einzige Zeit, die Max am Tag frei hatte immer so schnell, dass sie schon wieder abgelaufen war. So musste sie wieder einmal zurück in die Burg schleichen, in der Hoffnung, dass auch diesmal niemand sie bemerken würde. Lustlos zwang sich Max endlich den Baum hinunter und legte wieder den Umhang über ihre Schultern. Widerwillig stand sie noch einen Moment lang neben dem Stamm und starrte auf das trübe Wasser des Tümpels, während auch Seraphina aus dem Versteck kletterte. „Dann sehen wir uns morgen wieder?“, fragte Seraphina, wie beinahe an jedem Tag, als sie das letzte kleine Stück hinuntergesprungen war. „Gleicher Ort, gleiche Zeit!“, entgegnete Max und umarmte ihre Freundin nochmal zum Abschied. Seufzend wandte sie sich ab und lief zu dem kleinen Waldpfad, den sie tagtäglich entlangeilte. Nun musste sie sich wieder beeilen zurück zur Burg zu kommen. Schließlich musste sie zum Training, für das sie allerdings schon wieder recht spät dran war. Täglich hetzte sie sich ab und versuchte jede Sekunde ihrer freien Zeit zu nutzen und diese außerhalb der Burg zu verbringen, immer in der Angst erwischt zu werden und eine dicke Strafe zu erhalten. Wie sehr sie doch die Zeit vermisste, als sie noch mehr frei gehabt hatte und den halben Tag wegbleiben konnte, ohne dass jemand sie vermisste. Es war noch gar nicht lange her. Erst zwei Jahre, um genau zu sein. Doch diese Zeit war vergangen und würde wohl nie wieder zurückkehren. Früher hatte sie sich auch manchmal mit Seraphina in die Welt der Menschen geschlichen, wo sie sich die vielen Dinge ansahen, die es bei ihnen nicht gab. Zum Beispiel staunte Max jedes Mal, wenn sie ein Auto sah oder jemand mit einem Handy am Ohr an ihnen vorbeigelaufen war. Das erste Mal hatte sie gedacht, dass die Personen Selbstgespräche führten und hatte sich darüber lustig gemacht, bis sie verstand, was sie damit wirklich taten. Beeindruckend fanden die beiden Mädchen auch die vielen hohen Häuser, in denen zig Familien lebten und sich einander doch nicht kannten. Oder die vielen Läden, in denen man Dinge kaufen konnte, von denen Maxillia gar nicht wusste, wozu sie benötigt wurden. Doch am meisten hatte sie über die Treppen gestaunt, deren Stufen sich bewegten und die Personen empor oder hinunter trugen. So etwas hätte sie sich auch für ihr Zuhause gewünscht! In der Burg hatte sie nämlich tagtäglich so viele Treppen zu laufen, dass sie oft aus der Puste war. Leider konnten sie sich in der Welt der Menschen aber immer nicht lange aufhalten, da Seraphinas Aussehen doch sehr auffällig war, sodass sie recht schnell die Aufmerksamkeit auf sich zog, auch wenn sie sich zuvor versucht hatte zu verkleiden. Aber auch Maxillias spitze Ohren waren es einmal, die sie beinahe in Schwierigkeiten gebracht hatten. Sie hatte es nämlich einmal vergessen, dass ihre Ohren anders aussehen, als die der Menschen und ihre Haare hinter eines gesteckt, so dass ihr spitzes Ohr gut zu sehen war. Glücklicherweise war dies Seraphina aufgefallen, die sie schnell darauf hatte hinweisen können, bevor es ein Mensch gesehen hatte. So blieben sie meistens unentdeckt und konnten zumindest ein paar wenige Dinge besichtigen, die sie ins Staunen versetzt hatten. Mittlerweile lohnten sich die Ausflüge in diese für sie spannende Welt nicht mehr, da es nur noch ein paar wenige Stunden waren, die Maxillia ihrem Alltag entfliehen konnte. Endlich hatte sie wieder einmal aus dem Wald hinausgefunden und eilte nun die Treppen an den Wällen empor. So unauffällig wie möglich, huschte sie durch die Tür, über den Hof, hinein in die Eingangshalle, die wie gewohnt leer war. Nun musste sie nur noch die Gänge entlang in ihre Gemächer. Aber auch dieses Mal gelang es ihr unbemerkt in den kleinen Turm zurückzukehren. Allerdings war nun Eile geboten, da sie rechtzeitig zum Training fertig unten in der Eingangshalle zu sein hatte. Und da sie wieder sehr spät dran war und nur wenige Minuten hatte, um sich fertig zu machen und nach unten zu kommen, musste sie sich besonders beeilen. Schnell zog sie sich also den schwarzen Overall an, der eng an ihrem Körper lag und ihre Beweglichkeit einschränkte. Er war gänzlich aus Leder und sollte sie ein wenig schützen. Wobei er sie vermutlich mehr vor sich selbst schützen musste, als vor den trainingsbedingten Angriffen ihrer Mutter. Ihr rotes Haar band sie noch schnell zu einem hohen Zopf, bevor sie nach unten in die Eingangshalle rannte. Gerade noch so schaffte sie es rechtzeitig zur vereinbarten Zeit zum Treffpunkt, wo Isabella schon ungeduldig wartete. „Du bist wieder ziemlich knapp dran“, schmunzelte Isabella, die die beiden Zauberstäbe fürs Training in den Händen hielt. „Aber pünktlich“, lachte Maxillia und zwinkerte ihrer Mutter zu. „Schon gut“, entgegnete diese und reichte ihrer Tochter einen der beiden Stäbe. Er war fast so lang wie Max groß und aus massivem Holz. Eigentlich erinnerte er mehr an einen langen Wanderstock mit hübscher Verzierung und kunstvoller Spitze. Die meisten dieser Zauberstäbe hatten einen edlen Stein oder eine besondere geschwungene Form, die die Spitze bildeten und waren aus edlen Hölzern gefertigt. Diese beiden waren recht ähnlich und fassten einen blauen und einen weißen Stein. Mit einem Seufzen nahm sie den Stab entgegen und stellte ihn mit dem unteren Ende auf den Boden. Er war recht schwer und sie verhältnismäßig schwach. „Nun, dann wollen wir mal“, lächelte Isabella und wandte sich in Richtung des hinteren Ausgangs, durch den Maxillia vor wenigen Minuten hereingekommen war. Mit schnellem Schritt trat Isabella voran in den schattigen Hof und hielt ihrer Tochter die hölzerne Tür auf. „Danke“, sagte Maxillia und warf einen kurzen Blick rüber zu der versteckten Pforte, um zu prüfen, ob sie die Ranke wieder ausreichend davor drapiert hatte. Doch wie zu erwarten, konnte man sie kaum erahnen, so dass sie beruhigt in Richtung des Trainingsplatzes gehen konnte. Sie folgten dem Verlauf des Hofes nach rechts, an der Burg entlang und an dem Hauptgebäude vorbei. Nun mussten sie noch an den Stallungen und an der Kaserne vorbei, ehe sie den eckigen Platz erreichten, auf dem die Rekruten die meiste Zeit des Tages trainierten. Es schien so, als würden die Rekruten schon auf sie warten, da fast alle von ihnen am Trainingsplatz herumlungerten, obwohl sie eigentlich ihre Pause hatten. Sicher wollten sie sich wieder über Maxillias Versagen lustig machen und dabei zusehen, wie sie sich blamierte. Es war so ziemlich das Interessanteste was der Tag für die jungen Männer und Frauen zu bieten hatte, die, umgeben von den tristen Mauern, tagein tagaus ihre Kampfkunst perfektionierten und darauf hofften endlich als Soldat anerkannt zu werden. Doch ihr strenger Kommandant, war schwierig zu beeindrucken, oder wenigstens zufrieden zu stellen, so dass es wohl bei den meisten noch eine ganze Weile dauern würde, ehe sie ihre Ausbildung abschließen durften. „Können wir nicht woanders trainieren?“, fragte Max, als sie ihren Blick über die vielen Köpfe wandern ließ, die neugierig ihre Hälse reckten. „Nein, wir trainieren wie immer hier“, lachte ihre Mutter, die natürlich auch die Blicke der Rekruten bemerkte. Sie standen in Gruppen eng beieinander und tuschelten schon jetzt kichernd, obwohl Maxillia noch nicht einen Zauber ausgesprochen hatte. „Ach bitte“, flehte Max mit dem Gedanken an die letzte Trainingsstunde, bei dem sie ihre Haare versehentlich selbst in Brand gesetzt hatte. Zum Glück hatte ihre Mutter sie noch schnell mit einem Wasserzauber löschen können. Trotzdem stand sie rauchend und pitschnass vor versammelter Mannschaft mitten auf dem Platz. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken und nie wieder hervorgekommen. „Max. Wo sollen wir denn bitte hin? Die Burg hat nur einen sehr begrenzten Außenbereich. In den Garten können wir nicht, weil dieser weiterhin die Besucher erfreuen soll. Und rein können wir erst recht nicht“, redete Isabella auf ihre Tochter ein, die völlig verstehen konnte, das Maxillia sich so sehr schämte. „Nun gut“, gab Maxillia auf und platzierte sich schüchtern vor den Trainingspuppen. Kurz sah sie sich nochmal um und schaute in die Gesichter einiger derer, die sich platziert hatten, als würden sie eine Vorstellung erwarten und nur darauf hoffen, dass Maxillia sich wieder blamieren würde. „Also. Wir üben heute wieder den Feuerzauber vom letzten Mal. Diesmal wird sicher alles gut gehen. Konzentriere dich, fixiere dein Ziel, also eine der Trainingspuppen, und spreche den Zauber“, sagte Isabella und trat zwei Schritte zurück. Es war beinahe so, als würde sie sich vor einem erneuten Unfall fürchten und schien sich dafür bereit zu machen ihre Tochter ein weiteres Mal zu löschen. Maxillia atmete tief durch, konzentrierte sich so gut sie konnte auf eine der Puppen und sprach den Zauber. Eigentlich sollte, wie es bei ihrer Mutter war, nun ein Schwall aus Feuer von der Spitze des Zauberstabes auf die Trainingspuppe zu rauschen und diese in Flammen setzen. Es geschah aber einfach gar nichts. Da war sie am Vortag definitiv weitergekommen, auch wenn es nicht so geendet hatte, wie es eigentlich hätte enden sollen. „Nun mach doch endlich mal was“, runzelte Isabella die Stirn, nach einer ganzen Weile, die sie erwartungsvoll hinter ihrer Tochter ausgeharrt hatte. Doch was sie nicht wusste, war, dass Max es schon viermal probiert hatte. Das Einzige was bislang allerdings passiert war, war dass der Zauberstab sich nun schön warm anfühlte und als Handwärmer hätte dienen können. „Ich bin dabei“, entgegnete Max genervt und probierte es noch einmal. Doch der Versuch führte lediglich zu einer kleinen Rauchwolke, die sie zu allem Überfluss noch einatmete und einen Hustenanfall