Blaues Feuer. Thomas Hoffmann

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Название Blaues Feuer
Автор произведения Thomas Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748598398



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wachte früh auf und ging in die Küche hinunter, wo er Brot mit Schmalz bekam und auf den Vater wartete. Der Vater sah müde aus, als er hinunterkam. Sie frühstückten Gerstengrütze mit Bier und machten sich zum Tempel auf.

      Im Klosterhof waren nur wenige Menschen. Ein paar Frauen mit abgedeckten Körben gingen zwischen den niedrigen Gebäuden an der oberen Mauer umher. Vor dem Tempelportal standen Reisende in Filzumhängen mit langen Stecken in den Händen. Pilger, vermutete Norbert. Echte Pilger. Die Morgensonne brach durch die Wolken und beschien mehrere Reihen steinerner Gräber zwischen dem Tempelgebäude und der Klostermauer. In die Grabstelen waren kleine Bilder in verwaschenen Blau- und Rottönen eingearbeitet.

      Das massige Tempelgebäude stand wie ein unverrückbarer Fels dem Eingang zum Klosterhof gegenüber. Norbert glaubte, die wuchtigen Mauern müssten von Riesen erbaut worden sein. Hinter dem Tempelportal öffnete sich eine von Pfeilern getragene Halle. Das Deckengewölbe lastete in einer derartigen Höhe auf den Stützpfeilern, dass es Norbert den Atem raubte. Die höchsten Waldbäume, die er kannte, waren kaum so hoch. Diesiges Licht rieselte aus kleinen Fenstern zwischen den Seitenpfeilern in die Halle herab. In fensterlosen, vergitterten Seitengewölben brannten unzählige Kerzen vor dunklen Bildaltären, deren Konturen in den Schatten verschwanden.

      Norberts Herz klopfte heftig. Der Vater sprach mit einem Mönch und zählte ihm mehrere Münzen auf die Hand. Der beleibte Mann in der schwarzen Kutte schaute Norbert nicht an. Er ging Norbert und dem Vater voraus zu einem Seitengewölbe, schloss das Gitter auf und wies Norbert hinein vor den dunklen Altar. Kerzen standen vor einer Kniebank auf dem Boden. Überall an den Wänden zu den Seiten des Altars waren kleine Tafeln angebracht.

      „Dies alles sind die Votivtafeln derer, die von der heiligen Mutter von Altenweil geheilt oder von großem Unglück erlöst worden sind,“ erklärte der Mönch dem Vater. „Bei deinem nächsten Besuch in Altenweil wirst du ebenfalls eine Tafel zum Dank für die wunderbare Heilung deines Sohnes hier anbringen lassen können.“

      „Mögen eure Götter es geben,“ knurrte der Vater.

      Der Mönch legte Norbert seine fleischige Hand auf die Schulter. „Zweifle nicht, mein Sohn, du wirst von deiner Plage erlöst werden.“

      Ich hab keine Angst, dachte Norbert, am ganzen Körper zitternd. Ich lasse mich nicht verzaubern. Auch nicht von eurer heiligen Mutter.

      Der Mönch befahl ihm, sich auf die Bank vor dem Altar zu knien. Dann öffnete er die Altarklappen. Das Bild dahinter war im Schimmer der Kerzen kaum zu erkennen. Aber es stellte keine Mutter dar, dachte Norbert. Es war das Bild eines jungen Mädchens mit verdrehten Augen, die ein Rehkitz im Schoß hielt. Sicher würde der Mönch böse werden, wenn Norbert fragte, was das Bild bedeutete. Er hielt lieber den Mund.

       Vielleicht mag sie das Rehkitz nicht und guckt darum so komisch.

      Der Mönch murmelte ein Gebet. Norbert biss die Zähne zusammen. Es passierte nichts. Kein Wunder geschah. Verstohlen beobachtete Norbert eine Maus, die hinter dem Altar am Boden entlang schnupperte.

      ***

      Vor dem Eingang zum Klosterhof erklärte der Vater: „Ich will ein paar Sachen einkaufen für zu Hause. Geh zum Gasthof und warte auf mich in der Küche bei den Mägden. Mach flott und trödle nicht!“

      Norbert ließ es sich nicht zweimal sagen und lief auf den Marktplatz hinaus.

      Zwischen den Ständen drängte sich eine bunte Menge. Frauen in graubraunen Kleidern und Holzschuhen trugen Körbe in den Händen. Sie diskutierten mit den Marktfrauen. Händler in Schürzen und Handwerker in kurzen Arbeitskutten schrien sich über die Standtische hinweg an. Männer in Stiefeln mit Dolchen oder Schwertern an der Seite, die Norbert für Reisende hielt, betrachteten die Auslagen auf den Tischen. Es gab Stände mit Säcken und Körben voller getrockneter Früchte, an denen Norbert das Wasser im Mund zusammen lief, Tücher und Stoffballen in unglaublicher Menge, glänzende Kupferkessel in jeder Größe und Becher und Teller aus Zinn, die wohl für hohe Adlige ausgestellt wurden, dachte Norbert staunend. An einem Gemüsestand plauderte ein Händler mit zwei Kriegsknechten. Sie hatten ihre Piken gegen die Schultern gelehnt und kauten Rettich. Der Händler warf Norbert einen feindseligen Blick zu.

      „Die Betteljungen solltet ihr aus der Stadt jagen. Wozu bezahlt euch der Markgraf eigentlich?“

      Einer der beiden Knechte zuckte mit den Schultern. „Gib ihnen halt ab und zu was von deinem vergammelten Grünkram ab, dann klauen sie es nicht.“

      Norbert beeilte sich, vom Stand wegzukommen.

      Neugierig lief er zwischen den Ständen umher. Er mied den unteren Teil des Marktes, wo die Krüppel und Bettler an den Hausmauern saßen und um Mitleid warben. In der Hosentasche spielte Norbert mit den zwei Viertelkreuzern, die Leika ihm mitgegeben hatte. Ein Bäcker verkaufte Rosinenbrötchen, zwei Stück für einen Viertelkreuzer. Norbert konnte kaum widerstehen, aber er wollte sicher gehen, dass es nichts gab, was noch leckerer war. Und er wollte noch weiter über den Markt schlendern und die Rosinenbrötchen erst ganz zuletzt kaufen.

      Auf der dem Kloster gegenüberliegenden Marktseite nahm das Gedränge ab. Einige Stände waren leer. An einem Bierausschank war kaum Betrieb. Nur ein paar Alte standen beim Ausschank hinter den leeren Bänken. Ein Mädchen ging zwischen den Ständen umher, sie mochte etwa in Norberts Alter sein. Das blonde Lockenhaar floss ihr um die Schultern. Ihr Kleid war an mehreren Stellen geflickt. Die Füße hatte sie mit Lappen umwickelt. Sie hielt den Marktgängern einen abgedeckten Korb entgegen. Mit einer hellen Glockenstimme pries sie Schmalzkuchen an, drei Stück den Viertelkreuzer. Norbert fand, sie sang es beinahe.

      Er ging zu dem Mädchen. Sie sah ihn kommen und guckte wie Lene, wenn sie ihm einen Nasenstüber geben und mit ihm schimpfen wollte. Er hielt ihr einen Viertelkreuzer entgegen.

      „Drei Schmalzkuchen!“ Norbert musste schlucken. „Bitte.“

      Die Augen des Mädchens wurden groß.

      „Du hast einen Viertelkreuzer für Kuchen?“

      Sie blickte auf seine schmutzigen, nackten Füße, auf seine staubige Reisekleidung.

      „Ja, den hat mir Leika mitgegeben, als wir zu Hause losgegangen sind.“

      Es klang trotzig, obwohl Norbert es nicht wollte. Die Kleine nahm die Münze.

      „Halt die Hände auf!“

      Die fetten Schmalzkuchen waren etwas größer als Hühnereier. Sie hatten eine braune Kruste. Norbert lief das Wasser im Mund zusammen. Das Mädchen schaute ihn nicht noch einmal an. Sie deckte ihren Korb zu und ging weiter.

      „Warte!“

      Sie drehte sich um und guckte böse.

      „Ich schenk dir einen Schmalzkuchen. Damit du auch mal was Leckeres essen kannst!“

      Norbert mochte es, wenn sie diese großen Augen machte.

      „Aber – wieso...“

      Er streckte ihr das Küchlein entgegen.

      „Nimm! Komm, wir setzen uns auf die Bank da drüben.“

      Zögernd nahm sie den Kuchen. Sie gingen zu der leeren Bank abseits des Marktgetriebes. Das Mädchen strich ihren Rock glatt, setzte sich und ließ die Beine baumeln. Sie biss in den Schmalzkuchen. Norbert setzte sich neben sie. Aus irgendeinem Grund pochte ihm das Herz, aber es war ein angenehmes Pochen.

      „Die hab ich selbst gebacken,“ sagte sie mit vollem Mund.

      „Lecker!“

      Auch Norbert hatte den Mund voll Schmalzkuchen.

      „Mutter wäscht den ganzen Tag Wäsche für andere Leute,“ plauderte das Mädchen. „Ich mach den Haushalt und am Abend backe ich die Schmalzkuchen. Die verkaufe ich am nächsten Tag auf dem Markt, dann haben wir ein bisschen mehr, um einzukaufen und Mutter muss abends nicht immer weinen.“

      Norbert schaute das Mädchen an. Sie hatte braune Augen und einen