Название | DER WIDERSACHER |
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Автор произведения | Eberhard Weidner |
Жанр | Языкознание |
Серия | Anja Spangenberg |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750214880 |
Kohler beschloss, den merkwürdigen Anruf so schnell wie möglich wieder zu vergessen, was ihm in der Regel leichtfiel, und überlegte stattdessen konzentriert, was er eigentlich vorgehabt hatte, bevor das Telefon ihn dabei gestört hatte. Bei einem erneuten Blick auf sein eindrucksvolles Spiegelbild fiel es ihm wieder ein, denn er trug noch immer nicht mehr als ein Badetuch um die Hüften.
Er eilte daher ins Schlafzimmer, riss das Handtuch von seinem Körper und ließ es einfach zu Boden fallen, wie er es immer tat. Die Putzfrau, die zweimal in der Woche kam, würde sich schon darum kümmern. Dann nahm er seine Armbanduhr, eine Rolex Oyster Perpetual 34, und legte sie an. Es war zwar ein günstigeres Modell, das ihn, da er es unter der Hand erworben hatte, nur 2.000 Euro gekostet hatte, aber immerhin war es eine echte Rolex und machte etwas her. Als er einen Blick auf das schwarze Ziffernblatt warf, sah er, dass er noch genug Zeit hatte. Er war an diesem Abend mit zwei seiner Kollegen verabredet. Sie wollten zusammen in einen Club gehen. Und da er am nächsten Tag nicht arbeiten musste, würde es vermutlich spät werden.
Vor der verspiegelten Front des riesigen Kleiderschranks zog er sich einen knappen weißen Slip und weiße Socken an, die sich deutlich von seiner gebräunten Haut abhoben. Er nahm verschiedene Posen ein, ließ die Muskeln spielen und betrachtete sich dabei im Spiegel. Anschließend schlüpfte er in eine hellgraue Leinenhose, ein naturweißes Hemd, das wie angegossen passte und daher seine ausgeprägte Brust- und Schultermuskulatur besonders hervorhob, und schließlich ein hellgraues Leinensakko. Die Sachen hatte er erst vor wenigen Tagen gekauft. Als er sich anschließend im Spiegel betrachtete, kehrten sowohl seine gute Laune als auch sein breites Grinsen zurück, und der merkwürdige Telefonanruf war längst vergessen.
»Wow, siehst du heute Abend aber wieder mal gut aus!«, sagte er zu seinem Spiegelbild und zwinkerte ihm zu. Als er das Schlafzimmer verließ, sang er erneut ein paar der wenigen Zeilen des Liedes I’m Too Sexy von Right Said Fred, die er auswendig kannte: »I’m too sexy for my shirt, too sexy for my …«
Doch er verstummte wie abgeschnitten und blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen, als er im erleuchteten Flur angekommen war und plötzlich eine Gestalt im dunklen Wohnzimmer stehen sah.
Der Eindringling wandte ihm den Rücken zu und sah aus dem Fenster auf die Straße, als gäbe es dort etwas besonders Interessantes zu sehen. Entweder hatte der Mann noch nicht bemerkt, dass Kohler aus dem Schlafzimmer gekommen war, was eher unwahrscheinlich war, nachdem dessen Gesang soeben abrupt geendet hatte, oder es kümmerte ihn überhaupt nicht.
Sobald Kohler verstummt war, war in der Wohnung Stille eingekehrt. Außerdem bewegte sich keiner der beiden Männer, als spielten sie ein kindisches Spiel, bei dem der Erste, der sich rührte, verlor. Kohler hatte daher Zeit, den Mann, dem es gelungen war, in seine Wohnung einzudringen, in aller Ruhe zu mustern. Der Kerl war einen Kopf kleiner als er, aber von stämmiger, gedrungener Gestalt und machte daher einen kräftigen Eindruck, auch wenn er natürlich längst nicht so muskulös wie Kohler war. Das lange dunkelbraune Haar hatte er zu einem Zopf geflochten, der so schnurgerade an seinem Rücken herunterhing, als wäre er mithilfe einer Wasserwaage ausgerichtet worden. Er trug eine schwarze Übergangsjacke, eine blaue Jeanshose, robuste schwarze Stiefel und schwarze Handschuhe aus dünnem Leder.
Es dauerte nicht lange, bis Kohler sich einen ersten Eindruck von dem Eindringling verschafft und sich zudem von seinem Schrecken erholt hatte. Was er vor sich sah, machte keinen besonderen Eindruck auf ihn. Er war nicht nur größer, sondern auch viel muskulöser als der Kerl und würde ihm zuerst die Fresse polieren und anschließend den Boden mit ihm wischen, so wie er es ihm am Telefon versprochen hatte. Denn für Kohler bestand nicht der geringste Zweifel, dass er den Mann mit der tiefen Stimme vor sich hatte, der sich als Tod bezeichnet und gedroht hatte, er würde vorbeikommen, um ihn zu holen. Also hatte er tatsächlich den Mut gefunden, seine Drohung wahrzumachen, auch wenn ihm das schlecht bekommen würde. Kohler bedauerte lediglich, dass sein neuer Anzug bei der bevorstehenden Auseinandersetzung in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Aber eventuell war es ja gar nicht nötig, dass er handgreiflich wurde. Vielleicht sah der Kerl ein, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte, sobald er sich umdrehte und einen Blick auf Kohler warf, schließlich hatte er bislang noch nicht gesehen, wen er vor sich hatte.
»Wie sind Sie hier hereingekommen?«, stellte Kohler die erstbeste Frage, die ihm in den Sinn kam, und brach damit das Schweigen. Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten und setzte einen bedrohlich wirkenden Gesichtsausdruck auf, den er unzählige Male vor dem Spiegel eingeübt und dann als Personenschützer perfektioniert hatte.
Der Mann reagierte allerdings nicht sofort auf Kohlers Worte, beinahe so, als hätte er ihn gar nicht gehört. Kohler öffnete bereits den Mund, um seine Frage zu wiederholen, da seufzte der andere vernehmlich und wandte sich um.
Im Licht, das aus dem Flur auf ihn fiel, sah Kohler, dass der Eindringling sowohl einen Schnauz- als auch einen Kinnbart trug. Außerdem besaß er eine lange, spitze Nase und eng beieinanderstehende Augen. Er sah gar nicht wie der Verrückte aus, für den Kohler ihn hielt, sondern im Grunde völlig normal. Beinahe wie ein Künstler, dachte Kohler. Er konnte ihn sich zwar nicht unbedingt mit Pinsel und Palette vor einer Leinwand vorstellen, dafür aber mit Hammer und Meißel vor einem Marmorblock oder mit einer Kettensäge vor einem Baumstamm, um gekonnt eine Skulptur aus dem Material herauszuarbeiten.
»Willst du wirklich, dass wir die kurze Zeit, die uns miteinander verbleibt, mit solchen Nebensächlichkeiten vertrödeln, Angel?«, fragte der Mann mit derselben tiefen Stimme, die Kohler bereits von ihrem Telefonat kannte. Er beseitigte damit nicht nur jeglichen Zweifel darüber, ob er der Anrufer war, sondern riss Kohler auch aus seinen Überlegungen. Dann schnaubte er und schüttelte den Kopf, um sein Unverständnis zum Ausdruck zu bringen.
Kohler gefiel es, wenn seine Freunde – der Kerl hatte am Telefon recht gehabt, er hatte tatsächlich nur wenige – ihn Angel nannten. Deshalb hatte er ihnen diesen Namen ja auch vorgeschlagen. Doch aus dem Mund dieses Mannes, der den Spitznamen ständig mit einem höhnischen Unterton aussprach, hörte es sich lächerlich an.
»Mein Name ist Ralf Kohler«, sagte er daher. »Ich empfehle Ihnen also, mich auch so anzusprechen.« Wie er es in der Ausbildung gelernt hatte, blieb er weiterhin höflich und sachlich, auch wenn es ihm schwerfiel. »Und jetzt sagen Sie mir gefälligst, wie Sie in meine Wohnung gekommen sind.«
Der Fremde stieß deutlich hörbar die Luft aus und machte einen gelangweilten Gesichtsausdruck. »Na schön, wenn du es unbedingt wissen und deine restliche Lebenszeit mit diesem Unsinn verplempern willst, dann sage ich es dir eben: Ich habe mir erlaubt, einen Nachschlüssel sowohl für deine Wohnung als auch für die Haustür unten anzufertigen.« Er griff mit der rechten Hand in die Jackentasche und holte einen Ring heraus, an dem nur zwei Schlüssel hingen.
»Was?«, fragte Kohler entgeistert. Er fiel aus allen Wolken und konnte nicht glauben, dass der Kerl tatsächlich einen Schlüssel für seine Wohnung besaß. »Aber wieso haben Sie das gemacht?«
»Was glaubst du denn, Einstein?« Er klimperte mit den Schlüsseln, bevor er sie wieder einsteckte. »Natürlich, damit ich deine Wohnung betreten kann, um dich zu holen, so wie ich es dir bei unserem kurzen Telefonat versprochen habe. Erinnerst du dich? Du hättest mir besser glauben und abhauen oder die Polizei rufen sollen, solange du noch die Gelegenheit dazu hattest. Aber dafür ist es jetzt zu spät!«
»Moment mal«, sagte Kohler, hob beide Hände und schüttelte verwirrt den Kopf. »Wieso sind Sie nicht einfach eingebrochen?«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Das ist nun mal nicht mein Stil. Außerdem hättest du es dann unweigerlich