WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN. Eberhard Weidner

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Название WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847651130



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sich manchmal mehr als den Eltern.«

      »Ich glaube nicht, dass Kerstin mehr weiß. Sie und Nikki stritten sich zwar nur selten, vertrauten sich aber bestimmt keine Geheimnisse mehr an. Dafür waren sie zu verschieden, nicht nur wegen ihres Geschlechts. Außerdem waren sie vier Jahre auseinander und hatten ganz unterschiedliche Interessen. Sie können Kerstin natürlich gern selbst dazu befragen, aber ich würde Sie bitten, damit noch etwas zu warten, bis sie … bis sie den größten Schock über den Tod ihres … ihres Bruders verarbeitet hat.«

      »Selbstverständlich, Frau Kramer. Können Sie mir dann vielleicht sonst noch etwas sagen, was Ihnen nun, im Nachhinein, unter Umständen merkwürdig vorkommt und mit Niklas’ Tod in Verbindung stehen könnte.«

      Sie dachte kurz nach, wobei sich ihre Stirn kräuselte. Schäringer hörte in einem der oberen Stockwerke Schritte. Das musste Baum sein.

      »Tut mir leid, Herr Schäringer«, sagte Elke Kramer dann und zuckte mit den Schultern. »Momentan fällt mir nichts ein. Das mit dem Mobbing in der Schule und dem Video ist im Grunde das Einzige, was mir in diesem Zusammenhang sofort in den Sinn kam. Ich glaube aber immer noch nicht, dass diese Jungs einen kaltblütigen Mord begehen könnten. Das sind doch noch ganz junge Kerle. Wieso sollten die jemanden umbringen, nur weil er sie beim Schuldirektor verpetzt hat und sie suspendiert wurden?«

      Nun war es an Schäringer, mit den Schultern zu zucken. »Möglicherweise haben Sie recht, Frau Kramer. Trotzdem werde ich die Sache weiterverfolgen und mich mit dem jungen Mann unterhalten, dessen Namen Sie mir gaben. Wenn er und seine Kumpane für die letzte Nacht ein Alibi haben, hat sich dieser Verdacht ohnehin entkräftet. Ich lasse Ihnen auf alle Fälle meine Karte da. Falls Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich jederzeit im Büro oder über meine Handynummer erreichen. Egal, zu welcher Tageszeit.« Er holte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und legte sie auf die Tischplatte. »Vermutlich werde ich demnächst ohnehin noch einmal bei Ihnen vorbeischauen, um mich mit Ihrem Mann und gegebenenfalls mit Ihrer Tochter zu unterhalten, wenn Ihnen das recht ist.«

      »Selbstverständlich. Rufen Sie aber vorher bitte an.«

      Schäringer nickte. Er hörte, dass Baum die Treppe herunterkam. Er hatte den Eindruck, sein Kollege hätte nach der Durchsuchung von Niklas’ Zimmer im ersten Stock gewartet, bis Schäringer seine Unterhaltung mit Elke Kramer beendete. Entweder hatte er nicht mitten ins Gespräch platzen und stören oder nicht wieder untätig danebenstehen wollen.

      »Wir können gern noch warten, bis Sie jemanden angerufen haben, der Ihnen Gesellschaft leistet«, sagte Schäringer.

      »Das ist nicht notwendig, Herr Schäringer. Ich … Mir geht es … Nun, natürlich nicht gut, aber gut genug, um für kurze Zeit allein bleiben zu können. Ich werde gleich meinen Mann anrufen, sobald Sie gegangen sind. Er wird bestimmt sofort alles stehen und liegen lassen und heimkommen. Von seinem Büro sind es mit dem Auto nur fünf Minuten. Ich werde also nicht lange allein sein. Gehen Sie und Ihr Kollege lieber und erledigen Sie Ihre Arbeit, damit derjenige, der meinen Nikki umgebracht hat, geschnappt wird. Haben Sie denn in Nikkis Zimmer etwas gefunden, das Ihnen weiterhilft, Herr …?«

      »Baum«, ergänzte Schäringers Kollege, der im Türrahmen stand und einen Laptop, ein Schulheft und ein Foto in der Hand hielt. »Leider nicht viel. Unsere Techniker werden die Festplatte des Laptops untersuchen, ob sich darauf etwas befindet, das mit seinen Aktivitäten in der letzten Nacht oder seinem Tod zu tun haben könnte. Außerdem würden wir gern dieses aktuelle Foto von Niklas und sein Deutschheft mitnehmen, damit wir seine Handschrift mit der Nachricht vergleichen können, die man bei ihm fand. Sie bekommen die Sachen nach Abschluss der Ermittlungen natürlich zurück.«

      Sie sah traurig auf die Gegenstände in Baums Hand, als wollte sie diese nicht auch noch hergeben, nachdem sie an diesem Morgen bereits ihren Sohn verloren hatte, doch dann nickte sie. »Natürlich. Nehmen Sie von Nikkis Sachen mit, was auch immer Sie benötigen.«

      Schäringer erhob sich von seinem Platz. »Dann werden wir Sie nicht länger stören, Frau Kramer. Bleiben Sie ruhig sitzen. Wir finden von allein hinaus. Auf Wiedersehen.«

      Auch Baum verabschiedete sich. Elke Kramer nickte nur wortlos und blieb auf ihrem Stuhl sitzen, während die beiden Kriminalbeamten das Wohnzimmer verließen und durch den Flur zur Haustür gingen. Bevor Schäringer hinter Baum aus dem Haus trat, sah er sich noch einmal um. Er konnte Elke Kramer nur zum Teil sehen, erkannte jedoch, dass sie vornübergebeugt dasaß, das Gesicht in beide Hände vergraben hatte und ihre Schultern zuckten. Er seufzte hinter fest aufeinandergepressten Lippen, wandte sich ab und schloss die Tür hinter sich.

      2

      Als Schäringer und Baum den Vorgarten des Reihenhauses durchquerten, wurden sie von einer Nachbarin drei Häuser weiter neugierig und relativ unverblümt angestarrt.

      »Guten Morgen«, grüßte Baum. »Wir sind vom bayerischen Ministerium für Gesichtskontrolle. Zu Ihnen kommen wir in einer Viertelstunde auch noch. Bereiten Sie sich bitte schon mal darauf vor.«

      Schäringer verdrehte die Augen, musste aber dennoch schmunzeln.

      Die Frau riss Augen und Mund auf – so hätte sie gewiss keine Gesichtskontrolle überstanden – und schnappte nach Luft. Dann wandte sie sich um und verschwand fluchtartig im Haus.

      »Ich wünschte mir, du würdest solche Dinge unterlassen, Lutz.«

      »Du fandest es aber auch witzig, Franz, gib’s ruhig zu. Ich hab gesehen, dass du ein bisschen gelächelt hast.«

      »Das war kein Lächeln«, sagte Schäringer, während er das Gartentürchen hinter sich schloss und sie über den Gehsteig zum Wagen gingen. »Ich habe nur gequält das Gesicht verzogen und mit den Zähnen geknirscht, als ich daran denken musste, was wir für einen Ärger kriegen, wenn die Frau zum Telefon greift und Kriminalrat Ehrbacher anruft.«

      »Die weiß doch gar nicht, dass wir von der Kripo sind«, wiegelte Baum ab, betätigte den Türöffner, damit Schäringer schon mal einsteigen konnte, und lief dann um die Motorhaube des BMW herum.

      Schäringer schüttelte den Kopf und stieg ein. Als Baum die Fahrerseite erreichte, öffnete er erst die hintere Tür, um den Laptop auf den Rücksitz zu legen, ehe er auf dem Fahrersitz Platz nahm. Wenn die beiden Kollegen gemeinsam unterwegs waren, saß stets Baum hinter dem Steuer des Dienstwagens. Er fuhr gern Auto und war fast genauso zappelig wie eben im Wohnzimmer der Kramers, wenn er auf dem Beifahrersitz hocken musste und zur Untätigkeit verdammt war. Um etwas zu tun zu haben, nervte er den Fahrer dann stets mit überflüssigen Hinweisen wie »Die Ampel wird gleich rot!«, »Pass auf, die Autos da vorn bremsen!« oder gerne auch mal: »Auf der linken Spur würden wir schneller vorankommen!« Einmal hätte Schäringer ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit sogar um ein Haar einen Unfall verursacht. Baum hatte laut gerufen: »Pass auf den Radfahrer auf!« Schäringer, der den Radler bemerkt und im Auge gehabt hatte, hatte sich aber gedacht: »Was, noch ein Radfahrer?« und so abrupt abgebremst, dass der nachfolgende Fahrer ihnen beinahe ins Heck gekracht wäre. Seitdem überließ er Baum gern den Platz hinter dem Steuer. Das hatte zudem den Vorteil, dass er sich nicht auf den Verkehr konzentrieren musste, sondern in aller Ruhe über die jeweils aktuellen Fälle und die bisherigen Ermittlungen nachdenken konnte. Es war fast so, als hätte er einen eigenen Chauffeur.

      »Und wo fahren wir jetzt hin?«, fragte Baum, als sie beide im Auto saßen.

      »Wir statten einem jungen Mann namens Heiko Fischer einen Besuch ab. Aber lass mich erst noch telefonieren, um seine Adresse in Erfahrung zu bringen.« Schäringer holte sein Handy heraus und tippte die Bürodurchwahl des Leiters der Spurensicherung ein. Wenn er Glück hatte, war Krautmann schon wieder im Büro und konnte dort im Handumdrehen die Adresse des Burschen herauskriegen.

      »Krautmann. Wer stört?« Vermutlich hatte er Schäringers Handynummer auf dem Display seines Apparates erkannt, sonst hätte er sich nicht mit diesen Worten gemeldet.

      »Als wenn du das nicht wüsstest, Christian.«

      »Franz, was gibt’s? Für gute Neuigkeiten ist es noch