DAS BUCH ANDRAS II. Eberhard Weidner

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Название DAS BUCH ANDRAS II
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия DAS BUCH ANDRAS
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738007473



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wer in welchem Raum der Station untergebracht war. Allerdings war das auch nicht von Belang. Solange die unbekannte Person weiterschlief und nicht plötzlich aufwachte und das Licht anmachte, war ich verhältnismäßig sicher.

      Da ich mir, bevor ich das Nachtlicht entfernt hatte, meine Umgebung eingeprägt hatte, bereitete es mir nun keine Schwierigkeiten, mich bis zu dem von mir ins Auge gefassten Versteck vorzutasten. Ich hatte Glück und stieß auch nicht gegen irgendwelche Hindernisse, die mir aufgrund der unzulänglichen Beleuchtung verborgen geblieben waren.

      Ich schob mich tief in die Lücke zwischen Schrank und Wand und wartete dann ab. Da sich meine Atmung wieder normalisiert hatte, bereitete es mir keine Mühe, flach und geräuschlos durch den geöffneten Mund zu atmen. Und falls ich doch versehentlich ein Geräusch verursachte, würde es vom Schnarchen des Schläfers übertönt werden.

      Ich erschrak, als das schnarchende Geräusch plötzlich abbrach und die Person im Bett sich raschelnd bewegte. Doch anscheinend hatte sie im Schlaf nur eine andere Position eingenommen, denn unmittelbar danach lag der Schläfer wieder still und begann auch sogleich wieder damit, lautstark imaginäre Bäume umzusägen.

      Allerdings blieb mir nicht viel Zeit, mich wieder zu beruhigen, denn nur wenige Augenblicke später begann mein Herz erneut schneller zu schlagen, als auf dem Gang vor der Tür Schritte ertönten, rasch lauter wurden und unmittelbar vor der Tür verstummten. Ich hielt den Atem an. Zunächst herrschte – bis auf die Geräusche des Schnarchers – wieder Stille, und ich dachte schon, ich hätte mich getäuscht und mir die Schritte nur eingebildet. Doch im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet.

      Die Tür schwang nach innen, bis sie mit dem Türgriff beinahe gegen die Wand stieß, und ließ das matte Licht der Gangbeleuchtung hereinfallen, die ein verzerrtes, schiefes Viereck auf den Boden malte, das nicht ganz bis zum Bett reichte. Inmitten dieses hellen Rechtecks ragte tiefschwarz und bedrohlich der Schatten einer schlanken Gestalt in den Raum.

      Ich hatte um die Ecke des Schranks gespäht und alles beobachtet. Doch nun beschloss ich, dass ich mehr als genug gesehen hatte, und zog den Kopf vorsichtig zurück, damit Gehrmann mich nicht sehen konnte. Vielleicht gab er sich mit einem Blick von der Tür ins Zimmer zufrieden und ging anschließend weiter. Doch da der Einsatz mein Leben war, verzichtete ich darauf, zu wetten, dass die Sache so leicht werden würde.

      Ich konnte zwar nicht mehr zur Tür sehen, wo Gehrmann schweigend und bedrohlich in der hellen Öffnung stand, doch ich sah von meinem Versteck aus das Bett und seinen Schatten auf dem Boden. Sosehr ich mir auch wünschte, er möge sofort wieder verschwinden und die Tür hinter sich schließen, erfüllte sich dieser Wunsch jedoch nicht.

      Gehrmann harrte mehrere Sekunden lang regungslos auf der Schwelle aus. Womöglich, um sich einen Überblick zu verschaffen, auf verdächtige Geräusche zu lauschen oder auch nur aus Vorsicht, damit er nicht aus der Dunkelheit heraus angefallen werden konnte. Dann betrat er das Zimmer. Beinahe lautlos kam er herein und ging geradewegs auf das Bett zu, aus dem unverändert die lauten Schnarchgeräusche kamen.

      Als er das Bett erreichte, konnte ich deutlich die Umrisse der Pistole in seiner Hand erkennen. Er hielt sie allerdings so, dass die Mündung mit dem aufgesetzten Schalldämpfer nach oben zur Zimmerdecke zielte.

      Mein Pulsschlag und das Geräusch meiner flachen Atmung dröhnten mir plötzlich wieder überlaut in den Ohren. Ich befürchtete, dass Gehrmann, der nur wenige Meter von mir entfernt stand, beides deutlich hören könnte. Am liebsten wäre ich mit der Wand in meinem Rücken verschmolzen, um mich dadurch vollständig unsichtbar zu machen. Ich presste mich unwillkürlich noch fester dagegen, doch das harte Material gab natürlich kein bisschen nach.

      Doch Gehrmann konnte weder mein Herz, das in meiner Brust wummerte wie ein alter Dieselmotor, noch meine nahezu lautlosen Atemzüge hören. Und selbst wenn sie tatsächlich so laut gewesen wären, wie ich in meiner Panik befürchtete, wären sie aufgrund der Geräusche, die der Schläfer verursachte, dennoch nicht zu hören gewesen.

      Aus der Dunkelheit meines Verstecks heraus beobachtete ich, wie Gehrmann sich über die schlafende Gestalt im Bett beugte, um deren Gesicht ansehen zu können, das von ihm abgewandt war. Möglicherweise dachte er, ich hätte mich einfach ins Bett gelegt, würde mich nun schlafend stellen und den dazu passenden Soundtrack produzieren. Aber was hätte ich in diesem Fall mit dem ursprünglichen Bewohner des Zimmers anstellen sollen. Hätte ich ihn einfach in meine Hosentasche stecken sollen?

      Doch da fiel mir wieder ein, dass Gehrmann aufgrund des mutigen Widerstands der Nachtschwester gar nicht wusste, welches Zimmer ich bewohnte. Er musste daher bei jedem Zimmer, das er kontrollierte, davon ausgehen, dass es mir gehörte, und deshalb jede schlafende Person in jedem einzelnen Bett überprüfen. Eine derartige Vorgehensweise kostete natürlich jede Menge Zeit. Viele andere wären deshalb möglicherweise schneller und damit auch weniger sorgfältig vorgegangen. Allerdings gehörte Gehrmann nicht zu diesem Menschenschlag. Er war – diesen Eindruck hatte ich bereits bei der Besprechung mit ihm im Beisein von Dr. Jantzen und Gabriel gewonnen – penibel bis ins Mark und nahm alles peinlichst genau. Halbe Sachen gab es für ihn vermutlich nicht, und deshalb war es für seinen Kollegen Klapp wahrscheinlich auch nicht leicht, den älteren Mann halbwegs zufriedenzustellen, weshalb ich den Übereifer und die übertriebene Sorgfalt, die Klapp zeitweise an den Tag legte, nun ein wenig besser verstand.

      Und weil Gehrmann eine Sache lieber zweimal kontrollierte und nicht zur Schlamperei neigte, überprüfte er auch in diesem Moment besonders gewissenhaft, ob es sich bei dem Schläfer im Bett nicht doch vielleicht um mich handelte. Dazu beugte er sich so weit nach vorn, dass ich schon befürchtete, er könnte das Gleichgewicht verlieren und vornüber aufs Bett kippen, und betrachtete aufmerksam das im Schatten liegende Gesicht der schlafenden Gestalt. Als er – möglicherweise aufgrund der Farbe oder Länge des Haars, der Form oder Farbe des Gesichts oder anderer leicht erkennbarer Merkmale – zu seiner Zufriedenheit festgestellt haben musste, dass der Schläfer nicht die Person war, die er suchte, begann er wieder damit, sich möglichst behutsam aufzurichten, ohne die Person im Bett dabei zu wecken.

      Doch bevor er die Bewegung beenden und sich vollständig aufrichten konnte, ertönte urplötzlich ein ohrenbetäubender, gellender Schrei, der auch mich in meinem Versteck vor Schreck so stark zusammenzucken ließ, dass ich mit einem Knie und der Stirn gegen die Seitenwand des Schranks vor mir und mit einem Ellbogen und dem Hintern gegen die Wand hinter mir krachte. Die lauten Geräusche, die ich dadurch zwangsläufig verursachte, gingen aber in dem Krach unter, der im Bereich des Bettes laut wurde.

      Ohne mich um die Schmerzen in den diversen angeschlagenen Körperteilen zu kümmern, verfolgte ich gebannt die dramatischen Ereignisse, die dem vollkommen überraschend erfolgten Aufschrei auf dem Fuße folgten und in denen Gehrmann eine tragende, gleichzeitig aber auch tragische Rolle zukommen sollte.

      Den ohrenbetäubenden Schrei, der sowohl Gehrmann als auch mich überrascht und erschreckt hatte, hatte niemand anderes ausgestoßen als der dritte Anwesende im Zimmer, den Gehrmann und ich tief schlafend gewähnt hatten. Noch bevor der Schrei vollends verklungen war, schnellte der Oberkörper der bislang reglosen Gestalt, wie von einer straff gespannten Feder angetrieben, im Bett senkrecht nach oben. Gleichzeitig drehte sich die Person, die auf der Seite gelegen hatte, bis sie innerhalb eines halben Augenblicks aufrecht im Bett saß. Der rechte Arm des Unbekannten fuhr herum und beschrieb einen perfekten Halbkreis, dessen Endpunkt sich in Höhe von Gehrmanns linker Brustseite befand. Gehrmann stand wie erstarrt und noch immer nicht vollständig aufgerichtet neben dem Bett und starrte wahrscheinlich ebenso verblüfft wie ich auf die Gestalt im Bett, die wie ein rasender Kastenteufel so jäh zum Leben erwacht war.

      Ich nahm an, der Schläfer wäre durch Gehrmann im Schlaf gestört worden und lediglich hochgeschreckt. Seine Reaktionen – der Schrei, das Aufrichten und die abrupte Armbewegung – hielt ich für einen panischen Reflex, mit dem der Sanatoriuminsasse auf die dunkle, bedrohliche Gestalt reagierte, die so überraschend mitten in der Nacht neben seinem Bett aufgetaucht war. Doch ich täuschte mich gewaltig. Erst als ich den Gegenstand, den die Person im Bett in der rechten Hand hielt und in Richtung von Gehrmanns Oberkörper schwang, deutlicher sehen konnte und erkannte, um was es sich dabei handelte, wurde mir mein Irrtum bewusst.

      »Fahr