WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN. Eberhard Weidner

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Название WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847651130



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V-Ausschnitt von Bruno Banani und Slipper von Hush Puppies. Über dem Pulli trug er seine obligatorische schwarze Lammlederjacke von Just Cavalli, ohne die er nicht aus dem Haus ging. Die Jacke allein hatte mehr gekostet als Schäringers komplette Garderobe, der auch an diesem Tag einen seiner gewohnten 2-teiligen Anzüge trug, die er vor ein paar Jahren in den Farben braun, mittelgrau, mitternachtsblau und schwarz bestellt hatte. Heute war der braune Anzug an der Reihe, dazu ein weißes Hemd, eine beigefarbene, schmale Krawatte und schwarze Schnürschuhe. Schäringer liebte komplizierte Fälle voller Rätsel, die ihn vor intellektuelle Herausforderungen stellten. Er dachte gern um die Ecke und versuchte stets, alle Begleitumstände eines Falles einschließlich zunächst nebensächlich erscheinender Details gleichzeitig im Auge zu behalten und miteinander in Verbindung zu bringen. Baum war hingegen der Meinung, sein Kollege würde zu kompliziert denken und sich trotz seiner Erfolge zu leicht und zu oft in Nebensächlichkeiten verrennen. Er selbst konzentrierte sich bei ihren Ermittlungen daher vor allem aus Bequemlichkeit lieber auf das Wesentliche und sah ungern über den Rand des Tellers, auf dem er saß, hinaus. Aber trotz oder vielleicht sogar gerade wegen all ihrer Gegensätzlichkeiten bildeten sie im Großen und Ganzen ein harmonisches und erfolgreiches Team.

      »Hä?«, fragte Baum, nachdem er sich in Zeitlupe zu Schäringer umgewandt hatte, und sah ihn mit verschlafenem Gesichtsausdruck und aus Augen, die er gerade einmal zu schmalen Schlitzen öffnen konnte, ratlos an. »Was ist mit unserem BMW?«

      »Nicht mit unserem. Ich meine den Wagen, der vor unserem steht. Weißt du zufällig, wem der gehört?«

      Baum drehte sich schwerfällig in die andere Richtung und sah zu der Reihe von Fahrzeugen zurück. Er blinzelte, nahm einen Schluck aus dem halbvollen Becher in seiner Hand und sagte dann: »Ist das nicht der Wagen vom Bauer.«

      »Vom Bauern? Meinst du etwa den, der die Leiche gefunden hat? Ich dachte, der wäre mit dem Bulldog gekommen und wieder auf seinen Hof zurückgefahren, nachdem er die Eiche mit seinem Frühstück gedüngt hatte.«

      »Nicht von dem Bauern, sondern vom Bauer«, korrigierte Baum und wandte sich wieder Schäringer zu. »Ich meine unseren lieben Kollegen vom Kommissariat für Vermisstenfälle. Der heißt Bauer.«

      »Vermisstenfälle?« Schäringer runzelte die Stirn. Er sah wieder zur Eiche, unter deren Blätterdach sich die meisten der übrigen Anwesenden versammelt hatten, und sah sich die Personen noch einmal der Reihe nach an. Uniformierte Beamte, Mitarbeiter der Spurensicherung in ihren Overalls und mittendrin als einzige Person in Zivil der Rechtsmediziner Dr. Mangold, der noch immer mit der Untersuchung der Leiche beschäftigt war. Sonst war niemand zu sehen. Doch dann, als hätte allein die Nennung ihres Namens sie heraufbeschworen wie einen übellaunigen Flaschengeist, kam eine weitere Person hinter dem dicken Stamm des Baumes hervor, der sie bislang vor Schäringers Blicken verborgen hatte, und trat in sein Blickfeld. »Du hast recht, Lutz, das ist tatsächlich der Bauer von der Vermisstenabteilung.«

      Schäringer mochte den Kollegen, der für vermisste Personen zuständig war, nicht besonders, auch wenn er sich bei zufälligen Begegnungen bemühte, sich seine Abneigung nicht zu deutlich anmerken zu lassen. Bauer galt als krankhaft ehrgeizig und unkollegial. Als vor sechs Jahren Schäringer vorheriger Kollege in der Mordkommission auf eigenen Wunsch zur Kripo nach München gewechselt war und die frei gewordene Stelle neu besetzt werden musste, hatte sich auch Bauer darum beworben, der in der Position vermutlich vor allem ein Sprungbrett sah, auf dem er sich durch die Aufklärung spektakulärer Mordfälle auszeichnen und so für höhere Aufgaben innerhalb des bayrischen Polizeiapparates empfehlen konnte. Schäringer, der bei der Auswahl seines zukünftigen Mitarbeiters ein entscheidendes Wörtchen mitreden durfte, entschied sich allerdings gegen Bauer und stattdessen für den jüngeren Kriminalkommissar Lutz Baum aus der Abteilung für Einbruchs- und Kfz-Kriminalität. Er hielt Baum nicht nur für kompetenter und fachlich geeigneter, sondern war auch der Ansicht, sie würden besser zueinanderpassen und miteinander auskommen und sich in der täglichen Zusammenarbeit möglicherweise sogar ergänzen. Und bis zum heutigen Tag hatte er auch noch keinen Grund gehabt, die damalige Entscheidung in irgendeiner Weise zu bereuen – wenn man einmal von Baums ungesunder Vorliebe für den grässlichen Automatenkaffee aus der Kriminalpolizeiinspektion absah. Bauer hatte Schäringer die Ablehnung allerdings nie verziehen und hegte seitdem einen Groll gegen Schäringer und Baum im Speziellen und die Mordkommission im Allgemeinen.

      Baum sah in die Richtung, in die Schäringers Blick gerichtet war. »Aber was hat der Bauer hier überhaupt zu suchen? Handelt es sich bei dem Toten etwa um einen seiner Vermisstenfälle?«

      »Am schnellsten finden wir das vermutlich heraus, wenn wir zu ihm gehen und ihn fragen.«

      »Wenn’s unbedingt sein muss«, murmelte Baum mit einem Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, ehe sie sich auf den Weg machten, um mit dem ungeliebten Kollegen zu reden. Wenigstens wirkte er jetzt schon entschieden wacher als fünf Minuten zuvor.

      2

      Als sie den Feldweg verließen und unter das Blätterdach der Eiche traten, wurden die beiden Beamten der Mordkommission von den Anwesenden begrüßt und erwiderten die Grüße. »Ich komm gleich zu dir, dann unterhalten wir uns«, sagte Schäringer zu Christian Krautmann von der Spurensicherung. Dann gesellten sie sich zu Stefan Bauer, der mit verschränkten Armen neben dem Stamm des Baumes stand und mit ausdrucksloser Miene dem Gerichtsmediziner bei seiner Arbeit zusah. In der rechten Hand hielt er zwei Beweismittelbeutel aus transparenter Plastikfolie.

      Zunächst sah es so aus, als hätte er die Ankunft der beiden Kollegen von der Mordkommission gar nicht bemerkt, so konzentriert beobachtete er, was Dr. Mangold tat. Als diese aber keine Anstalten machten, wieder zu gehen und ihn in Ruhe zu lassen, hob er geradezu widerwillig den Blick und sah zuerst Schäringer und dann Baum abschätzig an. »Sieh an, die Kollegen von der Abteilung Mord und Totschlag sind also auch schon da.«

      Bauer war Mitte vierzig, von durchschnittlicher Statur und durchschnittliche eins einundachtzig groß. Er hatte kurzes und in der Mitte gescheiteltes, hellbraunes Haar und einen Zehntagebart. Er war leger gekleidet, trug eine ausgewaschene, hellblaue Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber ein hellblaues Jeanshemd im Western-Style. Seine Füße steckten in beigen Freizeitschuhen von Adidas.

      Schäringer erinnerte sich, dass der Kriminaloberkommissar seit Neuestem nicht nur für Vermisstenfälle zuständig, sondern auch Leiter einer Sonderkommission war, die vorgestern eingerichtet worden war, nachdem innerhalb weniger Tage zwei junge Frauen spurlos verschwunden waren. Die erste war die siebzehnjährige Nadine Blume. Sie wohnte in der Gemeinde Emmering, die im Osten an das Stadtgebiet von Fürstenfeldbruck grenzte, und besuchte die elfte Klasse des Graf-Rasso-Gymnasiums. Sie war vor acht Tagen auf dem Heimweg vom Nachmittagsunterricht gewesen, allerdings nie zu Hause angekommen und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Und vor zwei Tagen war eine weitere Schülerin verschwunden. Die achtzehnjährige Nele Schumacher aus dem Ortsteil Buchenau ging aufs Viscardi-Gymnasium. Sie war mit Schulfreunden abends beim Pizzaessen gewesen, bevor auch sie spurlos verschwand. Gemeinsam war beiden jungen Frauen nicht nur, dass sie etwa im gleichen Alter waren und aufs Gymnasium gingen, sie waren auch bildhübsch und sahen sich sogar ein bisschen ähnlich. Beide hatten langes und sehr helles, blondes Haar und waren groß und schlank. Nach Neles Verschwinden wurde daher eilig eine Sonderkommission eingerichtet, die sich auf die Suche nach den beiden Frauen konzentrierte. Und Stefan Bauer wurde kurzerhand zum Leiter der Soko ernannt.

      »Morgen, Kollege Bauer«, grüßte Schäringer, ohne auf die Bemerkung des anderen einzugehen. Er wollte kein frisches Öl ins Feuer gießen, sondern war nur hier, um seine Arbeit zu erledigen, so gut es ihm möglich war. Persönliche Animositäten hatten dabei seiner Meinung nach nichts zu suchen. »Was hat Sie denn hierher verschlagen?«

      »Sie müssen sich verirrt haben, Bauer«, sagte Baum und deutete auf den Toten. »Das da ist eindeutig ein Kerl und keins Ihrer verschwundenen Mädchen. Nach denen sollten Sie lieber woanders suchen. Aber was soll’s? Jeder kann sich mal täuschen.«

      »Morgen, Schäringer. Ist Ihr Schoßhündchen eigentlich immer so bissig?«

      Schäringer zuckte mit den