WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN. Eberhard Weidner

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Название WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847651130



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Ihnen die anderen nennen.«

      Schäringer schrieb den Namen in sein Notizbuch. »Wissen Sie auch, wo Heiko Fischer wohnt?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Fragen Sie doch in der Schule nach.«

      »Kein Problem. Das finden wir schon heraus. Sonst noch jemand, der kürzlich Streit oder eine Auseinandersetzung mit Niklas hatte.«

      »Nein. Aber er erzählte uns auch nicht alles. In letzter Zeit war er sowieso viel unterwegs.«

      »Sagt Ihnen der Name Nadine Blume etwas?«

      »Natürlich.« Sie hörte auf, das Tuch zu zerrupfen, und hob den Blick, um Schäringer überrascht anzusehen. »Das ist der Name des Mädchens, das vor einer Woche verschwand. Vermutlich kennt seitdem jeder in der Gegend ihren Namen. Außerdem ging sie mit Nikki zur Schule.«

      »Waren die beiden miteinander befreundet?«

      Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Wie gesagt, er war sehr schüchtern, wenn es um Mädchen ging. Sie kannten sich wohl nur vom Sehen und flüchtigen Kontakten.«

      »Sie können also nicht sagen, ob Niklas in Nadine Blume verliebt war?«

      »Nein. Das wäre ja ganz was Neues. Wie kommen Sie denn darauf?«

      »Vielleicht hat Niklas ja auch von jemandem namens Blümchen erzählt. Das war Nadine Blumes Spitzname.«

      »Nein. Auch von einer Blümchen weiß ich nichts. Aber wie kommen Sie darauf, dass Nikki in das verschwundene Mädchen verliebt gewesen sein könnte? Wurde sie etwa gefunden? Zusammen mit Nikki?« Sie riss die Augen auf und sah Schäringer entsetzt an.

      »Nein, Frau Kramer. Nadine Blume wurde nicht gefunden. In Niklas’ Hosentasche befand sich allerdings ein Gegenstand, der Nadine Blume gehörte und den sie am Tag ihres Verschwindens trug.«

      »Meinen Sie das Armband, von dem in der Zeitung die Rede war?«

      »Ja. Es handelt sich um ein Bettelarmband mit sieben Symbolen als Anhänger. Haben Sie ein solches Armband in den letzten Tagen bei Niklas gesehen?«

      »Nein. Und das wäre mir bestimmt aufgefallen, nachdem ich in der Zeitung davon gelesen hatte. Aber Moment, wollen Sie damit etwa …« Sie verstummte und schloss für einen Moment die Augen, während sie nachdachte. Sie hob die Hände und berührte mit den Fingerspitzen die Schläfen. Dann öffnete sie die Augen wieder und sah Schäringer zornig an. »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Nikki etwas mit dem Verschwinden dieses Mädchens zu tun hatte? Und das zweite Mädchen hat er dann wohl auch noch entführt?«

      »Ich will gar nichts andeuten, Frau Kramer«, sagte Schäringer und bemühte sich, so viel Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit in seine Antwort zu legen, wie ihm möglich war. »Ich versuche nur, einen Mord aufzuklären und herauszufinden, ob es einen Zusammenhang mit dem Verschwinden der jungen Frauen gibt. Das Bettelarmband deutet nämlich genau darauf hin. Außerdem fand man in der Hosentasche Ihres Sohnes auch ein Blatt Papier, das vermutlich aus einem Notizbuch herausgerissen wurde. Darauf standen folgende vier Sätze: Blümchen ist verschwunden, und ich bin schuld! Ich hab sie auf dem Gewissen! Es tut mir alles so leid! Was soll ich nur tun? Wissen Sie, ob Ihr Sohn ein Tagebuch führte?«

      Sie antwortete zunächst nicht, als würden ihr die Worte, die Schäringer gesagt hatte, noch eine Weile im Kopf herumschwirren. Dann schüttelte sie den Kopf. »Von einem Tagebuch weiß ich nichts. Er war auch nicht der Typ, der Tagebuch führt. Das machen doch eher Mädchen.«

      »Wir werden die Schrift auf dem Papier natürlich mit einer Schriftenprobe Ihres Sohnes vergleichen müssen. Und sobald mir eine Kopie der Nachricht vorliegt, werde ich sie Ihnen zeigen.«

      »Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Herr Schäringer. Ich kann mir nämlich gar nicht vorstellen, dass Nikki so etwas geschrieben haben könnte. Das klingt ja tatsächlich so, als hätte er etwas mit dem Verschwinden seiner Mitschülerin zu tun. Und der letzte Satz hört sich beinahe so an, als wollte er sich etwas antun. Aber Sie sagten doch, dass er ermordet wurde, oder etwa nicht?«

      »Das wurde er auch, davon sind wir überzeugt. Allerdings wollte jemand den Eindruck erwecken, Ihr Sohn hätte sich selbst getötet. Und das Bettelarmband und das Stück Papier könnten ihm ebenfalls untergeschoben worden sein, um den Verdacht vom wahren Täter auf Niklas zu lenken.«

      »O mein Gott, das wird ja immer schlimmer.« Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Wenn das mein Mann erfährt. Und Kerstin erst …«

      »Kerstin?«

      »Kerstin ist unsere Tochter, Nikkis kleine Schwester. Sie ist erst vierzehn. Es wird ihr das Herz zerreißen, wenn sie erfährt, dass ihr Bruder tot ist. Aber wie … und wo hat man ihn überhaupt gefunden?«

      Schäringer hatte mit der Frage gerechnet. »Ein Bauer fand ihn heute früh kurz nach Sonnenaufgang bei einem Feldweg südlich von Landsberied. Er hing am Ast eines Baumes.«

      Sie schüttelte den Kopf. »O mein Gott. Mein armer Junge! Was er alles mitmachen musste. Und wir waren nicht da, um ihm zu helfen …«

      »Es mag in Ihrer Situation nur ein schwacher Trost sein, Frau Kramer, aber in der Hinsicht kann ich Sie beruhigen. Niklas war bereits tot, als er am Baum aufgehängt wurde. Er bekam davon nichts mehr mit.«

      Sie atmete erneut tief durch und blickte auf die Fetzen des Kosmetiktuchs vor ihr auf der Tischplatte. »Nun sehen Sie sich nur an, was für eine Sauerei ich angerichtet habe.« Dann richtete sie den Blick wieder auf den Kriminalbeamten. »Und wissen Sie schon, wann …? Also, ich meine, wann er starb …?«

      »Wir können noch nicht sagen, wann Niklas getötet wurde. Es muss irgendwann letzte Nacht geschehen sein. Wissen Sie vielleicht, wohin Niklas gestern Abend oder in der Nacht ging?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste ja nicht einmal, dass er schon letzte Nacht das Haus verlassen hatte, bis Sie mir erzählten, dass er … Nach dem Abendessen ging er gestern wie immer auf sein Zimmer. Ich ging um zehn ins Bett, da war er noch wach und hat gelesen. Ich wünschte ihm eine gute Nacht und ging schlafen. Danach …« Sie verstummte, kämpfte um ihre Fassung und gewann. »Danach hab ich ihn nicht mehr gesehen.«

      »Fiel Ihnen denn heute Morgen gar nicht auf, dass er nicht da war? Kam er sonst nicht zum Frühstück, bevor er zur Schule ging?«

      »Ich dachte, er wäre schon früher aufgestanden, um einem Bekannten beim Austragen von Werbeprospekten zu helfen. Das macht … Das machte Niklas manchmal, um sich sein Taschengeld aufzubessern. Dann … ging er schon so früh aus dem Haus, dass ich es oft gar nicht mitbekam, und anschließend direkt in die Schule. Ich sah ihn dann erst wieder, wenn er von der Schule nach Hause kam. Deshalb wunderten wir uns heute Morgen auch nicht, als er nicht herunterkam. Wir dachten eben, er wäre beim Austragen.«

      »War sein Bett gemacht?«

      Sie nickte. »Aber das hat nichts zu bedeuten. Die Kinder machen ihre Betten inzwischen selbst.«

      »Also wissen wir nicht, ob er sich hingelegt und geschlafen hat, bevor er das Haus verließ, oder ob er schon ging, nachdem sich alle anderen schlafen gelegt hatten. Wann geht Ihr Mann ins Bett?«

      »Er ist ebenfalls kein Nachtmensch. Er kommt meistens eine halbe Stunde nach mir ins Schlafzimmer, liest noch zwanzig bis dreißig Minuten und macht dann das Licht aus. Spätestens um 23 Uhr schlafen unter der Woche alle. Nur Niklas blieb manchmal etwas länger auf.«

      »Wir können also momentan nur festhalten, dass Niklas frühestens eine Stunde vor Mitternacht unbemerkt das Haus verlassen haben kann. Hatte er Freunde, denen er mehr darüber gesagt haben könnte.«

      Sie legte den Kopf leicht zur Seite und verzog das Gesicht. »Freunde in dem Sinne hatte Niklas gar nicht. Er hatte Schulkameraden und Bekannte, die er mochte und mit denen er sich gelegentlich traf. Außerdem war er im Fußballverein und traf sich mit den anderen Spielern zum Training und zu den Spielen. Ansonsten war er allerdings eher ein Einzelgänger. Ich glaube daher nicht, dass er anderen Leuten