Den Tod für Tante Trudl!. Lukas Wolfgang Börner

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Название Den Tod für Tante Trudl!
Автор произведения Lukas Wolfgang Börner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741819766



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noch schlimmer: Du kannst niemandem von der Todesart erzählen, weil alle lachen würden. Du könntest zum Psychiater gehen und ihm erzählen, dass keiner den Tod deiner Familie ernst nimmt und er wird dich fragen, wie sie denn gestorben sind. Danach muss die Sitzung abgebrochen werden, weil seinerseits der Psychiater lachend abgebrochen ist.

      Dennoch will ich dir die Katastrophe nicht vorenthalten. Verzeih bitte die Änderung meines Schreibstils, aber es muss sein:

      Im Jahre Zweitausendundsoundsoviel fuhr die dreiköpfige Familie wie jedes Jahr nach Ligurien, was im Zitronenland liegt. Es ging mal lustig, mal ernst zu, mal harmonisch, mal streitlustig, wie es so in einer Familie abläuft, die nicht weiß, dass sie bald für immer voneinander getrennt sein wird. Man fährt zur Pension, checkt ein, macht noch einen abendlichen Spaziergang um die Bucht und geht dann das erste Mal schön essen. Es gibt Pizza, Pasta oder Costoletta alla milanese. Die kleine figlia heißt Maja und ist gerade zehn Jahre alt, der padre ist groß und dick und hat einen Hang zum Rotwein. Die madre ist eine zierliche Person, ein bisschen weniger charismatisch als der padre vielleicht, aber das liegt an ihrer aufopfernden Liebe zum padre und zur figlia und ist somit nur ein Zeichen ihres besseren Charakters.

      Die Tage verbringt die famiglia damit, spät zu frühstücken. Joghurt und geschmacksneutrales Weißbrot, dafür aber den allerbesten Kaffee. Die Sonne scheint jeden Morgen durch das staubige Frühstücksfenster – ein getrübtes wunderbares Licht. Bei diesem guten Kaffee schlägt sogar Maja zu. Sie ist eigentlich noch zu jung für Kaffee und trinkt ihn, wenn überhaupt, nur mit sehr viel Zucker. Aber Latte Macchiato ... ach, ach! Das ist besser als der beste Kakao. Jeden Morgen trinkt Maja eine Tasse Latte Macchiato. Manchmal macht sie ein Foto davon und schickt es umgehend ihren beiden Freundinnen, damit die vor Neid platzen. Dann verlässt die famiglia das Haus und geht zum Strand. Es wird gesonnt, gespielt, geschnorchelt. Dann Siesta. Dann manchmal Kultur – zum großen Leidwesen Majas. Dann wieder Essen gehen: Costoletta alla milanese oder Cozze al pomodori. Der padre trinkt zum Essen Rotwein. Das genügt ihm aber nicht. Wenn er mit madre und Maja in die Pension zurückgeht, will er mehr Wein. Noch mehr Wein. Zu diesem Zweck hat er schon nachmittags eine Flasche Lambrusco gekauft und sie auf den Tisch neben die Vase mit den Plastikblumen gestellt.

      Maja macht sich Sorgen. In der deutschen Schule haben sie über Alkohol und Drogen geredet. Und über Abhängigkeiten. Sie meint es gut mit ihrem padre. Sie möchte ihn davon überzeugen, dass er die Flasche Lambrusco an diesem Abend nicht mehr öffnet, sondern aqua minerale oder Aranciata trinkt. „Warum?“, fragt der padre unwirsch.

      „Nun, weil Alkohol ungesund ist“, antwortet Maja.

      „Er macht dich krank“, antwortet Maja.

      „Er macht süchtig“, antwortet Maja.

      „Öffne diese Flasche nicht“, antwortet Maja.

      Und der padre betrachtet sein Kind mit schäkerndem Blick und wirft den Kopf zurück und lacht. Und er legt den Korkenzieher weg und sagt: „Meinetwegen, dann trink ich halt ... wie heißt das Zeug?“

      „Aranciata!“

      „Ja, na gut, Aranciata!“

      Da lächelt madre und geht auf den Balkon hinaus, um die getrockneten Handtücher hereinzuholen. Wenn die Tür offen ist, bläst der laue Meereswind durch die Gardinen und die Aranciata und das zuckersüße italienische Gebäck schmecken noch besser. Wenn der padre für einen Moment still ist, kann Maja die Brandung hören. Die Wellen peitschen gegen die Felsen, die die Bucht an beiden Seiten begrenzen. Dort leben die größeren Fische und der Boden liegt tief unter den nackten Beinchen. Man wundert sich, wie plötzlich man vom flachen Schnorchelwasser in so tiefblaues Meer gelangen konnte. Und plötzlich sind da Fische, die sind so groß wie man selbst. Und man strampelt und paddelt, bis man wieder kiesigen Sand unter den Füßen hat. Hier leben die kleinen Fische. Seezungen und auf dem Boden sitzende Petermännchen.

      Der padre macht Schattenspiele an der Wand. Es ist ein kleiner Teufel, den er mit den Fingern der linken Hand formt. Ein großer Kasperl kommt hinzu. Er will den Teufel vertreiben. Denn dieser hat sich heimlich der madre auf dem Balkon genähert. Er wartet auf der Gardine und hat einen Prügel in der Hand. Er möchte ihr den Prügel auf den Kopf hauen, wenn sie wieder hereinkommt. Doch der Kasperl ist schon da, um ihn daran zu hindern. So rangeln die beiden einige Zeit. Es dauert lange, denn madre lässt sich sehr viel Zeit auf dem Balkon. Vielleicht hat sie die Augen geschlossen und atmet die salzige Luft ein. Vielleicht schaut sie auch einfach nur in den dunklen Abend. Hinüber zu den Lichtern an der Küste. Vielleicht tut sie auch überhaupt nichts. Wer kann das sagen?

      Der Teufel hat ihr auf jeden Fall keinen Hieb mit dem Schattenprügel versetzt. Aber nicht etwa, weil der Schattenkasperl ihn gehindert hätte, sondern weil in diesem Augenblick höchster Spannung, höchster Belustigung die Lambruscoflasche explodiert.

      PAFF!!! Klirr klirr klirr!

      Vielleicht war sie geschüttelt worden. Vielleicht war es zu warm gewesen.

      Die Scherben prasseln dem padre ins Gesicht, das rotrote Gemisch von Blut und Rotwein springt aus seinem Hals. Maja, die an seiner Seite gesessen ist, hat nichts abbekommen. Er rennt auf die madre zu, wahrscheinlich, um sie um Hilfe zu bitten. Die aber bekommt einen solchen Schreck, dass sie hinten über den Balkon hinunterstürzt.

      Maja rennt in ihr Zimmer und versteckt sich hinter dem Bett.

      Sie hätte Hilfe holen sollen. Aber sie kann nicht. Sie kann sich nur hinter ihr Bett kauern und hoffen, das wilde Fußgetrappel des padre würde endlich aufhören.

      Und irgendwann hörte es auf.

      *

      Ich wohnte schon hier bei Tante Trudl – dass es gegen meinen Willen geschah, brauche ich wohl nicht hinzuzufügen – und befand mich noch in der tiefsten Trauerphase, du weißt schon, die Phase, wo man nichts essen will, wo man sich nicht mehr wäscht, wo man tags unruhig und nachts gar nicht mehr schläft, als ich die Qual kennenlernte. Oder besser: Als ich kennengelernt wurde!

      Ich hatte mich in einer Ecke auf dem Fußboden verkrochen. Zwischen zwei Stühlen hing eine Decke und ich saß darunter. Ich wollte niemanden sehen. Vor allem diese Tante nicht. Auch dieses Zimmer nicht. Und schon gar nicht diesen Ort, weit, weit weg von zu Hause. Nie mehr.

      Doch Tante Trudl klopfte sacht an der Zimmertür und rief einen Namen: „Steffi!“

      Das ist aber nicht mein Name. Ich heiße ja – das dürftest du inzwischen schon mitbekommen haben – Maja. Doch Tante Trudl meinte trotzdem mich.

      Ich antwortete nicht. Aber nicht wegen dem falschen Namen. Ich hätte auch bei meinem richtigen Namen ihr nicht geantwortet. Nicht dieser unangenehmen alten Nuss.

      Tante Trudl wartete einige Zeit, bis sie ihr Rufen wiederholte. „Komm doch heraus!“

      Sie ging ein paar Schritte durch’s Zimmer, als würde sie mich irgendwo suchen. Dabei war es doch ganz logisch, dass ich unter der Decke steckte. Meine Beine schauten ja darunter heraus. Im Leben ist es doch immer dasselbe: So klein du auch bist, deine zugewiesene Decke zum Verstecken ist noch kleiner.

      „Ich habe eine Spielgefährtin für dich gefunden,“ begann die Tante und steuerte nun geradewegs auf mein Versteck zu, „damit du dich besser eingewöhnen kannst.“

      Ich will mich nicht eingewöhnen, dachte ich. Meine Freundinnen sind in Tupfing. Dort gehöre ich auch hin!

      „Komm doch mal heraus,“ fuhr Trudl fort, „bitte.“

      Eine Spielgefährtin ...

      Am Ende eine Puppe oder sonst was Behämmertes. Lass mich in Ruhe. Ich bleibe hier in meinem Versteck.

      „Sie wird nächstes Schuljahr ans Gymnasium gehen. Genau wie du“, ergriff Trudl wieder das Wort. Ich konnte sehen, wie sie sich auf ihre Knie herabließ. Bitte heb jetzt bloß nicht die Decke an! Das fehlte gerade noch, dass ich dein hässlich gesundes Gesicht so nah vor meinem hätte.

      Aber weißt du, Leser, was