Название | Glaube, Irrglaube und die Macht der Liebe |
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Автор произведения | Gabrielle Jesberger-Günther |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748561309 |
Aus heutiger Sicht sind solche Vorstellungen schwer nachvollziehbar. Doch existierten sie in den Köpfen der meisten Menschen. Jedes Ereignis, sei es Blitz oder Donner, zu viel oder zu wenig Regen, zu heiß oder zu kalt, wurde als Symptom der Weltlage insgesamt gedeutet und außerdem eingeordnet in ein persönliches Sündenregister. All dies formte die Charaktere - bis hin zu religiösen Verwerfungen -, die wohl auch jene beispiellose Welle der Hexenverfolgung in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges auslösten.
Die Hoffnung auf Frieden war irgendwann nur noch ein kleines Flämmchen, das zu ersticken drohte. Andererseits weckten die langen Jahre des nicht enden wollenden Schreckens, der Not und der Gefahren - in denen der Tod an allen Ecken lauerte - in den Menschen einen übermächtigen Drang, das Leben mit einer Leidenschaft bis an die Grenzen auszuloten, die kaum zu stillen war. Als gäbe es nur diese eine Möglichkeit, wenigstens für kurze Zeit aus dem Grauen zu fliehen. Denn tief im Inneren schlummerte die Sehnsucht nach Liebe, nach dem Gefühl der Verbundenheit und des gegenseitigen Vertrauens. Auch in dieser Zeit fanden Herzen zueinander, wurde geheiratet, wurden Kinder geboren. Für die Überlebenden ging das Leben trotz allem weiter. Die Menschen rückten näher zusammen. Und die Liebe, die immer noch größer war als jede Not, gab ihnen die Kraft, durchzuhalten, um aus all den Möglichkeiten, die sich noch fanden, etwas schöpfen zu können, das den letzten Funken der Hoffnung wieder aufs Neue zum Glühen brachte.
Nicht nur die Soldaten im Heer, auch die Menschen zuhause fragten in dieser Zeit, in der der Krieg seine eigenen Gesetze schuf, immer weniger nach bestehenden Regeln, weder nach weltlichen noch nach kirchlichen. Es ging einfach nur darum, den Tag irgendwie zu überstehen. Notgedrungen besannen die Menschen sich auf das Wesentliche. Wen interessierte der Unterschied zwischen den Konfessionen, wenn es ums nackte Überleben ging?
Dies rettete auch das Leben des vermeintlichen Hexenkindes Lucinde, obwohl ihr Tod schon mit der Geburt - durch das gewaltsame Ende der Mutter auf dem Scheiterhaufen - vorbestimmt schien. Und gerade durch die verworrenen Kriegsereignisse konnte es sich fügen, dass das Leben des schwerverletzten schwedischen Trompeters Magnus, obwohl er protestantisch war, in einem katholischen Frauenkloster gerettet wurde. Nur durch einen Regelverstoß, der in Friedenszeiten unvorstellbar war, fanden zwei Menschen zueinander, denen es durch den Krieg überhaupt erst möglich wurde, eine Liebe jenseits aller Konventionen zu leben.
Der dreißigjährige Krieg 1618 bis 1648 stürzte Europa in einen Krieg, der unvorstellbare Verwüstungen und Traumata hinterließ und irgendwann nicht mehr zu kontrollieren war von den Akteuren, die ihn eingeleitet hatten, in einen Krieg, der wie ein Flächenbrand den ganzen Kontinent ergriff. Die Ursachen reichen weit zurück.
Zu Beginn kämpften Katholiken und Protestanten um den wahren Glauben und am Ende Nationen um die Macht: Auf der einen Seite die katholische Liga und auf der anderen die protestantische Union innerhalb des alten Kaiserreiches, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.
Gemeinsam mit ihren jeweils Verbündeten im zersplitterten deutschen Reich trugen die katholisch-habsburgischen Mächte Österreich und Spanien ihre Interessenkonflikte mit dem ebenfalls katholischen Frankreich - aber als Gegner - und den protestantischen Ländern Niederlande, Dänemark und Schweden aus. Frankreich, das sich eingekreist fühlte von den Habsburgern und den Spaniern, versuchte seinerseits, sich die Union im Kampf gegen das katholische Spanien zum Verbündeten zu machen.
Das Geschick der katholischen Kirche war verhängnisvoll verknüpft mit dem des Hauses Österreich. 1618 war die Dynastie der Habsburger die stärkste Macht in Europa. Sie regierten auch in der neuen Welt in Mexiko und rühmten sich, weit mehr durch Heiratspolitik, als durch Eroberungen mächtig geworden zu sein.
Längst hatte sich ein vielfältiges Spannungsnetz aus politischen, dynastischen, konfessionellen und innenpolitischen Gegensätzen aufgebaut. Diese historische Gärung trieb auf eine Eskalation zu und entlud sich als Konflikt auf europäischer Ebene: der habsburgisch-französische Gegensatz und auf der Reichsebene derjenige zwischen Kaiser und katholischer Liga einerseits und protestantischer Union andererseits. Frankreich und Spanien versuchten, die einheimischen Fürsten für sich zu gewinnen, so dass viele Herrscher gleichzeitig unter spanischem und französischem Einfluss standen. Es entstand eine schwer überschaubare Konfliktbündelung.
Insgesamt folgten in den dreißig Jahren von 1618 bis 1648 vier Hauptkonflikte aufeinander, die von der Geschichtswissenschaft als Böhmisch-Pfälzischer, Dänisch-Niedersächsischer, Schwedischer und Schwedisch-Französischer Krieg bezeichnet werden.
Der Westfälische Friede 1648 legte die Machtbalance zwischen Kaiser und Reichsständen (eine Gesellschaftsordnung aus dem Mittelalter) neu fest und wurde Teil der bis 1806 geltenden Verfassungsordnung des Reiches. Die Parteien verpflichteten sich, die Einzelheiten in einem separaten Kongress zu verhandeln. Erst die Ergebnisse dieser Verhandlungen erhielten die letztlich verbindlichen Abmachungen zu allen Abrüstungs- und Entschädigungsfragen. Die Parteien sicherten einander Amnestie und immerwährendes Vergessen zu. Der eigentliche Friedensvertrag von 1650 bestimmte für über hundert Jahre die politische Neuordnung Mitteleuropas.
Da es durch diesen Vertrag im Heiligen Römischen Reich weder Besiegte noch Sieger gab, konnte eine Verhandlungslösung erreicht werden. Auf der anderen Seite wurde die deutsche Nation vor dem Irrweg bewahrt, die nationale Identität an eine Konfession zu binden, so wie es in fast allen anderen europäischen Ländern der Fall war. Damit hatte Deutschland vielen Nachbarn etwas voraus: ein politisch-konfessionelles System, das auf Ausgleich ausgerichtet war. Außerdem hatte das Reich eine fest fixierte Verfassung, die dem Einzelnen als Mitglied seiner Konfession Freiheitsrechte garantierte.
Die Kriegshandlungen und die durch sie verursachten Seuchen und Hungersnöte verwüsteten und entvölkerten ganze Landstriche. In Teilen Süddeutschlands überlebte nur etwa ein Drittel der Bevölkerung. Nach den wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen benötigten einige vom Krieg betroffenen Territorien mehr als ein Jahrhundert, um sich von den Folgen zu erholen. Da der Krieg sich hauptsächlich auf deutschsprachigen Gebieten abspielte, die bis heute noch Teil Deutschlands sind, führten die Erfahrungen der Kriegszeit, nach Meinung von Experten, zur Verankerung eines Kriegstraumas im kollektiven deutschen Gedächtnis.
Auch in der Kunst - in vielen Gemälden, Liedern und Gedichten - hat der Dreißigjährige Krieg bis heute seine Spuren hinterlassen. Das Kinderlied Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt …., mit dem ihm zugeordneten Reim: Bet, Kinder bet, Morgen kommt der Schwed, Morgen kommt der Ochsenstern, der wird die Kinder beten lern. Bet, Kinder bet, steht als Symbol für die kollektive Niederlage der Deutschen und blieb im kulturellen Gedächtnis haften. Der als Volksheld und Retter in der Not gefeierte Martin Rinckart verfasste: Nun danket alle Gott. Im 18. Jahrhundert beschäftigte sich Friedrich Schiller als Historiker und Dramatiker mit dem Krieg und veröffentliche Die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges sowie sein Drama Wallenstein.
Bücher über Astrologie hatten in dieser Zeit den Rang von Weltliteratur in der doppelten Bedeutung des Wortes: Vielleicht in ihr allein haben sich Ost und West, Christen, Mohammedaner und Buddhisten mühelos verstanden. Die Astrologie durchdrang bis ins 17. Jahrhundert hinein u. a. das philosophische Denken und viele Naturwissenschaften wie Medizin und Botanik. Grimmelshausens Vermengung der Begriffe Astrologie und Astronomie ist Ausdruck beider Disziplinen seit dem sternenkundlichen Studium der Babylonier. Die kosmisch-mathematischen Grundlagen ließen die Treffsicherheit von Vorhersagen astronomischer Prozesse und Konstellationen gleichsam von selbst auf die Astrologie übertragen. So fand sich die biblisch geheiligte Zahl sieben der klassischen „Wandelsterne“ Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur, Mond als Zahl der Tage eines Mondumlaufviertels, d. h. einer Woche, sowie der Hauptsterne des Orion, der Plejaden und der beiden Bären-Gestirne wieder. Keplers bahnbrechenden Gesetze sind nicht zuletzt der Suche nach solchen Zahlenkorrespondenzen als Zeichen eines harmonischen Weltgefüges zu verdanken. Astrologischen Vorstellungen liegen in der Regel Mythen zugrunde und umgekehrt waren die astrologische Ideenwelt und das Christentum durchaus