Hautmalerei. David Goliath

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Название Hautmalerei
Автор произведения David Goliath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752921861



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sich. Er merkte, dass Klein auf einen Zwischenruf wartete, um weiter anzustacheln, wie ein übermütiger Yorkshire Terrier. Nathan wollte ihm nicht den Gefallen tun.

      »Und hier sehen wir gar nichts mehr«, führte Wáng einen weiteren Flussabschnitt vor. Die zusammengespulte Zeit offenbarte lediglich ein paar Fähren und Lastkähne. Dann trat die Abenddämmerung zum Vorschein. Viele verschiedene Kameraeinstellungen stellten die übliche Schifffahrt dar, die nachmittags und abends den Fluss frequentierte.

      Der zweite Mann an den Hebeln, Smirnow, arbeitete in der Zwischenzeit still an den Naheinstellungen vom Gewässer. Soweit Nathan das allerdings beurteilen konnte, ohne bahnbrechende Ergebnisse.

      »Und weiter?« Nathan registrierte, dass man ihm etwas verschwieg. Kurz und Klein behielten etwas in der Hinterhand, damit sie überraschend auftrumpfen konnten.

      Kurz drehte sich theatralisch zum Kommissar. Das erste Mal, dass er ihn heute mit Blicken würdigte. Fehlte nur noch, dass er oberlehrerhaft die wuchtige Brille vom Nasenrücken schob. Sein Partner Klein äffte ihn nach. Wie zwei Orgelpfeifen hatten sie sich zu Nathan gewandt.

      »Wir haben noch was Interessantes gefunden«, gab Kurz den gewieften Detektiv.

      Aufs Stichwort holte Wáng einen Kameraausschnitt auf den Bildschirm, worauf Kurz nickte.

      »Die Alte Brücke«, intonierte der kehlige Kommissar stimmungsvoll und ließ Nathan Zeit zur Orientierung. »Film ab!«

      Nathan starrte auf eine Kreuzung, die am oberen Bildschirmrand in die Alte Brücke überging. Die Menschen und Fahrzeuge bewegten sich schneller. Vögel flogen hurtiger vorbei. Die Ampeln sprangen nur so von Rot auf Grün. Schatten wanderten zügig. Dann stoppte die Aufnahme. Er blinzelte ungehalten. »Was soll ich da bitteschön gesehen haben?«

      Kurz und Klein kicherten, was Nathan erzürnte, doch er drückte die Wut in seiner Faust aus. Seine Knöchel knackten leise und seine Fingerkuppen färbten sich weiß.

      »Nochmal langsamer«, wies Kurz den Deutschchinesen an der Steuerung an. Es schien ein abgesprochener Scherz gewesen zu sein.

      Jetzt lief die Aufnahme in Echtzeit ab. Wieder bis zum Ende. Wieder stand Nathan da wie das erste Auto. »Sagt mal, wollt ihr mich verarschen?«

      Kurz zeigte belustigt auf den Bildschirm. Sie genossen die Vorführung und das Vorführen des geschätzten Kollegen. »Oben links.«

      Nathan blickte zu einem dunkel gekleideten, leicht verpixelten Mann, der scheinbar einen okkupierten Rollstuhl vor sich herschob. »Könntet ihr mir gefälligst mehr Kontext geben!«

      »Hier«, sprang der gelbhäutige Informationstechniker ein, »sehen wir den Unbekannten einen anderen Unbekannten im Rollstuhl schieben.«

      Eine weitere Kameraeinstellung kam ins Bild. Zu sehen war eine zweite Kreuzung, allerdings auf der anderen Seite der Brücke.

      »Und hier«, setzte der IT-Mann fort, »sehen wir den Unbekannten im Rollstuhl sitzen, ohne den anderen Unbekannten.«

      »Woher wissen wir, dass das derselbe Mann ist?«, warf Nathan kritisch ein.

      Ein Vergleichsstandbild beider Einstellungen erschien. Die Truppe war vorbereitet. Chapeau! Ein Eimer, den Rollstühlen zugeordnet, diente als Verbindungsmerkmal.

      »Schwarzer Kapuzenpulli und hässliche Schuhe«, motzte Klein, auf den Eimer deutend, »Das sieht ein Blinder mit Krückstock.«

      »Zu dem Zeitpunkt gab es keinen anderen Rollstuhl auf der Brücke«, ergänzte Wáng, um den Einwand des dünnhäutigen, garstigen Kommissars abzuschwächen.

      »Gibt es einen Winkel, wo man die Brücke und den abhandengekommenen Unbekannten sieht?«, fragte Nathan, der direkt mit Blicken gestraft wurde.

      »Was denkst du, was wir die ganze Zeit gemacht haben? Kaffeeklatsch?«, moserte Klein ungehalten.

      Zum Beweis knurrte Smirnows Magen, der sich mittlerweile in irgendeiner Programmierung verlor. »´tschuldigung«, nuschelte er peinlich berührt mit russischem Akzent, sich wieder in die Nullen und Einsen vertiefend.

      »Leider nicht«, antwortete Wáng besänftigend, »Aber wir simulieren gerade die Strömung«, rollte er mit dem Stuhl zu seinem schweigsamen Kollegen. »Wenn wir den Tatzeitpunkt eingrenzen könnten …«, er schaute zu Nathan.

      Auch Kurz und Klein fixierten den Kommissar.

      »Gestern Abend bis Mitternacht«, gab er grob zu Protokoll, sich der Tragweite bewusst.

      Die beiden Orgelpfeifen schmunzelten verschmitzt. Sie wussten nun, dass die Obduktion durch die Rechtsmedizin bereits vollzogen worden war. Was sie nicht wussten, Todeszeitpunkt und Wassereintritt stimmten nicht überein.

      »Wollt ihr uns nicht langsam einweihen?«, forderte Kurz mehr denn er fragte.

      »Was wollt ihr wissen?«, pokerte Nathan.

      Kurz schaute über den dicken Rand seiner Brille zu den Analysten, die mit den Zeitabständen experimentierten. »Ist die Sache unter Verschluss?«, ruderte er sogleich zurück. Er wollte keine schlafenden Hunde wecken oder sich in die Brennnesseln setzen.

      So wie es aussah, konnte Nathan den Suizid nicht aufrechterhalten. Spätestens nach seinem Rapport bei Schmidt würde der Fall die Runde machen. Und sollte er die beiden an der Nase herumgeführt haben, dürften sich weitere Gefälligkeiten erledigt haben.

      »Ich brauche Ausdrucke der Standbilder«, bat Nathan und erhielt eine braune Sammelmappe, die ihm Kurz reichte.

      »Alles hier drin«, sagte dieser. »Weiß Schmidt schon Bescheid?«

      »Ist meine nächste Station.« Er blätterte die Bilder durch und musste zugeben, dass hier gute Vorarbeit geleistet wurde.

      »Wir kommen mit!«, plusterte sich Klein auf, doch Kurz bremste ihn mit einer Handbewegung. Die Brillenschlange hatte den Giftzwerg gut im Griff.

      »Wenn es ernst wird, bezieht ihr uns doch ein?«, verhandelte Kurz stattdessen.

      »Haben wir das nicht bereits?«, entgegnete Nathan.

      Kurz und Klein beäugten sich. Man konnte meinen, sie kommunizierten telepathisch.

      »Wenn es was Ernstes ist, wird uns Schmidt sowieso dazu holen«, stichelte Kurz, da dieser zu wissen schien, dass man sie gern hinterging. Beide grinsten hämisch.

      »Gebt mir eine Viertelstunde Vorsprung«, forderte Nathan jovial und richtete das Wort an die Programmierer, »Was hat die Simulation ergeben?«

      Der Rädelsführer Wáng rollte mit dem Stuhl hinüber zu einem großen Stadtplan an der Wand, der auch die umliegenden Kommunen aufführte. Dort tippte er auf die Autobahnbrücke weit im Osten, an der Grenze zur verschmähten Nachbarstadt. »Das dürfte die östlichste Sprungschanze sein. Alles dahinter wäre vorher gestrandet.« Er fuhr den Fluss entlang bis zum Westhafen. »Somit kommen zehn Brücken infrage. Autobahn, Bundesstraßen, Schienen, Fußgänger. Alles dabei. Wobei, Autobahn und Bundesstraßen können wir ausschließen – die sind kameraüberwacht, da haben wir nichts gefunden. Also sechs Brücken.«

      »Warum versteifen wir uns auf Brücken?«, gab Kurz weitsichtig zu bedenken, »Was ist mit Kränen, Uferpromenaden oder Gebäuden?«

      Alle schauten zu Nathan, außer dem Strömungssimulator.

      Der Kommissar räusperte sich auffälliger als gewünscht. »Wir haben eine ungefähre Fallhöhe und können öffentlichkeitswirksame Bauten wie Kräne ausschließen. Da wären sicherlich Meldungen reingekommen. Und irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Wie man sieht, haben wir eine gute Fährte«, hielt er die Mappe mit den Brückenbildern hoch.

      »Also sechs Brücken«, repetierte Wáng, als wäre er selbst Ermittler.

      »Schon gut!«, motzte Klein ihn an, »Das haben wir verstanden.«

      Der Fachmann rollte zurück an seinen Arbeitsplatz und schaltete sich durch diverse Kameraaufnahmen vom Nahbereich des Flusses.