Название | Stadtflucht |
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Автор произведения | Stephan Anderson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753193090 |
„Ja“, entgegnete Aaron aufgekratzt, einen anderen Menschen in dieser unangenehmen Angelegenheit als Kommissar Ulman sprechen zu können, „was ist genau passiert und was wirft man mir vor? Kann ich danach nach Hause gehen?“ Ihm war klar, dass zumindest die letzte Frage sehr optimistisch ausfiel, er aber unbedingt in Erfahrung bringen musste, was sich heute Morgen genau ereignet hatte.
Mit stoischer Ruhe fixierte die Spurensicherin ihre blonden Haare zu einem Dutt, setzte sich eine gelbumrandete Brille auf und zog sich schwarze Einwegplastikhandschuhe über ihre feingliedrigen Hände, so als wolle sie für die nun folgende Antwort Zeit zum Überlegen gewinnen. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Kommissar Sebastian Ulman hat mich gebeten Ihre Kleidungsstücke und Utensilien, sprich deren Inhalt zu sichern. Daher haben wir für Sie vorübergehend Ersatzkleidung parat. Ist das in Ordnung?“
Ungläubig, aber im gezwungenen Willen, in allem was von ihm verlangt wurde Kooperation zu zeigen, blickte er in ihre grün-grauen Augen, um dann resignierend seinen Rucksack und seine Daunenjacke auszuhändigen.
Krings packte des Zeugen Gegenstände separiert in Plastiksäcke und notierte dies penibel auf einer Liste, welche auf einem weißen Schreibbrett befestigt war. Danach deutete sie quer durch den sechsmalfünf Meter großen Raum auf einen dreiteiligen, ineinander-gesteckten Raumtrenner in japanischem Design.
„Dahinter bitte komplett entkleiden. Ihre Sachen sind ja ohnehin dreckig. Ersatzwäsche liegt für Sie bereit.“
Aaron konnte nicht glauben in was er da hineingeraten war. Peinlich berührt von der ganzen Prozedur, aber brav folgeleistend, ging er hinter die papierene Trennwand und schlüpfte ins Adamskostüm. Sowie er seine neue Garderobe: Unterwäsche, Blue-Jeans, ein schlichtes weißes T-Shirt und eine dunkelrote Zip-Weste angelegt hatte, tauchte auch schon die Spurensicherin auf der anderen Seite des Raumteilers auf.
„Sind Sie fertig?“
„Ja, aber ich fürchte die Schuhe sind zu klein und die Hose zwickt im Schritt.“ Für gewöhnlich trug der Passivsportler Beinkleider mit Stretch-Bund, um die mittelständische Wohlstandsleibung seines Bauches nicht allzu sehr einzuschnüren. Der Gürtel war nur Accessoires und trug nichts zur Auskoppelung der Schwerkraft bei. Solch eine modische Hilfestellung würde der passionierte Coach-Lümmel nun aber gut gebrauchen, konnte er doch bei der ihm übergebene Jeans nur den Zip schließen, der Knopf musste offenbleiben. Die Hose drohte ständig seine Beine hinabzugleiten. Es war ihm, unter den gegebenen Umständen ihres Kennenlernens aber einfach zu peinlich nach einem passenden weiteren Gürtel zu fragen und so kaschierte er seine schritteinengende und nicht schließbare Adjustierung indem er das T-Shirt über den offenen Knopf zog und die Hose schlichtweg festhielt. Immerhin bei den Schuhen sollte sie aber Abhilfe schaffen können.
„Ich werde sehen, ob ich andere Schuhe für Sie finde. Bitte treten Sie hervor.“
Sobald Aaron wiederum brav Folge leistete und vom Raumteiler hervorhuschte, machte sich Krings mit einigen durchsichtigen Plastiksäcken mit Verschluss, über seine Kleidung her und verpackte diese sogleich luftdicht.
Mitfühlend mit dem schuhlosen Zeugen deutete sie auf weiße Hausschuhe, die in der Ecke des Raumes, unter einer Untersuchungsliege standen. „Nehmen Sie einstweilen die Schlapfen meines Kollegen.“
Mit frischen Socken und kalten Füßen schlüpfte er in die Hausschuhe und bemerkte sofort, dass diese normalerweise von einer sehr pedanten Person getragen werden mussten, denn beide Schuhe waren auf ihrer Innenseite in feinsäuberlicher Schrift mit ´Weiss´ beschriftet.
„Haben Sie noch wichtige Wertsachen oder persönliche Gegenstände in Ihrem Rucksack? Medikamente zum Beispiel?“
„Nein“, lamentierte Aaron, nun endgültig in seiner Rolle als tief betrübter und traumatisierter Zeuge, angekommen.
„Dann werden wir noch eine Speichelprobe zwecks eines DNA-Bestimmungsprofils sichern, einen Schmauchspurtest an Ihren Händen durchführen und Ihre Fingerabdrücke abnehmen. Danach darf ich Sie zu Kommissar Sebastian Ulman in den Besprechungsraum vier bringen“ skizzierte Isabella Krings den weiteren Ablauf des Vorabends und deutete auf einen Stuhl, der an einem Labortisch stand. Wenigstens ihr süß und blumig duftendes Parfüm, mit einer ausgeprägten Gourmand-Note und cremig-pudrigen Einflüssen, versüßte ihm sein friedloses Dasein, welches ein äußerliches Bild der Bedrücktheit und innerlich strengster, schauspielerischer Selbstdisziplin, wiedergab. Außer Tinnitus hörend, Magensäure schmeckend und alte Fliesen erblickend, war dieser Reiz, nicht nur für seine Nase eine willkommene Abwechslung, sondern auch für sein strapaziertes Gemüt. Am liebsten hätte er alle Beteiligten geschimpft und wäre in seine Wohnung gelaufen und sich dort einem phlegmatischen Nichtstun hingegeben. Was hatte all das mit ihm zu tun? Konnte man ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
Nach außen hin unruhig, jammernd und aufgewühlt, ließ er jegliches Prozedere und sämtliche unmodische Aufmachungen über sich ergehen. Nur die Hoffnung auf baldige Erlösung aus dieser misslichen Lage, gab ihm noch Kraft durchzuhalten.
Wieder einmal war er nur auf sich gestellt. Der egoistische, ständig nörgelnde, jeden anprangernde, penible, ungeduldige, streitfreudige, phlegmatische, impertinente, wenig redselige, unter Alkohol redselige, kaltherzige und passionierte Grantscherben Aaron Röttgers.
Kapitel 6 Bergländische Borniertheit
„Was ist das?“, brüllte Ulman mit kratziger Stimme, als hätte ein Elefant Angina, durch das gesamte Großraumbüro des Morddezernats, wie er einen Blick auf seinen missorganisierten Schreibtisch warf. Die meisten seiner Kollegen zuckten zusammen und fixierten lieber weiterhin ihren Computerbildschirm, als dem cholerischen Kommissar Aufmerksamkeit zu schenken. Eine erbarmte sich dann trotzdem, dem trotzigen Mittsechziger zu antworten.
„Das nennt sich Pizza und bitte, dass wir Ihnen eine mitgenommen haben. Wir haben gehört, dass Sie nach der Nachtschicht heute Mittag wieder hier aufkreuzen werden. Daher.“
Orientierungssuchend blickte Ulman quer durch den gesamten Raum und konnte vier Schreibtische hinter seinem, eine junge Frau ausmachen, die ihm, mit aufgekrempelten türkisen Hemd, zuwinkte.
Musste er sich mit seinen alten Lenzen immer noch, mit gut zwanzig investigativen Kollegen, in ein zwanzigmalzehn Meter großes Büro pressen lassen? Mit Wehmut und Neid sah er auf die Milchglastüren, die sich zwei Schreibtische weiter auffädelten und jene, aus seiner Sicht, glückseligen Unglücklichen beherbergten, die den nächsten Karriereschritt gemacht hatten. Teilweise Männer, die noch aus seiner Zeit stammten und sich nun nicht mehr mit dem Geruch verwesender Leichen und dem Anblick blutbespritzter Tatorte abgeben wollten. Kommissar Sebastian Ulman, aus dem Sozialbau auf die Straße und von dort aufgestiegen zum Beschützer seiner Stadt. So sah er sich gerne. Nun musste er sich aber tagtäglich mit freundlichen und zuvorkommenden Kollegen in einem Großraumbüro und überbürokratischen Vorgesetzten auseinandersetzen, die seine archivierten Ansichten zwar verstanden, aber nicht nachvollziehen konnten. Da war es kein Wunder, dass er lieber in seinem himmelblauen Citroen durch die Straßen tingelte.
Mit Vorbehalt hing er seine dünne Frühlingsjacke über seinen Lehnsessel, ergriff einen der vielen verstreut liegenden Kugelschreiber von seinem Schreibtisch und öffnete langsam den Piz-zakarton. Als er die Verpackung ganz geöffnet hatte, stieß er wiederum einen lauten, krächzenden Schrei aus und dieses Mal wusste er wer der Adressat zu sein hatte.
„Du dahinten! Sowas fresse ich normal nicht. Nur weil ihr Jungen immer bestellt. Ich will heimische Kost!“
Die Kollegin winkte unbeeindruckt zurück und widmete ihre Aufmerksamkeit lieber wieder ihrem Computer-Bildschirm.
Dem unausgeschlafenen Ulman knurrte der Magen. Zumindest der Belag traf voll seinen Geschmack. Margaritha ohne Basilikumblätter,