Das Geheimnis von East Lynne. Ellen Wood

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Название Das Geheimnis von East Lynne
Автор произведения Ellen Wood
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754113479



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Earl starb am Freitagmorgen bei Tagesanbruch. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Das geschieht beim Tod eines Adligen regelmäßig, wenn er im guten oder im schlechten Sinn in der Welt wahrgenommen wurde. Bevor der Tag vorüber war, wusste man es auch in London – und das hatte zur Folge, dass am frühen Samstagmorgen ein ganzer Schwarm von Harpyien, wie der Earl sie genannt hätte, eingetroffen war und East Lynne umkreiste. Es waren Gläubiger aller Arten; für kleine und große Summen, von fünf oder zehn Pfund bis hin zu fünf- oder zehntausend. Manche waren höflich, manche ungeduldig, manche laut und grob und wütend; manche kamen, um die Vollstreckung in die Vermögenswerte zu erwirken, und einige – um die Leiche festzunehmen!

      Diese letzte Maßnahme wurde auf schlaue Weise vollzogen. Zwei Männer, beide mit bemerkenswerten Hakennasen, schlichen sich aus der Menge der Johlenden davon, sahen sich listig um und begaben sich zum Seiten- oder Lieferanteneingang. Auf ihr sanftes Betätigen der Glocke erschien ein Küchenmädchen.

      „Ist der Sarg schon gekommen?“, fragten sie.

      „Sarg – nein!“, lautete die Antwort des Mädchens. „Das Gehäuse ist noch nicht da. Mr. Jones hat es erst für neun Uhr versprochen, und jetzt ist es noch nicht acht.“

      „Das wird nicht lange dauern“, erwiderten sie. „Er ist unterwegs. Wir möchten bitte hinauf in das Zimmer seiner Lordschaft gehen und ihn vorbereiten.“

      Das Mädchen rief den Butler. „Zwei Männer von Jones, dem Leichenbestatter, Sir“, verkündete sie. „Demnächst kommt der Sarg, und sie wollen hinaufgehen und ihn vorbereiten.“

      Der Butler führte sie selbst die Treppe hinauf und ließ sie in das Zimmer. „Das reicht“, sagten sie, als er mit ihnen eintreten wollte. „Sie müssen sich nicht die Mühe machen zu warten.“ Nachdem sie die Tür hinter dem ahnungslosen Butler geschlossen hatten, bezogen sie beiderseits des Toten Position wie zwei unheilvolle Klageweiber. Sie hatten eine Verhaftung der Leiche vorgenommen; sie gehörte ihnen, bis ihr Anspruch befriedigt war, deshalb setzten sie sich, um den Toten zu beobachten und zu sichern. Welch angenehme Beschäftigung!

      Vielleicht eine Stunde später kam Lady Isabel aus ihrem Zimmer und öffnete geräuschlos die Tür zur Kammer des Toten. Am Tag zuvor war sie mehrmals dort gewesen – das erste Mal mit der Haushälterin, und danach, als das unsägliche Entsetzen sich ein wenig gelegt hatte, allein. Dennoch war sie an diesem Morgen wiederum nervös und hatte das Bett bereits erreicht, bevor sie es wagte, den Blick vom Teppich zu heben und sich dem Anblick zu stellen. Jetzt fuhr sie zurück, saßen dort doch zwei seltsam aussehende Männer – und attraktive Männer waren es auch nicht.

      Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, es müssten Leute aus der Nachbarschaft sein, die gekommen waren, um eine müßige, unverzeihliche Neugier zu befriedigen. In einem ersten Impuls wollte sie den Butler rufen; im zweiten sprach sie die Männer selbst an.

      „Suchen Sie hier etwas?“, fragte sie leise.

      „Verbindlichen Dank für die Nachfrage, Miss. Alles in Ordnung.“

      Worte und Tonfall erschienen ihr äußerst eigenartig; außerdem waren sie sitzen geblieben, als hätten sie ein Recht, hier zu sein.

      „Warum sind Sie hier?“, wiederholte sie. „Was tun Sie hier?“

      „Naja, Miss, ich habʼ nix dagegen, es Ihnen zu sagen, denn Sie sind ja wohl seine Tochter“ – wobei er mit dem linken Daumen über die Schulter zu dem verstorbenen Earl wies – „und wie man hört, hat er sonst keine nahen Angehörigen. Wir sind verpflichtet, Miss, ʼne unangenehme Aufgabe zu erfüllen und ihn festzunehmen.“

      Die Worte hörten sich für sie wie Griechisch an, was die Männer auch erkannten.

      „Leider is er ʼnen kleinen Geldbetrag schuldig geblieben, Miss – was Sie vielleicht wissen, unsere Auftraggeber wissen es jedenfalls. Als die gehört haben, was passiert is, ham se uns geschickt, damit wir die tote Leiche festnehmen, und das ham wer gemacht.“

      In der erschrockenen Lady Isabel kämpften Verblüffung, Entsetzen und Angst. Den Toten festnehmen? Von einer ähnlichen Übeltat hatte sie noch nie gehört, und sie hatte auch nie an so etwas geglaubt. Festnehmen zu welchem Zweck? Um was zu tun? Um sie zu entstellen? – Zu verkaufen? Mit pochendem Herzen und aschfahlen Lippen wandte sie sich um und verließ das Zimmer. Zufällig kam Mrs. Mason in der Nähe der Treppe vorüber. Isabel lief in ihrem Entsetzen zu ihr, fasste ihre beiden Hände und brach in eine Flut von nervösen Tränen aus.

      „Diese Männer – da drin!“, keuchte sie.

      „Welche Männer, Mylady?“, gab Mrs. Mason überrascht zurück.

      „Ich weiß es nicht; ich weiß es nicht. Ich glaube, sie wollen nicht hierbleiben; sie sagen, sie hätten Papa festgenommen.“

      Nach einer Pause voller fassungslosem Erstaunen wandte sich die Haushälterin auf dem Absatz um und ging in das Zimmer des Earl; sie wollte wissen, ob sie die rätselhaften Worte durchschauen konnte. Isabel lehnte sich gegen das Treppengeländer, zum Teil, um sich zu stützen, zum Teil aber auch, weil sie Angst hatte, sich von ihnen weg zu bewegen; von unten drangen rätselhafte Geräusche an ihre Ohren. Fremde, Eindringlinge waren offensichtlich in der Diele, redeten hektisch und in bitter klagenden Ton. In immer größerem Entsetzen hielt sie die Luft an und hörte zu.

      „Wozu soll es gut sein, dass Sie die junge Dame sehen?“, rief der Butler in tadelndem Ton. „Sie weiß nichts über die Angelegenheiten des Earl; sie hat jetzt schon genug Kummer, auch ohne weitere Sorgen.“

      „Ich werde sie sehen“, erwiderte eine verärgerte Stimme. „Wenn sie so vornehm und edel ist, dass sie nicht herunterkommen und die eine oder andere Frage beantworten kann, werde ich den Weg zu ihr schon finden. Wir sind hier beschämend viele, die beschwindelt worden sind, und jetzt sagt man uns, es gebe niemanden, mit dem wir sprechen können; niemand hier außer der jungen Dame, und die darf nicht gestört werden. Es hat sie nicht gestört, dass sie mitgeholfen hat, unser Geld auszugeben. Wenn sie nicht herkommt und mit uns spricht, hat sie nicht die Ehre und die Gefühle einer Lady. Basta.“

      Lady Isabel unterdrückte ihre widerstrebenden Gefühle, glitt die Treppe ein Stück weiter herunter und rief leise nach dem Butler. „Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte sie. „Ich muss es wissen.“

      „Ach, Mylady, begeben Sie sich nicht unter diese groben Männer! Sie können nichts ausrichten; bitte gehen Sie zurück, bevor sie Ihrer ansichtig werden. Ich habe nach Mr. Carlyle geschickt und erwarte ihn hier jeden Augenblick.“

      „Hat Papa denen allen Geld geschuldet?“, fragte sie und schauderte.

      „Ich fürchte, so ist es, Mylady.“

      Sie ging schnell weiter, kam in der Diele an den wenigen Nachzüglern vorüber und betrat das Esszimmer, wo sich die Hauptmenge versammelt hatte und das Geschrei am lautesten war. Bei ihrem Anblick wurde alle Wut zumindest äußerlich gedämpft. Sie sah so jung, so unschuldig, so kindlich aus in ihrem hübschen Morgenkleid aus pfirsichfarbenem Musselin; das Gesicht, das von den fallenden Locken überschattet war, schien so wenig in der Lage, mit ihnen zu kämpfen oder ihr Anliegen zu verstehen, dass sie Isabel nicht mit Beschwerden überschütteten, sondern in Schweigen verfielen.

      „Ich habe gehört, wie einer von Ihnen gerufen hat, ich solle zu Ihnen kommen“, begann sie. Ihre Aufregung hatte zur Folge, dass die Worte abgehackt herauskamen. „Was wollen Sie von mir?“

      Jetzt sprudelten sie mit ihren Anliegen heraus, wenn auch nicht wütend; sie hörte zu, bis ihr übel wurde. Es waren viele beträchtliche Forderungen; Schuldbriefe und Schuldscheine, überfällige Rechnungen und unbezahlte Rechnungen; hohe, ausstehende Schulden aller Art und relative Kleinigkeiten, Forderungen für Hausverwaltung, Bedienstetenuniformen, Gärtnerlohn, Brot und Fleisch.

      Was sollte Isabel Vane antworten? Welche Entschuldigung konnte sie vorbringen? Welche Hoffnungen oder Versprechungen machen? Verwirrt stand sie da, wandte sich, unfähig zu sprechen, von einem zum anderen, die Augen voller Mitleid und Zerknirschung.

      „Eigentlich, junge Lady“ ergriff einer das Wort, der das Äußere eines