon an ihm. Bemerkenswert ist hier jedoch, dass er Probleme damit hat, einen Stand über sich, der nicht Metternich heißt und der nicht der Kaiser selbst ist, annehmen zu müssen; aber nicht, weil der höhere Stand des anderen ihm das gebietet. Das auch. Sicherlich musste er Napoleon II. auch von Standes wegen akzeptieren. Was ihn aber störte war, dass er ihn annehmen musste, weil die Person, weil der ‚Bub’ ihn dazu gezwungen hat. Das war nicht Stand als verbrieftes und vererbtes Privileg, auf das man sich notfalls berufen kann, sondern Stand als Eigenschaft, als Teil der Persönlichkeit, als Basis der Persönlichkeit an sich. Und das bei einem Buben, der zehn Jahre jünger war als Joseph Moritz.
Findet der Leser hier Spuren? Sicher, Joseph Moritz hat sich mit Seiner Kaiserlichen Hoheit länger beschäftigt als bisher mit einem anderen Menschen.
Joseph Moritz ist ein höchst sensibler junger Mann. Und Seine Kaiserliche Hoheit ist sechs Jahre alt. Spuren mögen hier vielleicht beginnen, weil Napoleon II., der junge Adler, wie er auch genannt wurde, in Joseph Moritz Eindrücke hinterlassen hat, die ihm immer wieder ins Gedächtnis kommen werden, wenn vom ‚jungen Adler’ die Rede sein wird. Joseph Moritz wird in Zukunft etwas empfinden, wenn die Rede auf Napoleons Sohn kommt. Vielleicht beginnen hier wirklich die Spuren?
In der Folge, zumindest in diesem Jahr, begegnen wir allerdings Napoleon II. kaum mehr. Joseph Moritz scheint ein ruhiges Leben zu führen, keine wesentlichen Probleme werden da geschildert. So widmet er sich mit Hingabe dem ihn umgebenden Alltag.
Gestern war ich auf der neu eröffneten Bastei.
Mitte des Jahres waren die Basteien mit Bäumen bepflanzt und zur Promenade freigegeben worden.
„Jetzt ist Wien endgültig keine Festung mehr“, sagte mein Vater. Er ist übrigens sehr ungehalten darüber, daß man zu den Eröffnungsfeierlichkeiten seinen Zögling auch in der Öffentlichkeit gezeigt hat.
„Warum denn eigentlich?“, fragte ich.
Vater antwortete mir, als ob er mit einem Blöden redete: „Weil sein Vater im Jahr 1809 mit dem Umbau begonnen hat.“
„Umbau?“, fragte da Mutter erstaunt, „sprengen hat er die Befestigungsanlagen lassen...“
„Und damit den Grundstein für den endgültigen Abbruch gelegt“, fiel ihr Vater barsch ins Wort.
Vater läßt noch immer über Napoleon nichts kommen. Nicht, weil er ihn so sehr verehrt, sondern weil er der Vater seines Zöglings ist. Dennoch aber schimpfte er: „Geschmacklos, den Buben, nur weil sein Vater die Hand im Spiele hat, immer hervorzuzerren!“
Kein Wort des Kommentars von Joseph Moritz. Die von seinem Vater kritisierte Geschmacklosigkeit vollzieht er nicht nach.
Noch einmal begegnet uns in diesem Jahr der junge Napoleon. Joseph Moritz machte sich seine Notizen zu den Ereignissen des 18. Oktober.
Heute ist der Jahrestag der Schlacht von Leipzig.
Am 18. Oktober 1813 wurde Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig besiegt. An der Schlacht waren auch die Österreicher unter dem Feldmarschall Schwarzenberg beteiligt.
Im großen Saal des Invalidenhauses haben sie zwei mordsmäßige Gemälde von Johann Peter Krafft ausgestellt. Die Bilder zeigen recht deutlich Szenen aus den Schlachten bei Leipzig und Aspern.
Der Kaiser hat vorbeigeschaut Schlag neun am Vormittag. Vater hat dort sein müssen, hat mich darum mitgenommen.
Vater hat dort sein müssen, weil sie dem Napoleon II. auch die Bilder gezeigt haben. Er hat wieder fürchterlich geknurrt, mein Vater, warum sie dem Buben das immer antun. Sein Vater lebt schließlich noch in St. Helena und sie zeigen grausliche Bilder, wo der Vater so recht als Metzger dargestellt ist. Und das zeigen sie dem Buben.
Ich habe weniger die Bilder angeschaut, als das Gesicht des Buben, wie er sich die Bilder angeschaut hat. Ich hab’ leider nicht können hören, was sie ihm erklärt haben, sie haben es ihm ganz nahe am Ohr erklärt. Ich habe nur gesehen, daß der Bub recht blaß war und mit großen Augen immer gerade dorthin geschaut hat, wo sein Vater abgebildet war. Das hab’ ich sehen können, wenn ich im Geiste einen Strich von seinem Blick auf die Bilder gezogen habe.
Da hat mein Vater schon recht, er ist arm, der Bub. Mitten in den Erzherzögen drinnen, die sich furchtbar aufgeputzt hervortun wollten. Der Kaiser hat dann den Buben an der Hand genommen, ihm auch was gesagt, der Bub hat genickt, zum Kaiser aufgeschaut, als wollte er danke sagen; vielleicht hat er ihm auch gedankt. Sie sind nämlich gleich darauf gegangen.
Wär’ ich an des Buben Stelle gewesen, ich hätt’ wahrscheinlich geweint. Aber der Bub hat mit großen Augen geschaut; ich habe den Eindruck gehabt, er hat fest geatmet und ein paar mal Tränen aus seinen Augen weggeblinzelt. .
Nein, ich möcht der Bub nicht sein; mit all seiner Kaiserlichen Hoheit und dem ganzen Brimborium darum herum. Ich möcht’ er nicht sein!
Die ersten Zeichen von Anteilnahme. Ansonsten aber ist auch diese Beschreibung kaum den historisch so gerne zitierten Spuren zuzuordnen, da es einfach eine Regung des Mitleides mit einem Kind war, dessen Mutter fern ist, dessen Vater gefangen ist, als wäre er der Teufel selber,