Sizilianische Gesetze. Ruth Broucq

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Название Sizilianische Gesetze
Автор произведения Ruth Broucq
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753188515



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sich anhand dieser Karten kein rechtes Bild darüber machen konnten, um was es dabei genau ging, baten mit dem Ausfüllen einer solchen Karte um einen Informations-Besuch.

      Auf diese Weise konnten die Versicherungs-Leute auf festes Adressmaterial und freundliches, argloses Entgegenkommen der Kunden arbeiten. Die Verträge abzuschließen war in den meisten Fällen ein Leichtes, da die monatliche Prämie klein war.

      Natürlich wurden die Beiden angenommen. Spontan stürzten sie sich in hektischen Arbeitseifer. Obwohl sie gleich in der ersten Woche der Bezirksleiterin beim sogenannten Wochen-Meeting sechs Verträge abliefern konnten, war der Gewinn mäßig. Für einen Vertrag zahlte die Agentur achtzig Mark. Davon wurden Steuern und Stornogebühren abgezogen. Der klägliche Rest von fünfundfünfzig Mark pro Vertrag war die angepriesene ‚Beste Bezahlung’. Die Beiden hatten also eine Woche gearbeitet und Benzin verfahren, um jeder einen Hungerlohn zu verdienen.

      Annette verging schon die Lust. Das war kein Job für sie, Annette fehlte die Redegewandtheit. Doch so schnell wollte Ute nicht aufgeben. Während Annette weiterhin schweigend Utes Verkaufs-Gesprächen zugehört hatte, konnten dir nur drei Verträge in fünf Tagen reinholen. Von Alleingang wollte Annette nichts wissen, aber Ute bestand darauf.

      So wie gehabt war die Arbeit sinnlos. Also zogen sie getrennt los. Das Ergebnis war noch magerer. Die Unterschrift-Freudigkeit der Kunden ging, je näher Weihnachten rückte, drastisch zurück. Als dann noch keine neuen Adressen zu bekommen waren, weil die Kliniken hinter den Schwindel gekommen und die Karten vernichtet hatten, gaben sie die sinnlose Beschäftigung auch wieder auf.

      Während Ute über unseren erneuten Misserfolg deprimiert war, sich mit meiner Kleinen tröstete, hatte Annette eine neue Tätigkeit gefunden. Ein griechischer Gastwirt, dem sie seit Langem bei der Buchführung half, bat Annette in seiner Gaststätte auszuhelfen. Voller Begeisterung erzählte Annette der Freundin von den großzügigen Trinkgeldern, die sie bekommen hatte. Staunend verfolgte Ute den neuen Fleiß ihrer Freundin.

      Annette geriet immer mehr in euphorische Stimmung und berichtete von den guten Verdienstmöglichkeiten. Selbst müsste man eine Kneipe übernehmen. Der Gedanke ließ Annette nicht mehr los. Sie redete nur noch davon in die Gastronomie selbständig einzusteigen. Mit dieser Idee stieß sie bei Ute auf energische Ablehnung. Schon der Gedanke, durch Alkohol-Ausschank ihre Brötchen zu verdienen und sich dann mit den Betrunkenen rumärgern zu müssen, widerstrebte Ute gewaltig.

      Da Annette aber aus finanziellen Gründen nicht die Möglichkeit zur Selbständigkeit hatte, ließ sie nicht locker. Immer wieder redete sie auf Ute ein, ihrem Gedanken zuzustimmen. Schließlich wolle Ute doch nicht immer von Vitos Launen abhängig sein? Eine gutgehende Kneipe wäre außerdem eine langfristige, solide Existenz, die man mit geringen finanziellen Mitteln aufbauen könne (mit welchen?).

      Das wäre doch ein Versuch wert. Annette würde die Konzession übernehmen und wenn Ute mal keine Lust mehr haben würde, könne Ute jederzeit aussteigen. Annette würde dann alleine weitermachen. Utes Angst vor einer eventuell lästigen Langzeit-Bindung wäre unbegründet.

      Nach einer erneuten deprimierenden Auseinandersetzung mit Vito, bei der es wie immer um Geld ging, stimmte Ute dem Vorschlag ihrer Freundin endlich zu. Annette in euphorischer Stimmung, Ute mit gemischten Gefühlen, knüpften sie mit verschiedenen Brauereien Kontakte. In reger Betriebsamkeit hielt Annette auch nach dem geeigneten Automaten-Aufsteller Ausschau. Denn sie brauchten noch Mittel für die Finanzierung.

      Nach ein paar Wochen hatten die Beiden das passende Objekt in einer nahegelegenen Kleinstadt und einen Investitions-willigen Aufsteller gefunden. Da sie trotzdem noch ein paar Tausend für den ersten Einkauf und die Konzessions-Gebühr brauchten, musste Ute mal wieder einige Schmuckstücke ins Pfandhaus bringen. Die finanziellen Sorgen überließ Annette getrost wieder mal der Freundin, da sie selbst weder Wertgegenstände noch Geld besaß.

      Das magere Weihnachtsfest konnte die Freundinnen, in der freudigen Erwartung auf das bevorstehende gute Geschäft, nicht mehr negativ beeinflussen. Auch Ute wurde, trotz anfänglicher Bedenken, von Annettes Freude mitgerissen.

      Die Geschäfts-Eröffnung am 12. Januar hatten sie, dafür dass sie beide blutige Anfänger waren, ganz gut organisiert. Die gemeinsame Freundin Hilda, als Buffet-Frau in einer großen Diskothek tätig, half den Beiden die ersten technischen Hürden zu bewältigen.

      Die völlig heruntergewirtschaftete, 32 qm große Kneipe, direkt am Marktplatz gelegen, wollten die Beiden von morgens neun bis nachts ein Uhr durchgehend geöffnet halten. Frühstück, belegte Brötchen und hausgemachte Frikadellen waren die vorgesehenen Speisen-Angebote. Den Gewinn erhofften sie sich durch den Verkauf von Getränken. Denn zwei Frauen allein als Betreiber einer Kneipe würden auf die Gäste anziehend wirken.

      Die Beiden waren sich völlig einig, dass ihre Männer in ihrem Laden nichts zu suchen hatten, nicht einmal als Gäste. Das Privatleben wollten sie aus dem Geschäft raushalten.

      Die dazugehörige Wirtswohnung auf der 1.Etage sollte Annette mit ihren Kindern beziehen. Das erschien ihnen als sehr praktisch. Sie mussten aber noch warten, bis der Vorgänger die Wohnung geräumt hatte. Damit begann schon die erste Schwierigkeit. Die lange Fahrt zur Arbeit und zurück, sowie der sechzehn Stunden Tag schlauchten die neuen Wirtinnen gehörig.

      Zwar lief die Kneipe fantastisch an, doch dafür, dass sie auf dem Frühstück sitzen blieben, hatten sie immer Probleme, die trinkfreudigen Gäste bei Geschäftsschluss loszuwerden. So wurde es oft früh morgens, bis die Beiden endlich Feierabend hatten. Wochenlang bekamen sie kaum Schlaf, denn um neun Uhr mussten sie wieder öffnen.

      Auch die Heimfahrt machte ihnen Kopfzerbrechen. Um den spendierfreudigen Gästen nicht ständig abzusagen, waren sie gezwungen, sich mit fahren und trinken abzuwechseln. Endlich nach Wochen konnte Annette in die Wirts-Wohnung beziehen. Sie glaubten nun einige Probleme los zu sein.

      Dann kam die chaotische Karnevals-Woche. Vor lauter Arbeit kamen die Beiden nicht mehr aus den Kleidern, sogar ihre großen Töchter mussten mithelfen. In fünf Tagen verkauften die Beiden 24 hl Bier und jede Menge Spirituosen. Der Umsatz war bombastisch. Die Wirtinnen waren anschließend fix und fertig. Ausgelaugt.

      Die Brauerei sowie der Automaten-Fritze waren begeistert. Da die Beiden wochenlang für ihre Kinder keine Zeit gehabt hatten und beide total erschöpft waren, beschlossen sie, den Arbeitstag in zwei Schichten einzuteilen.

      Sie wollten im Wechsel Früh- und Spätschicht machen, damit sie auch noch Zeit für ihre Kinder hätten. An der Einteilung gefiel Ute am besten, dass sie abends ihre Kleine mit nach Hause nehmen konnte. Wenn Ute Spätschicht hatte, ging das leider nicht. Die Beiden waren der Meinung, nun die Lösung ihrer Probleme gefunden zu haben und das Geschäft würde auch auf die Art weiterhin so gut laufen. Dies erwies sich als Irrtum!

      Eigenartigerweise gingen die Umsätze stark zurück, wenn Annette Dienst machte. Während Utes Arbeitszeit aber nicht. Ute stand vor einem Rätsel. Bis sie durch die Gäste auf die Fehler aufmerksam gemacht wurde. Man erzählte Ute, dass in Annettes Spätschicht deren griechischer Freund jeden Abend an der Theke saß, und Annette sich dann überwiegend mit ihm amüsierte.

      Hatte Annette aber Frühschicht, machte sie nach Laune den Laden auf. Manchmal erst um zwölf Uhr mittags. Dann ging Annette oft nachmittags einkaufen und überließ den Laden ihren beiden großen Kindern. Da die meisten Gäste an einer Unterhaltung mit fünfzehnjährigen Teenies nicht interessiert waren, blieben sie weg.

      Auch hatte Annette die Angewohnheit, mit Gästen zu tanzen oder knobeln, dabei vergaß sie dann die anderen Gäste zu bewirten. Oft saßen die Leute vor leeren Gläsern und schmutzigen Tischen mit überlaufenden Aschenbechern. Wenn sie sich also amüsierte, vergaß sie den Zweck ihrer Tätigkeit, das Verkaufen der Getränke.

      Als Ute dann noch erfuhr, dass Annettes siebenjährigen Zwillinge den Gästen aus dem Wohnungsfenster auf den Kopf spuckten und die Leute beschimpften, wenn sie in die Kneipe wollten, war bei Ute das Maß voll.

      Vorwurfsvoll sagte sie ihrer Freundin, dass Ute sich die Zusammenarbeit so nicht vorgestellt hatte. Annette stellte die Vorwürfe als erfunden hin. Den Umsatz-Rückgang könne sie sich nur damit erklären,