Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer

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Название Marionette des Teufels
Автор произведения Dagmar Isabell Schmidbauer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737561884



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zögerte, verborgen konnte nur eines heißen.

      „Ihr kriegt ein Foto, okay?“, schlug der Professor auf ihr ausdauerndes Schweigen hin vor.

      „Ja, danke. Sonst noch was?“

      „Wussten Sie“, der Professor sah von Franziska zu Hannes, „dass sich bei den meisten Tötungsdelikten in Deutschland Folgen stumpfer Gewalt nachweisen lassen?“

      „Nein.“

      „Doch. Vermutlich ist es am einfachsten, aus Wut kräftig zuzuschlagen. Mit der Faust, mit einer Latte oder einem Werkzeug, was eben gerade greifbar ist.“

      ***

      „Hier ist Bruno.“

      „Ach, Bruno, Sie!“

      „Störe ich?“

      „Nein, nein. Aber ich habe nicht viel Zeit.“

      „Gibt’s was Neues?“

      „Es hat eine Tote gegeben.“

      „Traf es die Richtige?“

      „Hören Sie, über so etwas macht man keine Scherze.“

      „Sie haben Angst.“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung und sein Ton war verächtlich. „Das wäre dann doch genau der richtige Moment, um alles aufzudecken, oder?“ „Ich werde mich darum kümmern und ich werde sehr gewissenhaft vorgehen. Aber dafür brauche ich Zeit und noch mehr Beweise. So etwas muss Hand und Fuß haben, sonst wird das nichts. Wir wollen ja auch überzeugen.“

      „Und wie stellen Sie sich das vor, haben Sie schon einen Plan?“ Der Mann schien sich ein wenig beruhigt zu haben, seine Stimme klang jetzt weniger aggressiv.

      „Das überlassen Sie mal schön mir. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es auf meine Art mache.“

      „Gut. Ich warte. Aber hören Sie, vielleicht wird es ja nicht bei einem Toten bleiben.“ Mit dieser Feststellung beendete der Anrufer das Gespräch. Er hatte seine Nummer unterdrückt und war damit noch nicht einmal auf der Anruferliste registriert. Aber Bruno war ohnehin nicht der, für den er sich ausgab und somit war auch das egal.

      ***

      „Was war das nur für ein Mann, dem sie da so arglos ihre Wohnungstür geöffnet hat?“, fragte Franziska, nachdem auch Hannes im Dienstwagen Platz genommen hatte. Ohne auf eine Antwort zu warten, holte sie einen Müsliriegel und ihr grünes Notizbuch heraus. Sie riss hastig das Alupapier von ihrem Snack und biss hungrig hinein. Während sie kaute, schrieb sie einige Bemerkungen auf eine freie Seite ihres Notizbuchs.

      Hannes beobachtete sie, zuckte mit den Schultern, wusste einfach nicht, worauf sie hinaus wollte, bis Franziska endlich fortfuhr. „Er war größer als sie und so stark, dass er sie mit einem Schlag niederstrecken und anschließend ins Schlafzimmer tragen konnte. Er neigt zu Wutausbrüchen oder lässt sich zumindest leicht reizen.“ Die junge Kommissarin nickte vor sich hin. „Und er hatte Erfahrung im Beseitigen von Spuren.“ Auf einmal sah sie Hannes direkt an. „Oder kannst du dir vorstellen, dass jemand mit Handschuhen zu einer Frau wie Sophia Weberknecht geht? Ich meine, das wäre ihr doch sicher komisch vorgekommen, oder? Hätte sie ihm dann die Tür geöffnet?“

      „Du meinst, sie hatte Umgang mit Kriminellen? Aber das passt doch gar nicht zu ihr.“

      „Nicht zu dem, was die Nachbarinnen gesagt haben, aber wer weiß, was die wirklich über sie wissen.“ Franziska schob sich den restlichen Riegel in den Mund und kaute in aller Ruhe. „Ich bin gespannt, wie es Obermüller heute mit Paula Nowak ergangen ist.“

      „Wegen der Homosexualität?“

      „Nein, wegen des Bildes. Wenn es was taugt, kannst du es Agnes Neumüller zeigen und vielleicht erkennt sie den nächtlichen Besucher dann ja doch wieder, hm?“

      „Na gut, wollen wir dann erst ins Büro fahren oder …“

      „Wir fahren ins Fürstbischöfliche Opernhaus“, entschied Franziska und freute sich nicht nur darüber, von dem unwirtlichen Ort der Rechtsmedizin wegzukommen, sondern auch, das Theater endlich einmal von innen zu sehen. „Sänger sollen ja schließlich auch zu Wutausbrüchen neigen.“

      „Oh, Hannes, bitte, lass doch die Klischees!“, mahnte Franziska, legte den ersten Gang ein und fuhr los.

      ***

      Das Haus der Familie Weberknecht stammte aus den 50er-Jahren, hatte zur Straße hin ein großes Panoramafenster, in dem üppige Grünpflanzenwuchsen, war ansonsten aber eher schlicht. Brauser hätte sich mehr erwartet. Etliche Steinstufen führten hinauf zur dunkelgebeizten Eingangstür vor der zwei Buchsbäumchen in großen Tontöpfen standen. Die um den Stamm gebundenen schwarzen Bänder flatterten verspielt im kühlen Herbstwind. Ein Messingschild wies auf den Hausherrn hin: Karl Weberknecht. Nachdem Brauser auf den Knopf unterhalb des Schildes gedrückt hatte und eine schmetternde Fanfare erklang, öffnete ihm das Hausmädchen, das eigentlich eher eine Hausoma war, wie der Kommissar ein wenig amüsiert feststellte.

      Der Besuch von nahen Angehörigen eines Opfers war nie leicht und es stellte sich, auch nach so vielen Dienstjahren, einfach keine Routine ein. Im Gegenteil, das Leid schien sich mit jedem Mal noch zu addieren. Am schlimmsten war es, wenn Kinder vor ihren Eltern starben. Trotzdem sah es der Kommissar stets als seine Pflicht, aber auch als eine Möglichkeit an, etwas Näheres über das Opfer zu erfahren. Eine Hilfestellung für die Bewältigung des Schmerzes konnte er nicht anbieten. Schon gar nicht bei den Weberknechts.

      Als Brauser gleich darauf der Hausherrin in der Diele gegenübertrat, hätte der Kommissar sie fast nicht wiedererkannt. Zu lange schien es her, seit die Fotos, die er in Sophias Wohnung gesehen hatte, geschossen worden waren. Frau Weberknecht trug eine schlichte graue Flanellhose und einen auberginefarbenen Rollkragenpulli über dem eine lange Perlenkette hing.

      Brauser wusste, dass ein schrecklicher Verlust plötzlich altern lassen konnte: Haare wurden auf einmal grau, eben noch strahlende Gesichter fielen in sich zusammen und erblühten nie mehr zu ihrem vorherigen Leben. Doch Reinhilde und Karl Weberknecht, der auch zur Begrüßung auf dem Sofa sitzen blieb, waren bereits alt und gebrechlich, als sie vom tragischen Ende ihrer Tochter erfahren mussten. Während die Mutter mit der einen Hand nach einem weißen, sorgfältig gebügelten Taschentuch griff und vorsichtig hineinschnäuzte, suchte die andere zögerlich die Hand ihres Mannes und seinen Trost. Doch ihr Mann blieb starr und stumm, unfähig sich zu rühren, krampfhaft das Asthmaspray umfassend und verschlossen für den Rest der Welt. Nur das Pfeifen seiner Lungen zeigte, dass er noch lebte. Tief berührt sah sich der Brauser im Wohnzimmer um.

      An den Wänden hingen große gerahmte Bühnenplakate: Sophia als schöne Blonde, die Männer reihenweise verführende Lulu im Goldlamékleid, mit raffiniert aufgesteckten Haaren. Als Lucia di Lammermoor im weißen Unschuldsgewand mit umherirrenden Blick, dem Wahnsinn bereits verfallen. Und als ausgestoßene, schwindsüchtige Violetta aus La Traviata, bezaubernd und doch nur vom Gevatter Tod zu erwählen. Waren das auch die Rollen in ihrem Leben? Verführen, verzweifeln, sterben? Und war das den Eltern bewusst? Sicher waren sie sehr stolz auf die schöne Tochter, dachte Brauser, der ja selbst nie Kinder hatte und sich somit auch niemals solche Bilder ins Wohnzimmer hängen konnte.

      Auf einmal stand Reinhilde Weberknecht neben ihm, folgte seinem Blick und versuchte, ihm das Wesen ihrer Tochter zu erklären.

      „Die Lulu, das war ihre Lieblingsrolle, die Urgestalt des Weibes.“ Sie nickte, wobei ihre Augen blitzten und für einen kurzen Moment konnte Brauser ihre einstige Schönheit sehen, bevor sie wieder hinter dem Schleier von Alter, Leid und Verzweiflung verschwand.

      „Ich glaube, diese Rolle der Verführerin hat sie so sehr gereizt, weil sie im wirklichen Leben viel zu schüchtern dazu war.“

      Fast unbemerkt tupfte sich Reinhilde eine Träne aus dem Augenwinkel und stand dann still und sehr aufrecht wie ein Gardesoldat, der gelernt hatte, sich Gemütsregungen nicht anmerken zu lassen. Nur der Blick haftete noch immer ein wenig träumerisch auf den Bildern ihrer Tochter.

      „Auf