Название | Das Phänomen |
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Автор произведения | Karin Szivatz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754171868 |
Sandy nickte zustimmend und bat Rosalie, ihr das Scheckbuch aus ihrer Handtasche aus dem Vorzimmer zu bringen.
Als sie ihrem ehemaligen Geliebten den Scheck überreichte, konnte sie ihm noch immer nicht in die Augen sehen. Mit grimmigem Gesicht schnappte er sich den Scheck und ging sehr breitbeinig und langsam in Richtung Haustür. Erst als sie ins Schloss gefallen war, atmete Sandy aus, stand auf und goss sich einen dreifachen Whisky ein.
„Jetzt erklär mir doch bitte, wieso du das getan hast. Und wie um Himmels Willen du so kräftig zubeißen konntest. Das waren direkt Raubtierverletzungen. Du kannst wirklich von Glück reden, dass er keine Anzeige erstattet hat. Jeder Richter hätte dich eine enorme Summe an Schmerzensgeld bezahlen lassen. Was ist dir da bloß eingefallen? Mit Liebesbissen hat das jedenfalls nichts zu tun.“
Sandy schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wirklich nicht! Ich weiß nicht, was los war, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, dass ich ihm wehtun wollte. Wir hatten Spaß, alles lief wunderbar und plötzlich beiße ich ihn.“
Sie ließ ihr leeres Whiskyglas sinken. „Glaubst du, dass ich verrückt bin? Dass ich in eine Anstalt gehöre, weil ich nicht mehr weiß, was ich mache und weil ich für andere gefährlich bin?“
Das Gesicht der Ärztin wurde nachdenklich. „Ich weiß nicht, ob du wirklich gefährlich bist und wie es zu dieser Attacke kommen konnte. Aber ich würde dir raten, dich einem Psychiater anzuvertrauen, ehe vielleicht noch Schlimmeres passiert. Es kann auch durchaus sein, dass du dich selbst verletzt. Lass dich untersuchen und gib mir Bescheid, wenn du den Termin hast. Wenn ich es irgendwie einrichten kann, komme ich mit. Aber jetzt muss ich los! Meine Praxis ist sicher schon mit ungeduldigen Patienten überfüllt. Ich hab dich lieb und lass dich vom schlechten Gewissen nicht unterkriegen.“ Rosalie küsste Sandy auf die Stirn und zog die Haustür hinter sich ins Schloss
10
Auf dem Weg in ihre Praxis hinterließ sie Taylor eine Nachricht auf dem Handy. Wie immer, wenn er Vorlesungen hielt, gab er den Flugmodus ein, um in den Genuss eines Vortrages ohne Störung zu kommen. Er liebte es, eine ganze Stunde zu referieren ohne unterbrochen zu werden. In der darauffolgenden Stunde hatten die Studenten Zeit und Gelegenheit, Fragen oder sich ihm in einer Diskussion über das letzte Thema zu stellen. In beiden Fällen duldete er keinerlei Unterbrechungen.
Nach Unterrichtsende schaltete er den Lautsprecher seines Handys ein und ließ die eingegangenen Nachrichten abspielen. Dabei korrigierte er meist Arbeitsblätter oder Prüfungsbögen. Es langweilte ihn zumeist, die Nachrichten abzuhören, weil so gut wie immer die gleichen Leute anriefen, obwohl sie wussten, dass er vormittags beschäftigt war. Doch bei Rosalies Stimme ließ er den Stift fallen und starrte das leuchtende Display an als wäre es ihr Gesicht, in dem er lesen konnte. Sofort rief er zurück, doch sie war noch in der Ordination und versuchte erneut, Mrs Blackwood von ihren Rückenschmerzen zu befreien ohne dass sich die Gute an ihr Trainingsprogramm hielt. Die meisten ihrer Patientinnen waren stinkfaul und ließen sich lieber medikamentös behandeln anstatt ihren Bewegungsapparat in Schwung zu bringen.
Taylor versuchte es ein zweites Mal, mit seiner Frau zu sprechen, doch sie nahm sein Gespräch nicht entgegen. Kurz entschlossen legte er die Hausarbeiten seiner Studenten in den Safe, versperrte diesen und machte sich sofort auf den Weg in die Ordination. Er konnte nicht bis am Abend warten; zu groß war die Neugierde, welches Phänomen sich vor drei Stunden abgespielt hatte, von dem sie auf seiner Mailbox gesprochen hatte.
Rosalie schilderte kurz, was los war und komplimentierte ihn mit dem Versprechen, zu Hause alles ganz genau zu erzählen, aus der Praxis. Immerhin warteten noch vier Patienten darauf, von ihren Leiden geheilt zu werden. Danach standen noch einige Hausbesuche auf dem Plan, die wohl allesamt länger dauerten. Die alten Menschen waren einsam und froh, wenn sie jemanden zum Reden hatten. Rosalie fragte sich immer, ob sie nicht auch einmal froh sein würde, wenn sich ihre Ärztin im Alter mit ihr unterhalten würde anstatt nur ein Rezept auszustellen und zu gehen. Deshalb blieb sie immer ein wenig bei ihnen um deren Gemüt wieder aufzupolieren. Und mittlerweile waren es ihre Patienten schon gewohnt. Nun konnte sie nicht mehr so einfach ohne Unterhaltung gehen, aber das war schon in Ordnung. Schließlich war sie nicht des Geldes wegen Ärztin geworden, sondern aus Liebe zu den Menschen.
Als sie kurz vor achtzehn Uhr das Haus betrat, hing bereits der unverkennbare Duft von heißer Lasagne in der Luft. Zwar wusste sie, dass Taylor sie aus der Tiefkühltruhe geholt und nicht selbst zubereitet hatte, aber sie war dennoch froh, sich nicht mehr an den Herd stellen zu müssen. Es war ein anstrengender Tag gewesen und sie war müde. Auch der Vorfall bei Sandy hatte sie psychisch ziemlich mitgenommen, weshalb sie jetzt noch eine Spur müder als an üblichen Arbeitstagen war.
Taylor trug sofort das Essen auf, setzte sich und sah sie mit großen Augen, aus denen die Erwartung wie Wasser aus einem Staudamm floss, an.
Rosalie wusste, dass sie gegen die ärztliche Schweigepflicht verstieß, sah sich aber dennoch moralisch verpflichtet, ihm von dem Vorfall in Sandys Haus zu erzählen. Er hörte aufmerksam zu und presste die Oberschenkel fest aneinander, als sie die Verletzungen, die Sandy ihrem Lover zugefügt hatte, schilderte. Als Mann konnte er den Schmerz förmlich spüren.
„Und du sagst, sie wusste nicht, weshalb sie ihm den Penis zerfleischt hat? Es ist einfach so über sie gekommen, wie der Suizidversuch von Benny? Meinst du, es war der gleiche ….. sagen wir mal Mechanismus?“
Rosalie nickte nur, weil sie sich gerade eine Gabel voll Lasagne in den Mund gesteckt hatte. Die Fleischfüllung schmeckte ein wenig künstlich, aber sonst war sie ganz in Ordnung. Aber nach einem langen, harten Arbeitstag war wohl alles in Ordnung, das den Magen füllte, heiß war und das nicht mit Arbeit verbunden war.
Taylor legte noch immer etwas irritiert ein neues Blatt für den Vorfall mit Sandy an und berichtete ihr anschließend von seinem Telefonat mit dem Bürgermeister. „Weder er noch die Gemeindeangestellten hatten eine Anfrage erhalten noch eine Genehmigung für den Jahrmarkt erteilt. Er ist so plötzlich auf der Festwiese gestanden wie er wieder weg war. Der Bürgermeister wollte eigentlich heute am Morgen mit den Leuten reden und die Platzmiete kassieren, aber da war schon alles weg. Er war ebenso erstaunt wie wir, dass sie keinerlei Spuren hinterlassen hatten. Normalerweise mussten die Gemeindebediensteten am Montag noch tonnenweise Becher, Teller und Flaschen einsammeln.“
„Also kommen wir über diesen Weg auch nicht weiter“, kommentierte sie seine Ausführungen. Er schüttelte nur den Kopf und hob die Schultern an. „Es ist aber auch nicht wichtig, wir haben im Moment Wichtigeres zu tun. Wenn der Bürgermeister seine Pacht für die Wiese haben will, muss er zusehen, dass er sie bekommt. Es ist nicht unser Problem“, sagte er und lehnte sich zurück.
„Und wie willst du mit den Phänomenen weitermachen? Langsam häufen sie sich und ich fürchte, es werden noch schlimmere Dinge passieren. Was mir auch ziemliche Sorgen bereitet sind die Farben der Natur. Ob man eine Analyse der Wiesen und Bäume veranlassen sollte? Möglicherweise ist es ein Farbstoff, der gesundheitsgefährdend für die Bevölkerung ist. Ich werde gleich morgen ein paar Tests veranlassen. Als Gemeindeärztin steht mir das zu.“
Taylor nickte. „Gute Idee! Vielleicht klärt sich dann auch gleich das Phänomen von selbst. Kann es sein, dass ein Farbstoff oder etwas, das durch die Luft übertragen wird, diese Phänomene hervorruft? Dass der Stoff in das Gehirn der Menschen eindringt und dort Veränderungen hervorruft oder so etwas Ähnliches.“
Rosalie dachte kurz nach. „Möglich wäre es, natürlich, aber ich habe noch nie davon gehört. Was aber auch nicht heißt, dass es nicht schon vorgekommen wäre. Ich werde morgen mal im Internet recherchieren; vielleicht finde ich den einen oder anderen Beitrag dazu. Aber jetzt möchte ich nur noch blöd in en Fernseher glotzen um meinen Kopf wieder frei zu bekommen. Der Tag heute war echt hart!“
Der neue Morgen zeigte sich ein wenig wolkenverhangen. Rosalie blieb auf der Veranda stehen und sah auf das Meer